"Simpler": Der grüne Nanny-State bewahrt Freiheiten in Zeiten der Klima-Krise (Teil 4)

Von Jan Falk
Eine der wohl wirkungsvollsten Angriffe auf die Grünen in diesem Bundestagswahlkampf scheint die Kritik an Nanny-State-Vorhaben zu sein, etwa den Veggy-Day und ein Tempolimit auf Autobahnen. Diese, so die Kritik, bevormundeten die Bürger , seien paternalistisch, der Anfang oder gar schon die Realisierung einer “Öko-Diktatur”. Was mehr verwundert als die Polemiken aus der Springerpresse und dem Konrad-Adenauer-Haus gegen die Vorhaben ist das Unvermögen vieler grüner Politiker und Sympathisanten, diese konkreten Policies und letztlich auch das Konzept eines ökologischen Nanny-States an sich offensiv zu verteidigen. Da kommt in Talkshows und Twitter-Debatten einfach sehr wenig. Woran liegt das? Die Verteidigung des grünen Nanny-States beruht auf zwei Argumenten, einem einfachen, aber wahrscheinlich wenig effektiven, und einem komplizierteren, weil kontrafaktischen, aber zwingerendem Argument. Vielleicht ist letzteres zu voraussetzungsreich für ein Zwei-Minuten-Statement in einer Talkshow.
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Hier ist das einfachere: Die Methoden des Nanny-States sind oft überraschend wirksam beim Erreichen der gesetzten gesellschaftlichen Ziele. Noch in den 80er Jahren etwa wurde beinahe überall geraucht, im Fernsehen, in Flugzeugen, in Büros. Heute ist das unvorstellbar. Rauchen ist, gerade auch bei Jugendlichen, heute “out”. Wurden 1991 noch über 400 Millionen Zigaretten in Deutschland konsumiert, waren es 2010 nur noch gut die Hälfte. Kein Verbot Eine Vielzahl kleinerer staatlicher Eingriffe hat in den vergangenen Jahren dafür gesorgt: vom Werbeverbot, über höhere Tabaksteuern, warnende Etiketten und Rauchverboten in öffentlichen geschlossenen Räumen. Nur Tabak und Rauchen an sich wurden nie verboten - was gar nicht so selbstverständlich ist. Man stelle sich mal ein ähnlich sinnloses und gesundheitsschädigendes Mittel vor, dass heute neu auf den Markt kommen sollte. Es würde niemals zugelassen werden. Aber aus Rücksicht und zur gesellschaftlichen Konfliktvermeidung wurde dieser schonendere Weg gewählt. Warum sollte, was beim Rauchen geklappt hat, nicht auch bei ökologischen Themen wie Fleischkonsum und Mobilität funktionieren? Eine Gewöhnung an neue Konsummuster ist langfristig möglich, sie können am Ende sogar als positiver empfunden werden als die alten [edit: ohne, dass wir nun alle komplett Vegetarier werden müssten]. Oder will wirklich jemand behaupten, die Niederländer etwa hätten eine geringere Lebensqualität aufgrund eines allgemeinen Tempolimits auf Autobahnen? Doch die Grünen müssen diese Debatte zuerst noch auf einem anderen Feld gewinnen: Der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen angesichts der Signifikanz des sozialen Problems, das sie bekämpfen sollen. Denn das simple utilitaristische Argument der Wirksamkeit wird nur die wenigsten Gegner solcher Maßnahmen überzeugen, wie auch Jonathan Chait (am sehr viel schlechter legitimierbaren) Beispiel des Verbots übegroßer Limonaden in New York dargelegt hat. Kritik ohne Alternativen Die Grünen lassen ihre Kritiker zu leicht davonkommen, wenn sie allein den Vergleich zwischen vermeintlich freiheitlichem Status Quo und vermeintlich ökodikatatorischen Policies wie Veggy-Day gelten lassen. Denn so kommen die Kritiker gar nicht erst in die Lage, Policy-Alternativen vorschlagen zu müssen, die ähnlich effektiv sind. Der Grund für die grünen Maßnahmen wird dann gar nicht erst debattiert. Als ob die Forderung nach geringerem Fleischkonsum aus reinem protestantischen Verzichtsfetisch herrühren würde und nicht etwa aus dem Fakt, dass exzessiver Fleischkonsum unseren Planeten zerstört. Die Kritiker des Nanny-States debattieren also nur die gewählten Mittel, aber nicht die beabsichtigten Ziele und machen es sich damit sehr leicht. Müssten die Gegner des Nanny-States Alternativen zur Reduktion unseres CO2-Ausstoßes vorschlagen, wäre leicht ersichtlich, dass es gar nicht leicht fallen würde, effektive Mittel zu finden, die weniger in das Leben der Menschen eingreifen als