11.1.2012 – Die USA entwickeln seit den 1980er-Jahren ein elektronisches Waffensystem, das gezielt zur Bekämpfung von Aufständen, Demonstrationen und Protesten konzipiert wurde. Mittlerweile ist die Mikrowellenwaffe „marktreif“, begleitete US-Truppen nach Afghanistan und wurde 2011 vom Hersteller auf einer indischen Militärmesse vorgestellt.
Strahl von den Göttern
Eine aufgebrachte Menschenmenge versammelt sich auf einem zentralen Platz, um gegen die Regierung zu demonstrieren. In einiger Entfernung parkt ein unscheinbares Fahrzeug. Auf seinem Dach richtet sich ein Gegenstand auf, der an eine Satellitenschüssel erinnert. Der Operator im Fahrzeug drückt einen Knopf und im selben Augenblick werden die Körper der Demonstranten von einer als lebensbedrohlich empfundenen Hitze durchströmt.
Die Empfindung löst unmittelbar einen Fluchtreflex aus und die Menschen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen. Wer nicht schnell genug fliehen kann und der Hitze für mehr als wenige Sekunden ausgesetzt ist, der erleidet Verbrennungen zweiten oder dritten Grades. Kammerwasser und Glaskörper des Auges dehnen sich aus, drängen Blutgefäße zur Seite und können den Sehnerv, bis hin zur Erblindung, schädigen.
Bei dem Geschilderten handelt es sich weder um eine Szene aus einer alten „Raumschiff Enterprise“ Folge noch um eine düstere Zukunftsvision. Die beschriebene Waffe wird bereits seit den 1980er-Jahren von der Forschungsabteilung der US-Luftwaffe entwickelt und seit dem Jahr 2000 an Menschen getestet.
Heute beschäftigt sich der US-Rüstungskonzern „Raytheon“ (wörtlich: Strahl von den Göttern) mit der Weiterentwicklung der Waffe, die unter der Bezeichnung „Silent Guardian“ (wörtlich: stiller Wächter) angeboten wird.
Ursprünglich sollte das auf Mikrowellen basierende System bereits 2006 im Irak eingesetzt werden. Aufgrund von Bedenken in Bezug auf die negative Öffentlichkeitswirkung nahmen die USA Abstand von diesem Plan. Man befürchtete angesichts des Folterskandals von Abu Ghraib kritische Reaktionen. Stattdessen lieferte Raytheon im Juni 2010 drei der Systeme zum Einsatz in Afghanistan an die US Air Force aus.
Am 20. August 2010 gab das Los Angeles Sheriff´s Department bekannt, das System im „Pitches Detention Center“, einem Gefängnis in Los Angeles, einsetzen zu wollen.
Darüber hinaus hat der Rüstungskonzern seine Waffe im August 2011 bei der Militär- und Flugmesse „Aero India“ im indischen Bengaluru vorgestellt. Aktuell beschäftigt sich Raytheon mit der Entwicklung kleinerer und mobiler Versionen des Systems, die zu einem Marktpreis von weniger als 10 Millionen US-Dollar angeboten werden sollen.
Nicht-tödliche Anti-Personen Waffe
„Silent Guardian“ ist eine sogenannte nicht-tödliche Anti-Personen Mikrowellenwaffe. Das System erzeugt eine Strahlung mit einer Frequenz von 95 Gigahertz, die mit einer Antenne auf menschliche Ziele gerichtet wird. Die Reichweite beträgt dabei mehr als 500 Meter. Umgangssprachlich wird das System in den USA auch als „Rumsfeld´s ray gun“ bezeichnet.
Die hohe Strahlungsenergie dringt 0,4 mm in die Haut ein und wirkt dort direkt auf die Nervenzellen. Die Wassermoleküle in der Haut werden innerhalb von Sekunden auf 55 Grad Celsius erhitzt. Dies löst bei dem Betroffenen einen erheblichen Schmerzreiz aus, der ihn zur Flucht veranlassen soll.
