SIG Sauer Pro – vom desillusionierten Leben auf dem Lande

SIG Sauer Pro – vom desillusionierten Leben auf dem Lande

SIG Sauer Pro © Vinciane Verguethen

Eine Inszenierung, gezeigt im Rahmen des Festivals Premières in Straßburg.

Film und Theater, Tanz und Literatur. Nichts steht alleine, alles verschränkt sich, bleibt dennoch pur.

SIG Sauer Pro – ein Theaterprojekt des französischen Kollektivs „Das Plateau“ vereint in einer einzigen Inszenierung alles, was Theater, Film und Literatur zu bieten haben und ist deswegen so nahe am Leben, wie selten eine Kunstform. SIG Sauer Pro ist die Bezeichnung für einen halbautomatischen Revolver, der in der Aufführung selbst – mit Platzpatronen bestückt – mehrfach zum Einsatz kommt. Auf der Bühne ein Riesenbildschirm. Davor ein Tisch mit drei Sesseln, davor – am Bühnenrand -mehrere Monitore. Drei junge Frauen mit Handmikros leihen ihre Stimmen jenen Personen, die auf der Leinwand im Film zu sehen sind. Ihre Stimmen werden live computertechnisch verfremdet, sodass klar wird, ob sie nun in die Männerrollen oder die der Frauen schlüpfen, die im Film vorkommen. Die Monitore im Vordergrund zeigen jeweils das Bild desjenigen, deren Stimme gerade zu hören ist. Aber auch szenische Erklärungen werden verlesen, so als würden die gezeigten Bilder weitere Informationen benötigen. Eine Verschränkung in der Verschränkung in der Verschränkung, die dennoch funktioniert.

Der Film selbst, Großaufnahmen von einem kleinen Dorf, irgendwo in den Pyrenäen, umgeben von ödem Land, realisiert von Keren Ben Rafaël. Nichts ist lieblich. Alles ist kalt und grau. Ein Hund bellt, ein Schuss fällt. Ein Auto fährt vor und parkt vor einem kleinen Bauernhaus, in dem sich ein alter Mann auf einem Fauteuil betrinkt. Er hält sich ein Gewehr ans Kinn und drückt ab. „Großvaters“ Hand in Großaufnahme verstömt Blut. Vergeblich, wie man erfährt; er landet nicht dort, wo er sich gewünscht hat, sondern im Koma. Eingekauft wird im kleinen Laden – nicht Pastis – sondern amerikanischer Whiskey und Zigaretten. Gekocht wird kein Cassoulet, sondern Pommes-frites in der Fritteuse. Auto gefahren wird wie in den Gangsterfilmen, von der Polizei zum Spaß mit Blaulicht auf dem Dach, bis der von ihnen verfolgte Kollege tödlich verunglückt. Ein Huhn wird geschlachtet, die Federn gerupft, dann bleibt es nackt in der Speisekammer hängen. Eine ältere Frau schminkt sich vor dem Zu-Bett-Gehen ab, legt sich hin und liest kurz. Die Kamera ist ganz nah bei ihr. Der hinterlegte Sound verdichtet sich, man weiß, aus Hitchcockfilmen, das etwas passieren wird und möchte gar nicht so nah am Geschehen sein. Ein junger Mann fährt vor das Haus, in dem noch einige Fenster erleuchtet sind. Man hört eine Frauenstimme. „Bist du`s? Was machst du?“ „Ich brauche Geld“. Der Dialog artet in einen Streit aus, bis der Mann das Haus wieder verlässt und wegfährt. Der Junge, dessen Vater verunfallte und dessen Mutter mit einem neuen Mann zusammenlebt, klopft sich einen Nagel in den Zeh – er wird in den nächsten Wochen mit seinem neuen Ziehvater kein anstrengendes Lauftraining mehr absolvieren müssen. Seine Mutter, die erfahren hat, dass der Unfall von den Polizistenfreunden ihres Ex-Mannes provoziert worden war, erpresst von einem Geld – und erklärt ihrem Sohn am Ende des Filmes, dass sie reich sei. 12.500 Euro habe sie gewonnen.

Der Plot der Geschichte, die sich aus einzelnen Schicksalen zusammensetzt, ohne dass daraus ein vollständiges Puzzle entsteht, ist real nachvollziehbar. Dramen auf dem Land, wie sie so oder in abgewandelter Form hundert- ja tausendfach vorkommen. Wir erleben Menschen, die nah aneinander wohnen, in Freundschaft und Hass, die das Land nicht als Idylle, sondern als harte, kaum zu ertragende Realität erleben. Abgeschnitten vom aufregenden Treiben, das ihnen die Medien von den Großstädten ins Haus liefert, versuchen sie, mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln, Anschluss zu finden. Anschluss an eine ihnen mittlerweilen aus dem Fernsehen bekanntere Welt als die Ihrige es ist. Sie leben abgeschnitten von traditionellen, regionalen Lebensweisen, angedockt an einen Mainstream, der die hintersten Winkel jedes auch noch so kleinen Dorfes erfasst hat.

Mit den Soundeffekten, den kurzen, eindringlichen Filmsequenzen und den Menschen auf der Bühne gelingt es dem Autor und Regisseur Jacques Albert, das Publikum förmlich in das Geschehen hineinzuziehen. Es wird Teil des Ganzen, fühlt sich eingebunden, wenngleich es in der Passivität verbleibt. Wie all jene in dem kleinen Dorf, die nur zusehen, gaffen, passiv, sich nicht rühren, sprachlos bleiben. SIG Sauer Pro ist kein Experiment mehr, sondern eine ausgereifte, packende Theaterinszenierung, die neue künstlerische Wege beschreitet und aufzeigt, wie zeitgenössische Inszenierungen funktionieren können.

Leben und Fiktion, Wunsch und Realität. Nichts steht alleine, alles verschränkt sich, bleibt dennoch pur.


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