Sieh, dass du Mensch bleibst!

„Ich warne Sie, jetzt haben Sie noch Zeit, das Theater zu verlassen!“, Anita Zieher steckt ihren Kopf zwischen dem Bühnenvorhang vor, um kurz danach mit einem abgewandelten Zitat von Rosa Luxemburg die Vorstellung zu eröffnen: „Orte sind gefährlich, an denen Dinge benannt werden, wie sie sind.“

Am 17. Februar hatte die „Geheimsache Rosa Luxemburg“ Wien-Premiere. Zuvor schon in Linz gezeigt, schlüpfte Anita Zieher in die Rolle der streitbaren Politikerin. Wie immer, führte Sandra Schüddekopf für das „portraittheater“ Regie, in dem Zieher schon eine ganze Reihe von wichtigen Frauen des 20. Jahrhunderts verkörperte.

Rosa Luxemburg, genauso verehrt wie verachtet, steht in diesem neuen Programm im Mittelpunkt. Zieher zerlegt dafür ihre einzelnen Lebenslinien und verfolgt jede davon im Schnelldurchlauf. Dabei beginnt sie ganz anachronistisch mit ihrem gewaltsamen Tod, der erst in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgeklärt wurde. Wie es dazu kam, dass ihr Leichnam im Jänner 1919 im Landwehrkanal in Berlin ermordet aufgefunden wurde, erfährt das Publikum rasch. Auch, wie oft Rosa Luxemburg im Gefängnis landete. Angefangen von ihrer ersten Verurteilung von drei Monaten wegen Majestätsbeleidigung, die sie von der Dauer her schlicht als eine „Lappalie“ abtat, bis hin zu ihrer letzten Schutzhaft in Breslau, aus der sie berührende Briefe schrieb.

Danach geht es etwas gemütlicher zu, gibt Zieher den Zuseherinnen und Zusehern doch die Möglichkeit, eine Szene in ihrer Ausführung selbst zu bestimmen. Das Liebesleben von Rosa Luxemburg möchte schließlich die „Rosamunde-Pilcher-Fraktion“ im Saal romantisch vorgeführt bekommen. Und so begleitet Ingrid Oberkanins mit leisen Tönen die Erzählungen über die vier Liebhaber und Luxemburgs Ehemann auf ihrem Hang, einer Art verkehrten Steeldrum. Aber auch eine Sitztrommel, ein Vibraphon und ein Sound-Egg kommen zum Einsatz, nicht zuletzt und wenig verwunderlich, wird auch die Internationale an diesem Abend zweimal angestimmt.

Die Musik verleiht der Vorstellung aber keine Leichtigkeit. Denn dieses Gefühl kann Luxemburgs Biografie schwerlich begleiten. Mit einem kurzen Anriss von ihrem wichtigen, theoretischen Werk, der „Einführung in die Nationalökonomie“, zeigt Zieher auch das prophetische Denken der Intellektuellen auf, deren Aussagen zum Teil heute große Brisanz erreicht haben.

Luxemburgs Wesen, streitbar in der Sache, aber zutiefst menschlich in den Gefühlen, wird in jenen Aussagen richtig greifbar, die sich auf ihre Naturliebe beziehen. So wie im Lobpreis auf die am Himmel ziehenden Wolken oder jene zutiefst traurige Stelle, an der Zieher einen Brief vorliest, in dem Luxemburg einen Vorfall beschreibt, in welchem ein Büffel gequält wurde, der danach den Blick eines traurigen, gezüchtigten Kindes hatte, das nicht weiß, warum man es geschlagen hat.

Luxemburgs Hoffnungen auf ein friedliches, gemeinsames, staatenübergreifendes, sozialistisches Zusammengehörigkeitsgefühl, die von der SPD mit der Zustimmung der Kriegskredite zunichtegemacht wurden, sind ebenso Thema wie ihre Auftritte als Rednerin. Anita Zieher gelingt es in eineinhalb Stunden Rosa Luxemburg in einer psychologischen Bandbreite erklärbar zu machen, die nichts mit Romantik oder Verklärung zu tun hat. Damit bietet sie nicht nur jenen Gelegenheit, sich wieder mit dieser Galionsfigur der Linken auseinanderzusetzen, sondern vor allem auch vielen jungen Menschen, für die Rosa Luxemburg noch kein Begriff ist. Ihre Mahnung „sieh, dass du Mensch bleibst“ gilt nicht nur für Alt und Jung, vielmehr ist es ein Aufruf quer über alle politischen Lager hinweg. Ein Aufruf, der heute nicht laut genug in die Welt verbreitet werden kann.


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