Deutschlands drückende ökonomische Überlegenheit in der EU wirft machtpolitische Rendite ab
Ohne Deutschland läuft in der EU nichts mehr. Die neuen machtpolitischen Realitäten innerhalb der Euro-Zone wurden schon im Vorfeld des gestrigen deutsch-französischen Gipfeltreffens in Paris deutlich, das auf Betreiben des französischen Präsidenten Nikolas Sarkozy kurzfristig anberaumt worden war.
Die drückende ökonomische Überlegenheit Deutschlands innerhalb Europas – erkauft durch gnadenloses Lohndumping und aggressive Exportoffensiven zulasten der Euro-Zone – wirft nun auch ihre machtpolitische Rendite ab, wie insbesondere die angelsächsische Konkurrenz genaustens registriert: »Leise übernehmen die Deutschen eine herausragende Rolle innerhalb der EU«, titelte beispielsweise Anfang August das Wall Street Journal (WSJ), das einen »wachsenden Ring von Brüssler Schlüsselfiguren aus dem größten Mitgliedsland der EU« konstatiert. Demnach habe es Berlin in letzter Zeit verstanden, seine Leute in entscheidenden Positionen der zweiten Reihe der europäischen Hierarchie zu plazieren, während die öffentlichkeitswirksamen Posten nicht mit Deutschen besetzt seien. Hierbei nennt das WSJ Uwe Corsepius, den jüngst ernannten Generalsekretär des Europäischen Rates, oder Johannes Laitenberger, seit 2009 Kabinettschef von Kommissionspräsident José Barroso. Noch wichtiger sei aber die Dominanz Berlins in konkreten politischen Fragen: »Wenn Deutschland seine Ansichten ändert, dann tut dies auch die Eurozone.«
Dabei deuteten führende deutsche Politiker bereits die Konditionen an, unter denen sich Berlin auch in der Frage der Euro-Bonds zu einem Sinneswandel bewegen lassen könnte. Deutschland fordert einen partiellen Souveränitätsverlust der europäischen Schuldenländer. Finanzminister Wolfgang Schäuble formulierte das gegenüber dem Spiegel folgendermaßen: »Ich schließe Euro-Bonds aus, solange die Mitgliedsstaaten eine eigene Finanzpolitik betreiben …« Ähnlich argumentierte SPD-Chef Sigmar Gabriel während der Sendung »Bericht aus Berlin«, als er forderte, daß die auf Euro-Bonds zugreifenden Euro-Länder einen »Teil ihrer Souveränitätsrechte für ihre Haushalte abgeben und einer Kontrolle unterwerfen« müßten. Die Bestrebungen Berlins, die Euro-Zone nach dem eigenen Bild umzuformen, wurde auch vom Präsidenten des deutschen Außenhandelsverbandes (BGA), Anton Börner, aufgegriffen, der im Gegenzug für die Einführung der Euro-Bonds die Verankerung einer »Schuldenbremse« nach deutschem Vorbild in den Verfassungen der betreffenden Länder forderte.
Die Konsequenzen des Aufstieg des Krisenprofiteurs Deutschland wurden jüngst vom renommierten privaten Nachrichtendienstleister Stratfor in einer Analyse deutlich benannt: Demnach habe kein Land »mehr von Europa profitiert als Deutschland«. Für die deutsche Elite bildete die Euro-Zone ein Vehikel, mit dem Deutschland auf der »globalen Bühne« agieren könne, »ohne eine militärische Revitalisierung, die in Europa Panik verbreitet« hätte. Im Krisenverlauf habe Berlin bereits seine Möglichkeiten erweitert, »andere EU-Staaten zu beeinflussen – speziell solche mit finanziellen Problemen«. Stratfor nennt hier vor allem den Krisenmechanismus EFSF (European Financial Stability Facility), der sich ausschließlich unter deutscher Kontrolle befinde und Berlin somit in die Lage versetze, maßgeblich die Krisenpolitik der bankrottgefährdeten Euro-Staaten zu beeinflussen. Die BRD könne bereits jetzt »große Mengen an nationaler Souveränität« anderer Eurostaaten »usurpieren«. Deutschland befinde sich erneut an der Schwelle, eine »Großmacht« zu werden. Frankreich hingegen realisiere nun, daß es rapide »die Kontrolle über Europa« verliere. Paris habe die Europäische Union mit der Intention geformt, das deutsche Großmachtstreben einzudämmen, doch nun scheine das »französische Horrorszenario eines zügellosen Deutschland« möglich.