Der sehr verehrte Kollege und Mitpirat Burkhard Schröder aka. Burks hat gestern in seinem Blog einen langen Artikel zum Thema “Integration” verfasst.
Interessant daran ist, dass Burks die ganze Problematik von einer ganz anderen Seite her angeht – er fragt, ob nicht vielleicht unsere Festlegung als “Nation” eine Grundlage dafür bildet, dass wir in Deutschland besondere Probleme damit haben, “Fremdes” aufzunehmen.
Nation ist immer frei erfunden, ein Mythos, der eine subjektive Gemeinschaft konstituieren soll. Der Mythos gibt die “virtuellen Eckwerte vor, die die reale Welt per Gesetz definiert. Wer heute darüber streitet, wer wie Deutscher sein dürfe, kann sich nicht vom historischen Ballast des nationalen Diskurses seit dem 18. Jahrhundert lösen.
Davon ausgehend, folgert er:
Die Nation als moralische Instanz hat sich im protestantisch geprägten Preussen beispielhaft entwickelt. Im Gegensatz zu Frankreich konzentrierte sich der öffentliche Konsens derjenigen, die zur deutschen Nation gehören durften, seit jeher nicht darauf, die Teilhabe an der politischen Macht zu fordern und an ihr zu partizipieren, sondern, als eine Art kompensatorischer Gratifikation, auf den moralischen Appell an den Gemeinsinn. Emanzipation steht in Deutschland aus historischen Gründen immer unter dem Zwang, sich in das nationale Kollektiv integrieren zu müssen.
was für mich erst einmal logisch – na sagen wir: schlüssig – klingt. Immerhin wurde das, was wir heute als deutsche Nation verstehen, aus einer Vielzahl von Kleinstaaten zusammen gekratzt. Und es fällt offenbar schwer, das so mühsam Errungene in einem offeneren Kontext zu sehen.
Nation, wie der Mainstream sie in Deutschland versteht und assoziiert, reproduziert immer noch einen kolonialen Diskurs, der in anderen europäischen Länder schon längst obsolet geworden ist [...] Dieser Art von Nation liegt der Wunsch zugrunde, sich mit einem homogenen Ganzen zu identifizieren, das Bedürfnis, sich des eigenen überlegenen Selbst zu vergewissern.
Und weiter:
Der Begriff der Nation sagt etwas darüber aus, wer dazugehört und wer nicht. “Ausländer” ist im strengen Sinne des Wortes eine juristische Kategorie: Ausländer ist, wer nicht zum Staatsvolk gehört. [...] Die Menschenrechte gelten jedoch unabhängig nationaler Vorschriften überall. [...] Der Artikel Eins des Grundgesetzes: “Die Würde des Menschen ist unantastbar” ist ein Menschenrecht, das nicht nur für Deutsche, sondern auch für Ausländer in Deutschland gilt.
Womit wir wieder bei Hannah Arendt sind und der von Ihr aufgezeigten Unmöglichkeit, sein (Menschen)Recht einzuklagen, wenn es kein Gericht gibt, dass die Klage entgegennimmt (siehe auch hier).
Denn das Unglück der Rechtlosen liegt nicht darin, daß er des Rechtes auf Leben, auf Freiheit, auf Streben nach Glück, der Gleicheit vor dem Gesetz oder gar der Meinungsfreiheit beraubt ist [...] die Rechtlosigkeit … entspringt einzig der Tatsache, daß der von ihr Befallene zu keiner irgendwie gearteten Gemeinschaft gehört. Es ist sinnlos, Gleichheit vor dem Gesetz für den zu verlangen, für den es kein Gesetz gibt… (Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft – Seite 611 ff)
Auch Burks bezieht sich auf Arendt – allerdings auf eine Äußerung (aus dem eben zitierten Buch), in der sie auf den “Unterschied zwischen der französischen Nation der Staatsbürger und der deutschen Kulturnation” verweist.
Er zieht den Schluss, dass
Die Dichotomie zwischen In- und “Aus”ländern suggeriert, die da draussen müssten sich denen da drinnen kulturell angleichen, die inneren Eigenschaften des Deutschen übernehmen, um in den Genuss derer Privilegien zu kommen. Der vorgebliche “fremdenfreundliche” und verzweifelt hilflose Pro-Ausländer-Diskurs kann diesem Dilemma nicht entrinnen, er produziert erst die Vorurteile, die er eigentlich bekämpfen will.
Auch wenn es auf den ersten Blick irritiert, ist es doch ein grundlegend demokratisch und humanistisches Denken, wenn Burks auf die Bemerkung des CDU-Politikers Meinhard Belle “Unabdingbar für die Einbürgerung ist die Beherrschung der deutschen Sprache. Sie ist grundlegende Voraussetzung und Schlüssel für die Integration.” antwortet:
Integration in was? Und wie sieht das Ergebnis aus? Ein Migrant, der die Sprache seines neuen Heimatlandes nicht lernt, ist schlicht dumm und darf sich nicht wundern, wenn er weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt hat. Aber war hat das mit der Einbürgerung zu tun?
Ich sehe das ein wenig anders; und ohne in das Horn des Herrn Belle stoßen zu wollen: Deutsch zu lernen scheint mir eine der Grundbedingungungen zu sein, um am demokratischen System des Staates teilhaben zu können. Natürlich muss das niemand tun; ich halte daher auch alle Maßnahmen für kontraproduktiv, die per staatlich verordnetem Zwang den Migranten das Deutsche beibringen wollen. Hier braucht es Aufklärung. Und das kostet Zeit und Kraft und gute Argumente. Beides scheint jedoch nicht politischer Wille zu sein. Zumal deshalb nicht, weil “Ergebnisse” nicht innerhalb einer Wahlperiode zu erwarten sind. Und damit wird das Projekt für Berufspolitiker uninteressant. Da macht es sich besser, demagogisch auf die “integrationsunwilligen Migranten” mit dem Finger zu zeigen.
Dieses Land, in dem wir leben, ist reich. Auch wenn uns die Damen und Herren Regierenden etwas Anderes einreden möchten. Die Grundfrage bleibt: wie wird der Reichtum verteilt? Und in dieser Frage versagen (von meinem Standpunkt aus, die positiv Betroffen werden das sicher anders sehen) die schwarz-gelben Lobby-Marionetten. Dieses Land könnte sich problemlos leisten, einige wenige zu finanzieren, die sich weigern, die deutsche Sprache zu lernen. Es muss diese Menschen nicht mehr unterstützen wie andere Bedürftige. Aber es muss – ganz im Sinne des Artikel 1 GG – sie gleich behandeln.
Nic
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