Köpfe wechseln sie aus - das ist ihre Parteireform. Inhaltlich überarbeiten sie nichts, die Liberalen. Wen wunderts! Welche Inhalte sollten sie denn überarbeiten wollen? Sie haben ja nur einen und den können sie, mit Bedacht auf ihre Klientel, auch nicht einfach mal so abändern und umkehren. Den Sozialdarwinismus kann man nur schlecht reformieren - er kennt ja keine Reform, er kennt nur... nein, nicht Revolution: Evolution! Oder das, was die Jünger dieser Lehre dafür halten. Reichtum ist nach deren Weltempfinden ein evolutionäres Prinzip - Armut freilich auch. Das ist Naturgesetz und wer da rumfummelt, wer dem Naturgesetz ein Schnippchen schlagen will und so was Unnatürliches wie Sozialgesetzgebung zur gesellschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Partizipation vorschlägt, der versündigt sich an der der Umwelt, am Naturreich, an der Natürlichkeit des Menschen.
Daher Parolen wie "Steuern runter!" oder "Mehr Netto vom Brutto!" - das sind für Liberale aus dem Thomas-Dehler-Haus keine plumpen politischen Losungen: es sind Rufe aus der Natur. So wie Vögleingezwitscher oder Wildschweingrunzer Geräusche aus der Natur sind, so sind Appelle wie "Steuern runter!" und "Sozialstaat abbauen!" für Liberale Naturklänge - denn der Mensch ist eben reich oder arm, weil es ihm natürlicherweise in die Wiege gelegt oder in die Gene kopuliert wurde. "Leistung muß sich wieder lohnen!" ist ja nicht für Krankenschwester oder Müllmann gedacht, schon gar nicht irgendwelche Erwerbslose: das wäre ja naturwidrig! Damit sind diejenigen gemeint, denen die Natur ein dickes Konto eingerichtet hat. Mehr oder weniger zu haben liegt eben in der Natur des Menschen - so war es immer, so wird es immer sein; Naturgesetze sind ja unumkehrbar und ewig.
Ja, wenn sie nur so bedingungslos naturlieb wären, diese Feiglinge. Sind sie aber nicht! Da tanzen sie um ihr goldenes Kalb, das sie Leistungsträger und Minderleister nennen, das aber eigentlich das Recht des Stärkeren getauft werden müsste - und rufen laut Polizei! Polizei!, wenn sich Schwache zusammenrotten, um in der Villa des Starken "einkaufen" zu gehen. Nichts mehr von "So gehts halt zu in der Natur!" Wenn sie nur konsequent wären, die Damen und Herren der darwinistischen Vorschule; wenn sie nur lobende Worte für die Überlebensstrategien dieser (Sozial-)Evolution fänden - dann könnte man ja noch so was wie Verständnis für sie aufbringen. Aber nein, sie rufen Polizei! Polizei! und tricksen plötzlich die wundersamen Strategien des Überlebenskampfes in der Natur aus, wie er sich mannigfaltig zeigt. Denn Evolution, die Grundlage auch des Sozialdarwinismus, ist ja nicht das Überleben des Stärksten, es ist das Überleben der Gruppe oder Gattung, die am besten angepasst ist. Die Strategien dorthin sind allerdings viel vielfältiger als diese stupide Gerede von "Die besten Gene setzen sich durch!" Tun sie eben nicht; oder doch eher selten. Strategie ist auch, dass sich Gruppen zusammenschließen und gemeinsam ihr Überleben sichern - das ist die soziale Komponente der Gattung Mensch; daher rührt, so sagen Linguisten, die menschliche Entwicklung der Sprache. Die Gruppenmitglieder müssen dabei eben nicht allesamt beste Läufer, beste Springer, beste Jäger sei - die Gruppendynamik hebt den "Zwang zum Besten" auf; der Durchschnitt kann überleben - eigentlich entwickelt sich in der Evolution vorallem der Durchschnitt weiter...
