Von Jürgen Voß
So oder ähnlich müsste man überschreiben, was sich die Süddeutsche Zeitung seit nunmehr über 20 Jahren in Sachen Demografie an Unfug zusammenschreibt.
Ob „Wir schrumpfen dramatisch!“ (obwohl die Bevölkerungszahl in den letzten 20 Jahren um über 4 Millionen gestiegen ist), ob „Heute ernähren 4 Erwerbstätige einen Rentner, morgen wird es nur noch einer sein!“ (bei gerade noch 20 Mio. sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen und fast 21 Mio. Renten), all dies vielfach widerlegt und immer wieder als pure Legitimationsideologie für neoliberales Sozialdumping entlarvt, es schien so, als gäbe es keine Steigerung mehr an Plumpheit und Irrationalität in der Demografiedebatte, so, als hätten sich die Alarmisten und Dramatisierer endgültig ausgetobt.
Bis am letzten Samstag in der Wochenendausgabe der SZ Petra Steinberger mit „Endstation Jugend“ zu einem Rundschlag ausholen durfte (bezeichnenderweise trägt der Titel das Bild eines boxenden Jungen), der alles an Irrsinn in den Schatten stellt, was die Süddeutsche (und nicht nur sie!) in den letzten beiden Jahrzehnten in Sachen Demografie ihren Lesern zugemutet hat.
Die Lektüre dieses Pamphletes wird in Gänze empfohlen und kann hier nur in wenigen Kostproben wieder gegeben werden. Der Tenor ist der altbekannte: Die jetzigen Alten haben es versäumt, wegen ihrer hedonistischen Lebenseinstellung in ausreichendem Maße Nachwuchs zu zeugen, und drohen nun, mit ihrer Sperrmajorität für immer die Herrschaft zu übernehmen. Nicht ohne Grund führt Steinberger mit den Szenarien des demagogischen ZDF- Machwerks„2030 – Aufstand der Jungen“ ihr Essay ein.
Um dann weiterzuführen: „Der Generationenvertrag, der die Grundlage des moder-nen Sozialstaates bildet, wird gerade von jener Generation gebrochen, die im Jahre 2030 die Mehrheit der Alten stellen wird. Es ist die Generation der Nachkriegskinder, die zwischen 1945 und 1967 geboren wurde – die Generation der Babyboomer.“ …..die Anzeichen für diesen Bruch seien „bereits überall zu entdecken“. Bei den „Studenten in England…oder bei den jungen Männern in Tunesien, die gerade durch Perspektivlosigkeit und mangels irgendeiner Chance noch Arbeit zu finden, in den gewaltsamen Protest getrieben werden.“
Es ist schon fast drollig, wie hier Nationen mit völlig unterschiedlichen Demografien nur anhand des Symptoms „Unruhige Jugend“ über einen Leisten gezogen wer-den. In Tunesien ist ja gerade der Generationenvertrag im Steinbergerschen Sinne nicht gebrochen, handelt es sich eben nicht um eine überalterte Gesellschaft, son-dern um eine überjüngte, in der – wie in allen Maghrebstaaten - die Mehrheit der Menschen unter dreißig ist; besteht die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen ja gerade deshalb, weil sie so zahlreich sind, weil die Konkurrenz um die wenigen Arbeitsplätze so stark ist.
Und in Europa? Dieser Logik zufolge müsste man sich doch angesichts der Knapp-heit der jetzigen jungen Generation um die wenigen jungen Menschen geradezu reißen, ja, müsste seit den Geburtsjahrgängen 1970 ff. praktisch Vollbeschäftigung herrschen. Warum geht man denn mit den wenigen jungen Menschen so barbarisch um, und jagt selbst die Hochqualifizierten von einem Praktikum ins andere. Ist also an den katastrophalen Verhältnissen des Arbeitsmarktes nun die heutige Rentnergeneration schuld oder ist dies das Resultat eines seit 1990 völlig gewandelten Kapitalismus, der nicht mehr auf kooperativen Konsens sondern auf brutale Ausbeutung setzt?
Hat das vielleicht gar nichts mit Demografie sondern viel mehr mit Neoliberalimus zu tun? Wären die Verhältnisse denn besser, wenn die heutige junge Generation dop-pelt so stark wäre?
Doch es kommt noch schlimmer: „Nachdem sie (die Alten d. V.)) ein Leben in freier Liebe genossen haben, der kostenlosen Schulspeisungen, der kostenlosen Universitäten, der festgelegten Rentenzahlungen, eine Leben beinahe in Vollbeschäftigung und in einen 40 Jahre anhaltenden Immobilienboom, vermachen sie ihren Kindern nun himmelhohe Immobilienpreise, Schulden und schrumpfende Renten“ Diese Einschätzung der Babyboomer von Will Hutton, so Petra Steinberger, „gilt zweifellos, unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten, in der gesamten westlichen Welt.“
Wie bitte?Eigentümlich nur, dass der heute 55 jährige (Geburtsjahrgang 1956, also nach Steinberger ein klassischer Babyboomer) ganz andere Lebenserfahrungen gemacht hat. Denn 1972, als er 17 Jahre alt war, war Schluss mit dem „Golden Age of capitalism“, seit 1973 herrschte in allen westlichen Ländern Massenarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel; Lehrer- und generell Akademikerarbeitslosigkeit, Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst; seit 1990 nur noch lächerliche Lohnerhöhungen, Rückbau der sozialen Sicherungssysteme durch unzählige Rentenreformgesetze und sog. Kostendämpfungsgesetze. Immer schlechtere Leistungen der Sozialsysteme bei immer höheren Beitragssätzen, massive Verschlechterung der beruflichen Perspektiven und seit der berühmten Agenda 2010 massenhaft Leiharbeit zu Löhnen des Jahres 1980 und früher und nach einem Jahr Arbeitslosigkeit geht’s in den Abgrund.
