Der russische Außenminister Sergej Sasonow faltet den österreichischen Botschafter zusammen
Der österreichische Botschafter in Sankt Petersburg, Friedrich von Szápáry, hat keine leichte Arbeitswoche. Vor drei Tagen hat ihm der französische Staatspräsident Raymond Poincaré öffentlich und unverhohlen gedroht. Am 24. Juli 1914 – heute vor 100 Jahren – steht Szápáry im Büro des russischen Außenministers Sergej Sasonow und wird erneut regelrecht zusammengefaltet.
Friedrich von SzápárySchon die Begrüßung ist frostig: „Ich weiß, was Sie zu mir führt“, herrscht Sasonow seinen Gast an, „ich werde mich aber zu dieser Note an Belgrad Ihnen gegenüber nicht äußern.“ Anhören muss er sie aber. Innerlich aufgewühlt, aber äußerlich geschäftsmäßig trägt Szápáry ihm vor, wie Österreich seine Forderungen an Serbien formuliert und begründet hat. Auch Sasonows angekündigtes Schweigen hält nicht lange. Kaum, dass der österreichische Botschafter die Ursachen des Attentats in Belgrad verortet hat, geht der russische Außenmister dazwischen. Wie die Österreicher das belegen wollen, will er wissen. Von da an unterbricht er Szápárys Vortrag immer wieder. Rasch ist klar: Die Russen werden die serbische Regierung decken – komme, was da wolle...
Sergej SasonowSergej Dimitrijewitsch Sasonow, geboren 1860, schlägt schon im zarten Alter von 23 Jahren die diplomatische Laufbahn ein und macht eine steile Karriere: In England versieht er seinen Dienst als Botschaftssekretär, beim Heiligen Stuhl vertritt er das russische Reich als Botschafter, ehe er schließlich über familiäre Beziehungen zum Außenminister des Zaren berufen wird. Dort genießt er den zweifelhaften Ruf eines Zauderers, der gerne auf Sicht fährt. Vor allem die Militärs und die französischen Verbündeten fürchten, dass Sasonow alle eventuellen Kriegspläne durchkreuzen wird, seine Politik gilt als zuwartend und auf Ausgleich bedacht. Was für eine Fehleinschätzung! Vor allem mit Blick auf Berlin scheut Sasonow die Auseinandersetzung nicht. Zwar ist er mit dem deutschen Botschafter Friedrich von Poutalés gut befreundet, aber im Laufe seiner Außenamtszeit ist die Bewunderung Deutschlands der Angst vor dessen militärischer Stärke und seinen kriegerischen Absichten. So tief sitzt das Misstrauen, dass Sasonow im österreichischen Ultimatum nur einen Vorwand sieht, den die Deutschen nutzen wollen, um das Russland zu vernichten. Die Wut des Außenministers entlädt sich über dem österreichischen Botschafter, der sein Ultimatum vortragen will.
„Sie wollen den Krieg und brechen die Brücken hinter sich ab!“ Friedrich von Szápáry verweist tapfer auf die Friedensliebe seines Kaisers Franz Joseph. „Man sieht ja, wie friedlich Sie sind“, Sasonows winkt verächtlich ab, „Sie stecken Europa in Brand!“ Nach diesem unerquicklichen Gespräch bereitet sich der russische Außenminister darauf vor, seinem Zaren zu berichten. In seinem Vortrag bei Nikolaus II. wird er vor allem auf die Bedrohung Serbiens hinweisen, um die Genehmigung zur Kriegsvorbereitung zu erbitten, auch wenn er bereits in größeren Zusammenhängen denkt. Denn einen Teilmobilmachungsplan sieht der russische Generalstab gar nicht vor. Wenn die russische Armee aufmarschiert, dann direkt auch an der deutschen Grenze. Das weiß Sasonow und auch die Konsequenzen, eine deutsche Mobilmachung, nimmt er nach nur kurzem Zögern in Kauf. Die Russen werden die ersten sein, die sich (ab dem 26. Juli 1914) konkret auf den Großen Krieg vorbereiten – im Geheimen zwar, aber deshalb nicht minder ernsthaft…