Er greift um sich. Der Wahnsinn des Einzelhandels. Wer am Wochenende die Prospektflut aus seinem Briefkasten gezogen hat, dem schwirrt sicher jetzt noch der Kopf von all den Möglichkeiten, die so ein gemästeter und anschließend geschlachteter Fußball zu bieten scheint. Da werden anlässlich der WM Lebensmittel, die es zuvor im Zehnerpack gab, um ein Teil ergänzt, damit man sie nun als „National-Elf“ verscherbeln kann. Da gibt es Fußballgriller, Fußballwürstchen, Fußballsteaks und natürlich auch noch die Mini-Fußbälle im Glas, die vom Geschmack her eine frappierende Ähnlichkeit mit Wiener Würstchen haben – eben nur in Ballform.
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Weißwurst mit dem Aufdruck “SIEG DEUTSCHLAND” – Na, bravo!
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Aber so eine Fußballzucht (oder Massenfußballhaltung) bietet noch mehr, denn im Gegensatz zu den normalen Viechereien ist so ein Fußball offenbar nicht nur ein Fleischlieferant. Eigentlich scheint er die ideale Kreuzung aus Nutztier und Nutzpflanze zu sein. Und selbst seine anorganischen Bestandteile (woher auch immer die stammen mögen) sind offenbar noch profitabel verwertbar.
Was, ihr glaubt mir nicht? Es gibt beim Bäcker um die Ecke „Fußballbrötchen“ (die sehen aus wie Kaiserbrötchen, nur eben im Fußball-Look), und in meiner Netto-Filiale sogar „Halbzeiteier“ (obwohl ich da vermute, dass der Fußballzüchter zum beiderseitigen Nutzen mit dem Osterhasen kooperiert).
Monsanto arbeitet bösen Zungen zufolge übrigens mit Hochdruck an Wassermelonen in Fußballoptik und Bananen in den Farben diverser Nationalflaggen, um spätestens zur nächsten WM nicht nur mit Genmais punkten zu können. Und als Krönung des Ganzen – tadaa! – gibt es inzwischen sogar Fußballfernbedienungen. Waaaaahnsinn! Von ihrer etwas gewöhnungsbedürftigen Optik einmal abgesehen sind diese natürlich auch bestens dazu geeignet, den deutschen Durchschnittsmann in selbigen zu treiben, falls seine Holde sich so ein Teil zulegt, es unter dem Sofakissen versteckt und mitten im Spiel (möglichst bei einem Angriff der eigenen Elf) eben mal fix auf einen anderen Kanal schaltet.
Andererseits – es gibt sicher einfachere Methoden, Selbstmord zu begehen.
Fußball bevölkert beinahe alle Regale in den Supermärkten. Und über allem weht die deutsche Fahne. Schwarz-Rot-Gold für all jene, die für deformiertes Gebäck, gefärbte Hühnerprodukte, patriotisch eingetüteten Süßkram, in den Nationalfarben verpacktes Fleisch und gemäß dem freudigen Anlass umetikettiertes Bier gern ein wenig tiefer in die Tasche greifen.
Man gönnt sich ja sonst nichts.
Der Buschfunk behauptet übrigens, die Neokons kauften en gros Toilettenpapier in den Nationalfarben. Das zu kommentieren überlasse ich jemand anderem: „Am Arsche, du Kunde!“ Ich werde um diesen ganz bestimmten Bereich im Supermarkt jedenfalls vorläufig einen Bogen machen. Denn falls ich feststellen müsste, dass der WM-Wahn auch vor der Monatshygiene nicht Halt macht, bräuchte ich wahrscheinlich eine Therapie.
Mehr als nur eine Therapie brauchen ganz sicher all jene, die um des guten Eindrucks Willen in Brasilien gerade zwangsumgesiedelt werden, während in Deutschland die Fußballmonarchie wiederbelebt wird. Und wenn die Menschen sich hier Fahnen schwenkend durch die Straßen gröhlen, dann sicher nicht, um auf die Opfer dieser zu reinem Kommerz verkommenen Veranstaltung aufmerksam zu machen. Der Ball rollt, Bier fließt in vom begeisterten Brüllen raue Kehlen und auf dem Grill brutzeln die Fußballsteaks aus garantiert nicht artgerechter Haltung.
Der Einzelhandel frohlockt, denn König Fußball regiert ab heute. Und es interessiert uns einen Dreck, dass er nur eine Marionette ist, um uns mit Brot und Spielen vom Denken abzuhalten. Und vielleicht von Seiten der Politik ein wenig (mehr) an unseren Rechten und Freiheiten herumzuschnippeln.
In diesem Sinne: Eine schöne WM!
wünscht Euch Heidi Langer
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“Eine WM für alle wird es nicht geben!”
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Quellen – weiterführende Links
Video: “Brasil 2014 Wurst!” (Weißwurst) gefunden auf youtube.de, uploader: zugis würstl