Veggy-Day, Ökosteuer oder Tempolimit. Diese Maßnahmen bedeuten nur eine sehr minimale Einschränkung unseres Konsum- und Mobilitätsverhaltens bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Möglichkeit dieser. Es sind Vorhaben, die möglichst wenig Freiheit einschränken. Um diese Perspektive nachvollziehen zu können, müssen wir mit dem größten deutschen klimapolitischen Irrtum aufräumen: Der Annahme, bei uns sei der Klimaschutz dank Energiewende schon auf einem guten Wege, ohne dass weitergehende Maßnahmen nötig seien. Nur dieser Irrglaube erlaubt es den Nanny-Kritikern, eine derart einseitige Polemik anbringen zu können. Die Wahrheit ist: Mit dem Klimaschutz läuft es schlecht, und zwar nicht nur in China oder Amerika, sondern auch hier bei uns, dem vermeintlichen Klima-Musterland. Im Schneckentempo zur Nachhaltigkeit Angela Merkel hat einmal einen klugen Satz gesagt, es war vielleicht der klügste ihrer Kanzlerschaft. Leider hat sie ihre Politik nie auch nur ansatzweise danach ausgerichtet. "Kein Mensch hat das Recht”, sagte die Kanzlerin im Jahr 2007 auf dem G8-Gipfel von Heiligendamm, “dem Klima mehr Schaden zuzufügen als Andere”. Man muss nicht Kant studiert haben, um die Richtigkeit dieser Einsicht anzuerkennen. Und es war zugleich ein radikaler Satz, denn er würde konkret ausbuchstabiert eine dermaßen drastische Abkehr von unserem derzeitigen Lebensstil bedeuten, dass der Veggy-Day im Vergleich dazu wie eine PR-Aktion von McDonnalds erscheinen würde. Denn wie viel CO2 jeder Mensch bei der derzeitigen Entwicklung der Bevölkerungszahlen theoretisch ausstoßen dürfte, um die extremsten Folgen des Klimawandels abzuwenden, das ist durchaus quantifizierbar: Rund 3,5 Tonnen pro Jahr. Nun mag diese Zahl nicht auf die Nachkommastelle zutreffen, in den Prognosen zum Klimawandel steckt ein gewisses Maß an Unsicherheit. Aber in diese Richtung dürfte es schon gehen. Nur mal zur Einordnung dieser Zahl: Der Per-Capita-Ausstoß in Deutschland lag 1991 bei 12,1 Tonnen. 2008 lag er bei 9,4 Tonnen. Macht eine magere Reduktion von 0,16 Tonnen pro Jahr und Person, trotz Milliardeninvestitionen in die Energiewende und einer dramatischen Deindustrialisierung in Ostdeuschland in den frühen 90er Jahren. Mit dieser Geschwindigkeit würden wir das Ziel von 3,5 Tonnen circa im Jahr 2050 erreichen - viel zu spät. Doch 2012 ist der gesamtdeutsche CO2-Ausstoß erstmals seit Jahren wieder gestiegen, die Projektion dieser Entwicklung in die Zukunft wäre also bei gleichbleibenden Bemühungen eher unwahrscheinlich. Irreführung durch Greenwashing Nein, es ist Zeit anzuerkennen, dass das Beharren auf vollständiger Konsumentensouveränität und Freiheit angesichts dieser Entwicklung nicht zu funktionieren scheint. Die Zahl der verkauften SUVs steigt seit Jahren, der jährliche Fleischverbrauch liegt immer noch bei fast 90 Kg pro Person. Gleichzeitig beruhigen sich die Konsumenten - irregeführt durch Greenwashing der Industrie - mit pseudo-grünen Ersatzhandlungen. Angesichts dieser Situation bedarf es zumindest seichter Anreize und Versuche, das Verhalten der Konsumenten langfristig nachhaltiger zu gestalten - sonst werden wir unseren Beitrag zu diesem globalen Mega-Problem nicht leisten können. Die derzeitige Kritik am Nanny-State ist nur deshalb so effektiv, weil sie die wahren Ausmaße der Klima-Krise und der eigentlich notwendigen Reaktion darauf verharmlost oder verschweigt. Grüne Politiker sollten von ihren Kritikern alternative Vorschläge zur Reduktion unseres CO2-Ausstoßes verlangen. Denn mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme der Situation wird deutlich, wie moderat die derzeit geforderten Maßnahmen der Grünen im Grunde sind. Letztendlich ist der Nanny-State nicht der Beginn einer Öko-Diktatur. Er ist der Versuch, diese zu vermeiden und Freiheiten in Zeiten der Klima-Krise zu erhalten.

In der nächsten Folge des Online-Seminars: Der Nanny-State als Bewahrer der Freiheit in der Praxis - das Prinzip des "Nudge".
„Simpler – The Future of Government“ ist bei Amazon gedruckt oder als eBook erhältlich und kostet 19,99 bzw. 9,99 Euro.


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