WEIMAR. (fgw) Mit “Die Heilerin des Sultans” findet Silvia Stolzenburgs Trilogie rund um den Bau des Ulmer Münsters ihren krönenden Abschluß. Dieser Band führt zurück in die Zeit um das Jahr 1400. Hauptschauplatz sind jedoch nicht mehr Ulm und die württembergischen Lande, sondern der Hof von Sultan Bayezid in Bursa, der damaligen Hauptstadt des aufstrebenden Osmanischen Reiches. Episoden spielen auch in Venedig und im dem Untergang geweihten Byzanz.
Erinnern wir uns. Im ersten Band “Die Launen des Teufels”, spielend in der Pestzeit um 1350, ging es in einem zweiten Handlungsstrang auch um die heimliche Liebe eines Ritters zur Frau des Grafen von Württemberg. Die Frucht dieser Liebe, Wulf, kommt heimlich zu Welt und in die Obhut eines jungen Steinmetzen und seiner Frau. Diese und ihre Liebesgeschichte sind die Haupthelden im ersten Teil der Geschichte. Wegen all dieser Umstände fliehen sie mit dem Mündel nach Straßburg.
Knapp 20 Jahre später setzt der zweite Band “Das Erbe der Gräfin” ein: Wulf Steinhauer erfährt, daß er nicht des Steinmetzen Sohn ist. Daher bricht er nach Ulm auf, seine Ausbildung fortzusetzen und um seine leiblichen Eltern zu suchen. Er trifft durch Zufall auch seinen Vater, den Ritter von Katzenstein, welcher ihn als leiblichen Sohn anerkennt. Wulf verliebt sich die Tochter des Münster-Baumeisters. Doch erst nach vielen Irrungen und Wirrungen können diese ein Paar werden. Wulf bestreitet sein weiteres Leben als Steinmetz und Pferdezüchter.
Wulfs Sohn Falk von Katzenstein verliert im Alter von 15 Jahren seine Eltern und führt in Ulm die väterliche Pferdezucht fort. Im Gegensatz zu diesem strebt er aber danach, als Ritter anerkannt zu werden. Hier nun setzt der dritte Band an.
Falks Großvater hat nach der Begegnung mit seinem unehelichen Sohn mit Otto noch einen ehelichen gezeugt. Dieser Halbonkel voller Standesdünkel steht jedoch wegen Mißwirtschaft auf seinen Gütern vor dem Ruin und neidet der Familie seines Halbbruders den geschäftlichen Erfolg. Otto bricht daher nach Ulm auf, um Falk um dessen Erbe zu bringen. Es gelingt ihm auch – mit seiner “ritterlichen” Ausstrahlung schnell Falks Vertrauen zu erschleichen.
Lutz, der Freund von Falks Vater und Verwalter der Pferdezucht, durchschaut den Ritter. Doch Falk schlägt all seine Warnungen in den Wind. Otto kann seinen Neffen ohne Mühe dazu überreden, ins ferne Edirne im Osmanischen Reich zu reisen, um dort Araberhengste für die Pferdezucht zu erwerben. Das ist jedoch nur ein Vorwand, um Falk unterwegs umzubringen, damit Otto sich dessen Eigentum aneignen kann. Doch Falk beherzigt zumindest einen Rat von Lutz und nimmt statt Bargeld Wechsel eines venezianischen Bankhauses mit auf die Reise. So muß Otto seinen Plan ändern und das Abenteuer kann beginnen. Durch Ottos Intrigen gerät Falk in die Gefangenschaft in die Hände von Piraten, die den jungen Mann als Janitscharen [christliche Söldner des türkischen Sultans, SRK] verkaufen. So gelangt Falk nach Bursa. Alle Fluchtpläne sind umsonst. Doch ein für die Zukunft günstiger Zufall kommt zu Hilfe: Falk retten dem Sultan das Leben und wird dadurch zum privilegierten persönlichen Stallknecht.
Am Hofe des Sultans kreuzen sich eines Tages die Wege von Wulff und Sapphira. Diese war nur kurz zuvor als christliche Sklavin an den Harem verkauft worden. Doch statt das Bett mit dem Sultan teilen zu dürfen, worüber sie zunächst traurig ist, wird sie der Heilerin des Sultans übergeben. Da Sapphira sich bei ihrem früheren Herrn Bildung aneignen durfte (Griechisch und Latein sowie etwas Heilkunde), lernt sie sehr schnell und wird bald Nachfolgerin ihrer erblindenden Lehrmeisterin. Beide Frauen werden ebenfalls zu Lebensretterinnen des Sultans…
Falk und Sapphira verlieben sich unsterblich ineinander, was für sie fatale Folgen haben kann. Denn sexuelle Beziehungen und gar Liebesverhältnisse unter den Hofsklaven werden unbarmherzig mit dem Tode bestraft. Also keimen erneute Fluchtgedanken auf. Doch noch ist es nicht soweit. Erst ein undurchdachter Feldzug des Sultans Bayezid gegen den mittelasiatischen Khan Timur Lenk bringt die Wende. Des Sultans Heer wird geschlagen, der Sultan selbst gerät in Gefangenschaft. Falk und Sapphira können fliehen, doch ob sie es bis Ulm schaffen werden, das soll nicht verraten werden. Auch nicht, wie sich das weitere Leben von Raubritter Otto gestaltet.
Das fiktive Geschehen um Falk und Sapphira ist eingebettet in historisches Geschehen. So sind der Sultan und seine offizielle serbisch-christliche Ehefrau Olivera und beider Schicksal real.
In diesem überaus spannungsreichen Abenteuerroman erfährt man auf gekonnte Weise viel Interessantes zum Innenleben des osmanischen Staates und des Harems, des Sultanshofes. Nicht zuletzt zur religiösen Toleranz der muslimischen Oberschicht gegenüber Christen und Juden. Was das Osmanenreich deutlich unterscheidet von den christlich-katholischen Staaten Europas mit ihren Ketzer- und Hexenverfolgungen.
Auch in Silvia Stolzenbergs drittem Band kommt zum Ausdruck, was historisch überliefert ist. Da? Sich z.B. die orthodox-christlichen Bewohner des byzantinischen Reststaates lieber dem Turban des muslimischen Sultans unterwerfen wollten als der Tiara des katholisch-christlichen Papstes.
Und während im christlichen Europa geistige Finsternis herrschte, erschlossen, pflegten die osmanischen Muslime das antike Erbe von Wissenschaft und Medizin und führten es weiter. Im Nachwort schreibt die Autorin dazu folgendes: “…das Christentum war von Aberglauben und Furcht geprägt, der islamische Glaube wohl eher von etwas, das man heutzutage Synkretismus nennen würde, also die Vermischung von unterschiedlichen Religionen, Konfessionen und philosophischen Lehren.” (S.504)
Mit ihrer Trilogie hat Silvia Stolzenburg (Jahrgang 1974) ein fulminantes Werk vorgelegt. Ein lesenswertes Werk, das sich wohltuend abhebt von der Flut kitschiger, verklärender Mittelalterromane auf den Wühltischen der Supermärkte. Wir können uns dank guter Recherchen und deren ansprechender literarischer, bildhafter Verarbeitung hineinversetzen in die Schicksale von Menschen, die vor etwas mehr als 700 Jahren “lebten und liebten, arbeiteten und litten”.
Silvia Stolzenburg: Die Heilerin des Sultans. Roman. 528 S. Hardcover mit Schutzumschlag. Edition Aglaia im Bookspot-Verlag. München 2012. 16,95 Euro. ISBN 978-3-937357-47-8
[Erstveröffentlichung: Freigeist Weimar]