Als Wulff das Unglaubliche tat ... das für die Öffentlichkeit Unglaubliche tat, dem Journalismus in die Quere zu funken, ihn anleiten, verbieten und ausrichten zu wollen, da ging ein Aufschrei durch alle Gazetten und über jeglichen Sender, unter Stammtische und durch die Sitzgelegenheiten morgendlicher Busfahrten zur Arbeitsplatz oder zur Behörde hindurch. Wulff hatte sich da ein ganz besonderes Delikt gegen die Pressefreiheit geleistet. Doch die Debatte damals war verlogen, nicht weil Wulff schuldlos war, sondern weil der politische Eingriff in journalistische Arbeit nichts war und ist, was besonders selten vorkommt. Man lese bitte nur die unkritischen Regionalseiten der örtlichen Zeitung, in denen manches kommunalpolitische Klüngelstück umgeschrieben oder wenigstens affirmativ umschrieben wird.
Dass Wulff kein Frevelstück per se abgeliefert hat, nicht der Erfinder der Einflussnahme ist, konnte man in den letzten Wochen gut erkennen. Ein relativer Unbekanntling wie Strepp tat es - der Karrierist Söder sowieso. Die Verlogenheit, mit der man Wulff seinerzeit als untragbar für ein politisches Amt kennzeichnete, weil er in Versuchung geriet, die Arbeit eines Teiles der Publikative zu dominieren, wird just in dem Augenblick offenbar, da man nun mehrfache Berichte über politische Beeinflussung von Medien vernimmt. Wir verschweigen an dieser Stelle tunlichst, dass a) die von Wulff beeinflusste Sparte des Journalismus nichts weiter war, als das Einreden auf Boulevardgeschmiere (während Schrepp und Söder auf politisch inhaltliche Berichte einwirken wollten) und b), dass die Beeinflussung meist nur persönliche und cliqueske Gründe hat, denn ökonomisch sind die amtierenden Qualitätsmedien fast schon tiefenpsychologisch beeinflusst genug, um keine Anleitung mehr zu benötigen.
Die Heuchelei, der sich die Medien damals bei Wulff, dann bei Strepp und sonderbarerweise nun weniger bei Söder, bedienen, ist es, dass man so tut, als hätten Politik und Medien niemals aufeinander aufgebaut, sich instruiert, sich anempfohlen. Das haben sie immer, je tiefer auf der politischen Leiter, desto näher und inniger die Beziehung; es soll auch Standleitungen von Bürgermeistern in Lokalredaktionen geben. Und die geistig-moralische Wende, der Rechtsschwenk der Medien hin zum new conservatism, wäre ohne politische Infiltration, ohne die Kopulation von auf Linie einschwörenden Medien und Linienrichtern aus der Politik, gar nicht denkbar.
Natürlich ist es richtig, Wulff, Strepp und Söder an den Pranger zu stellen, die Strukturen dahinter zu eröffnen, wonach bei den beiden letzteren beispielsweise ein Parteivorsitzender steht, der im Aufsichtsrat jenes Senders sitzt, den sie beeinflussen wollten. Natürlich muss schonungslos gesagt werden, welches dreiste Stück sich diese Musterdemokraten da leisteten. Aber dieser Kampf für die Pressefreiheit, den sich die Presse da selbst ersinnt, hätte doch wesentlich weiter zu gehen.
"Ich werde jede Woche dafür bezahlt, meine ehrliche Meinung aus der Zeitung herauszuhalten, bei der ich angestellt bin. [...] Es ist das Geschäft des Journalisten, die Wahrheit zu zerstören, unumwunden zu lügen, zu pervertieren, zu verleumden, die Füße des Mammon zu lecken und das Land zu verkaufen für ihr tägliches Brot. [...] Wir sind die Werkzeuge und Vasallen der reichen Männer hinter der Szene. Wir sind die Hampelmänner, sie ziehen die Strippen und wir tanzen" sagte John Swinton um das Jahr 1880 herum.
Der hiesige Anschlag politischer Personen auf die Pressefreiheit wird zum Kampf gegen die Beeinflussung, zum Kampf für eine freie Presse stilisiert. Es ist aber nicht mehr, als der Streit zwischen politischen Eliten und den Funktions- und Wissenseliten eines Systems, das für den Superreichtum geschaffen ist. Es ist der Popanz, der aufgebaut wird, um die beeinflussten und instruierten Systemkonzepte, die die Medien ausmachen, gerade auf ökonomischen Pflaster, zu erhalten. Wulff, Strepp und Söder sind dankbare Feindbilder, weil sie den Anschein wecken, es ginge um journalistische Freiheit, während eben dieser freie Journalismus fast hundertprozentig in Abhängigkeit zu denen steht, die als Milliardäre ein System aufrechterhalten wollen, in dem sie als anonyme Giganten hinter den Kulissen wirken können.
Die politischen Beeinflusser zu pflücken und zu rupfen ist nicht falsch. Aber man tue doch bitte nicht so, als geschähe das im Namen einer freien Presse. Denn sie ist nicht mal frei genug, die herrschende Ökonomie als das zu bezeichnen, was sie ist. Als ein Verbrechen an vielen Menschen, als einen Bereicherungsmechanismus für den Reichtum, als einen Atomisierer sozialer Strukturen und Institutionen. Die Chuzpe solcher Gestalten wie Söder, die verärgert - ihr Pech ist jedoch, dass sie nicht anonym einflüsterten, wie es jene Beeinflusser können, die über den Umweg ihrer Konzern- und Finanzeliten auf die Presse einzuwirken verstehen.
Die Presse muss Strepp und Söder dankbar sein. Denn sie halten mit ihrer Intervention die Mär aufrecht, wonach die westliche Presse standhaft ist gegen solche, die sie quasi planwirtschaftlich leiten möchten. Sie muss auch denen dankbar sein, die geifern, wenn ihr Prophet verspottet wird, denn sie nähren das Märchen, demnach absolute Pressefreiheit auch im Westen möglich wäre. Und die Profiteure eines Weltsystems, in dem das Geld immer wieder vermehrt zum Geld zurückkehrt, müssten den Wulffs, Söders und Strepps sowieso dankbar sein - sie lenken so schön ab.