Sie können's nicht lassen

Von Stefan Sasse
Manchmal hat man das Gefühl, dass Konservative ein Gen haben, das sie dazu zwingt, die LINKE als extremistische Partei einstufen und verfolgen lassen zu wollen. Dass die LINKE keine Bedrohung für die Demokratie ist, hat sich inzwischen eigentlich sogar in deren Kreisen rumgesprochen, und angesichts der aktuellen Umfragewerte sollte eigentlich auch keine ernsthafte Bedrohung für die CDU selbst da sein. Trotzdem entblödet sich Lutz Kiesewetter, der Vorsitzende der Schüler-Union, nicht, mit einem geschmackvollen Vorschlag einen Tag vor der Gedenkminute an die Opfer der Nazi-Morde Furore zu machen: alle Lehrer, meint er, sollten ihre Parteizugehörigkeit offen legen. „Die Serie rechtsextremistischer Morde hat gezeigt, dass wir beim Kampf gegen solches Gedankengut frühzeitig ansetzen müssen", erläuterte er dazu der Welt. Vielleicht liegt das daran, dass ich ein ungenauer Leser bin, aber irgendwie ist mir die Mordwelle rechtsextremer Lehrer bisher entgangen. Aber es geht noch weiter: "Bei Mitgliedern der NPD und der Linkspartei hält Kiesewetter auch eine Überprüfung des Umfelds des Lehrers sowie unangekündigte Unterrichtsbesuche für angemessen." Ja, das ist clever. Denn vermutlich wird ein Lehrer bei einem unangekündigten Unterrichtsbesuch keine Chance haben, keine extremistischen Bemerkungen zu machen. Schließlich bemerkt ja keiner, wenn plötzlich ein älterer Herr im Anzug hinten in der Klasse sitzt. 
Der Vorschlag ist so dämlich, dass man ihn eigentlich nur hernehmen kann, um zwei Themenkomplexe exemplarisch abzuhandeln. Der erste ist die ständige Gleichsetzung von NPD und LINKE, die konservative Kreise unendlich subtil zu betreiben versuchen, das zweite ist die Frage politischer Einflussnahme durch die Lehrer. Fangen wir mit dem ersten an. Nicht erst seit den Skandalen um Kristina Schröders Gleichsetzung von Links- und Rechtsextremismus wurde vermehrt darauf hingewiesen, dass das Gefahrenpotential sich radikal unterscheidet (das wird übrigens in der aktuellen Ausgabe von "Aus Politik und Zeitgeschichte", die sich mit Extremismus befasst und leider erst nächste Woche auf den Seiten der BPB online gehen wird, differenziert besprochen) und die Gleichsetzung deswegen kaum statthaft ist. Der Verfassungsschutz-Skandal über die Überwachung von LINKE-Abgeordneten hat ebenfalls noch einmal quasi amtlich bestätigt, dass obwohl es verfassungsfeindliche Individuen in der Partei geben mag, die Partei als Ganzes nicht als verfassungsfeindlich einzustufen ist, und jeder, der mal in das Programm gelinst hat kann das auch nachvollziehen. Man muss die Positionen der Partei nicht gut finden um zu akzeptieren, dass sie ein legitimer Konkurrent um die Macht in einer Demokratie ist. 
Der zweite Komplex befasst sich mit der politischen Einstellung der Lehrer. Tatsächlich ist im Umgang mit Schülern große Sorgfalt geboten, da sie noch relativ leicht beeinflusst werden können. Gleichzeitig aber sollen Lehrer Mitglieder in Parteien sein, denn sie sind Vorbilder, und Schüler sollen zur demokratischen Partizipation angehalten werden - das ist offizieller Teil unserer Jobbeschreibung. Hier in Baden-Württemberg wurde deswegen für Fragen der politischen Bildung der so genannte "Beutelsbacher Konsens" erarbeitet, der recht klare Grundregeln formuliert: einerseits ist es dem Lehrer verboten, die Schüler zu überwältigen - was angesichts des wesentlich größeren Fachwissens und der höheren Lebensreife schnell passiert - und andererseits sind sie angehalten, das Prinzip der Kontroversität einzuhalten. Das heißt, dass alle Themen, die in der Öffentlichkeit kontrovers sind, auch im Unterricht kontrovers sein müssen. Es dürfen hier also keine finalen Antworten geboten werden; stets müssen alle Meinungen zugelassen sein. Sieht man einmal von den grundrechtlichen Problemen von Kiesewetters Vorschlag ab, würde er auch gegen diese Prinzipien verstoßen. Ein offener Gesinnungstest für Lehrer würde jede Kontroversität und Überwältigungsvermeidung zunichte machen, denn der Staat würde reichlich offen Partei ergreifen und bestimmte Meinungen brandmarken. Aber wahrscheinlich bereitet sich Kiesewetter ohnehin nur auf den nächsten Karrieresprung innerhalb der Jungen Union vor.

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