Angewandt auf die zusammengerotteten Habenichtse bedeutet das, dass die als Gruppe ein vollkommen normales und über Hunderttausende von Jahren adäquates Prinzip der Evolution aufgreifen. Als Anhängerschaft evolutionärer Ideen, die die Liberalen gemeinhin ja sind, müssten sie eigentlich entzückt sein, dass da jemand Überlebenskniffe leibt und lebt. Das ist doch genau deren Metier; das ist doch die vielgelobte Natur, die Reiche reich und Arme arm sein läßt - da erlaubt es der survival of the fittest, dass man andere Strategien ergreift, tut sich zusammen, schlägt das Gartentor ein, schiebt den Mercedes zur Seite, kracht durch die Haustüre, leert den Kühlschrank und kackt auf einem vergoldeten Abort - ergaunert sich kurzzeitig den Reichtum, den andere von Natur aus haben. Wobei diejenigen, die sich den Reichtum so ungehobelt aneignen, ihn auch natürlich erworben haben: als Gruppe, die ihr Überleben in die Hand nahm. Bis die Polizei kommt, die die Eindringlinge in Handschellen legt und abführt - die Polizei, dein Freund und Helfer; die Polizei, der Evolutionsschreck, der das Gleichgewicht der Natur stört. Und wer hat sie gerufen? Natürlich, der liberale Naturbursche! Vorher noch erläutern, dass die Natur eben nicht schlecht oder gut ist, sie ist halt einfach so wie sie ist - daher ist Reichtum nichts Böses oder Gutes und Armut gleichfalls nicht: es ist etwas Hinnehmbares, mit dem man sich bitteschön abfinden sollte. Keine Neiddebatte bitte, denn das ist unnatürlich!
Nun ist das Szenario eindringender Rotten nicht alltagstauglich. Es geschieht selten, dass die Armut sich marodierend zusammenrauft - Liberale, die den Sozialstaat auf ein Blatt Papier zeichnen sollen, würde diese Bild aber wahrscheinlich wählen. Sozialstaat ist, wenn abgerissene Gestalten in mein Chalet eindringen, würden sie drunterschreiben. Das ist es, was man den Naturalisten aus dem Thomas-Dehler-Haus vorwerfen muß. Nicht, dass sie keine Sozialpolitik machten: das kennen wir ja und das zeichnet sie ja in ihrer Rolle als Klassisten und Sozialdarwinisten aus - Sozialpolitik ist unnatürlich, ist damit also ein Frevel an der Ausgeglichenheit und Ausgewogenheit der Natur. Diese mag zwar manchmal auf das menschliche Gemüt hart und unerbitterlich wirken, bekennen auch diese in sentimentalen Augenblicken, aber Moralhubern bringt uns da ja nicht weiter. Warum also jetzt nachlegen und so tun, als habe doch ein bisschen Sozialstaat Berechtigung in einem gelben Parteibüchlein? Nein, man muß ihnen vorwerfen, dass sie Naturburschen sind, die aber immer dann nach Eingriffen in die natürlichen Prozesse des Darwinismus rufen, wenn sie als Verlierer den Überlebenskampf verlassen könnten. Solange sie als Reiche Arme ausplündern, soll es kein Kontrollorgan geben - Kontrollorgane hat die Natur nicht vorgesehen. Wenn aber die Armen plündern wollen, dann Polizei! Polizei! Denn das ist ja unzivilisiert, Plünderei ist nicht zivil - da braucht es schnell Uniformierte zum Schutz der Zivilisation. Ansonsten sind sie aber selber keine Freunde der civitas, sondern fabulieren ja stets vom Menschen in der Natur - oder dem, was sie dafür halten.
Und nun stemmen sie sich gegen ihren parteilich organisierten Untergang, diese Egomanen und Gelblinge! Dabei ist es nur natürlich, dass Organismen sterben, wenn sie sich als nicht überlebensfähig erwiesen haben. Warum aufbegehren gegen den natürlichen Gang der Dinge? Warum nicht liegenbleiben oder verenden, wie es die Natur so schön vorgesehen hat? Was tun sie stattdessen? Köpfe wechseln sie aus - das ist das Röcheln, das ist Todeszucken, der letzte hilflose Versuch, doch noch weiterzuleben...