Neben der Auflösung von Demonstrationen und dem Einsatz gegen Massenversammlungen schlägt Raytheon eine weitere Strategie vor: So sollen Menschengruppen mit den Strahlen beschossen werden, um friedliche Personen von Terroristen zu trennen. Während „harmlose“ Menschen vor der Bestrahlung fliehen, würden Terroristen ihren Angriff auch unter Schmerzen fortsetzen. Ordnungskräfte könnten so gezielt Personen töten, die sich während des Einsatzes der Waffe nicht vom Ort des Geschehen entfernen.
Im Juli 2006 reichte Brett Wagner vom California Center for Strategic Studies eine Petition gegen den „Silent Guardian“ ein. Nach seiner Auffassung verstößt die Waffe gegen die Genfer Konventionen, da ihr einziges Ziel die Erzeugung von Schmerzen ist. Wagner stuft das System als Folterinstrument ein.
Der Waffenexperte Neil Davison von der englischen Universität in Bradford warnt davor, dass die Strahlendosis für betroffene Personen nicht kontrollierbar ist. Dies gilt umso mehr, wenn die Waffe gegen Menschenmassen eingesetzt wird, in denen die Bewegungsfreiheit des Einzelnen eingeschränkt ist.
Edward Hammond vom Sunshine Project machte 2006 darauf aufmerksam, dass bei den bisherigen Tests des Systems in der Nähe von Siedlungen, Wasseroberflächen und speziellen Böden zusätzliche Risiken aufgetreten sind und dass nasse oder verschwitzte Kleidung zu einer verstärkten Wirkung beitragen kann.
Die Kraft der Argumente
Das US-Verteidigungsministerium und der Rüstungskonzern Raytheon bemühen sich darum, das Waffensystem öffentlich als harmlos und sogar lebenserhaltend darzustellen. Der „Silent Guardian“ wird als Alternative zum Einsatz tödlicher Waffen inszeniert, sein öffentliches Image wird sorgfältig gepflegt.
Grundsätzlich handelt es sich hierbei um ein Waffensystem, das speziell für den Einsatz gegen Menschenmassen konzipiert wurde. Vor dem Hintergrund der wachsenden Protestbewegungen auf der ganzen Welt kann kein Zweifel an den geplanten Einsatzszenarien der Mikrowellenwaffe bestehen.
Das Interesse totalitärer Staaten an dem System dürfte immens sein. Neben der derzeitigen Entwicklung von kleineren und mobilen Waffeneinheiten, die innerhalb von kürzester Zeit an Orte gebracht werden können, an denen sich Demonstranten versammeln, kann man davon ausgehen, dass Diktatoren bereits davon träumen, sensible Straßen und Plätze dauerhaft mit stationären Systemen auszustatten. Kommt es hier zu Menschenansammlungen, Demonstrationen oder Protesten, dann können solche Orte in Sekundenschnelle per Knopfdruck geräumt werden.
Befürworter des „Silent Guardian“ und Lobbyisten der Rüstungsindustrie vergleichen den Einsatz der Mikrowellenwaffe mit dem eines Wasserwerfers und heben die Vorteile einer höheren Reichweite, einer größeren Menge an Zielpersonen und eines zeitlich uneingeschränkten Einsatzes hervor.
Die offenkundige Verharmlosung der massiven Waffe macht auch Einsatzszenarien innerhalb demokratischer Systeme denkbar und wahrscheinlich. Auch hier gehen Ordnungs- und Sicherheitskräfte bereits massiv mit Wasserwerfern, Reiz- und Tränengas, elektronischen Waffen oder Schlagstöcken gegen Demonstranten vor und nehmen dabei erhebliche Verletzungsrisiken billigend in Kauf.
Die USA haben bislang mehr als 50 Millionen US-Dollar in die Entwicklung des „Silent Guardian“ investiert. Es ist unwahrscheinlich, dass dieser Entwicklungsdruck nicht auch mit konkreten Plänen zum Einsatz im eigenen Land verbunden ist.
Ein dem Namen nach demokratisches System, das mit Waffen gegen die eigene, protestierende Bevölkerung vorgeht, verliert seine Legitimation. Die einzige Kraft, deren Einsatz in solchen Situationen vertretbar ist, ist die Kraft der Argumente. Wenn sich eine Regierung der freien Kontroverse mit ihren Bürgern entzieht und die berechtigten Anliegen der Menschen mit Gewalt beantwortet, dann verliert sie ihr Recht auf den Regierungsauftrag.