Dieser Babyboomer macht also eine ganz andere Bilanz auf als Steinberger. Deren Bilanz gilt bestenfalls für die Geburtsjahrgänge der Mittdreißiger Jahre. Bedingt durch die großen Verluste an Menschen der 20er Jahrgänge im Kriege hatten die Mittdreißiger in den fünfziger und sechziger Jahren zugegeben atemberaubend gute Berufschancen. Aber danach?
Gerade 11 Jahre Vollbeschäftigung hat es in der Geschichte der BRD gegeben. Und in diesen Jahren waren auch die Geburtenziffern am höchsten. Zufall? Oder Ausdruck von sozialer Sicherheit? Darüber sollten die Demografieideologen a la Petra Steinberger mal nachdenken, bevor sie eine ganze Generation älterer Men-schen für neoliberalen Unsinn haftbar machen!
So oder ähnlich müsste man überschreiben, was sich die Süddeutsche Zeitung seit nunmehr über 20 Jahren in Sachen Demografie an Unfug zusammenschreibt.
Ob „Wir schrumpfen dramatisch!“ (obwohl die Bevölkerungszahl in den letzten 20 Jahren um über 4 Millionen gestiegen ist), ob „Heute ernähren 4 Erwerbstätige einen Rentner, morgen wird es nur noch einer sein!“ (bei gerade noch 20 Mio. sozialversicherungspflichtigen Vollzeitstellen und fast 21 Mio. Renten), all dies vielfach widerlegt und immer wieder als pure Legitimationsideologie für neoliberales Sozialdumping entlarvt, es schien so, als gäbe es keine Steigerung mehr an Plumpheit und Irrationalität in der Demografiedebatte, so, als hätten sich die Alarmisten und Dramatisierer endgültig ausgetobt.
Bis am letzten Samstag in der Wochenendausgabe der SZ Petra Steinberger mit „Endstation Jugend“ zu einem Rundschlag ausholen durfte (bezeichnenderweise trägt der Titel das Bild eines boxenden Jungen), der alles an Irrsinn in den Schatten stellt, was die Süddeutsche (und nicht nur sie!) in den letzten beiden Jahrzehnten in Sachen Demografie ihren Lesern zugemutet hat.
Die Lektüre dieses Pamphletes wird in Gänze empfohlen und kann hier nur in wenigen Kostproben wieder gegeben werden. Der Tenor ist der altbekannte: Die jetzigen Alten haben es versäumt, wegen ihrer hedonistischen Lebenseinstellung in ausreichendem Maße Nachwuchs zu zeugen, und drohen nun, mit ihrer Sperrmajorität für immer die Herrschaft zu übernehmen. Nicht ohne Grund führt Steinberger mit den Szenarien des demagogischen ZDF- Machwerks„2030 – Aufstand der Jungen“ ihr Essay ein.
Um dann weiterzuführen: „Der Generationenvertrag, der die Grundlage des moder-nen Sozialstaates bildet, wird gerade von jener Generation gebrochen, die im Jahre 2030 die Mehrheit der Alten stellen wird. Es ist die Generation der Nachkriegskinder, die zwischen 1945 und 1967 geboren wurde – die Generation der Babyboomer.“ …..die Anzeichen für diesen Bruch seien „bereits überall zu entdecken“. Bei den „Studenten in England…oder bei den jungen Männern in Tunesien, die gerade durch Perspektivlosigkeit und mangels irgendeiner Chance noch Arbeit zu finden, in den gewaltsamen Protest getrieben werden.“
Es ist schon fast drollig, wie hier Nationen mit völlig unterschiedlichen Demografien nur anhand des Symptoms „Unruhige Jugend“ über einen Leisten gezogen wer-den. In Tunesien ist ja gerade der Generationenvertrag im Steinbergerschen Sinne nicht gebrochen, handelt es sich eben nicht um eine überalterte Gesellschaft, son-dern um eine überjüngte, in der – wie in allen Maghrebstaaten - die Mehrheit der Menschen unter dreißig ist; besteht die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen ja gerade deshalb, weil sie so zahlreich sind, weil die Konkurrenz um die wenigen Arbeitsplätze so stark ist.
Und in Europa? Dieser Logik zufolge müsste man sich doch angesichts der Knapp-heit der jetzigen jungen Generation um die wenigen jungen Menschen geradezu reißen, ja, müsste seit den Geburtsjahrgängen 1970 ff. praktisch Vollbeschäftigung herrschen. Warum geht man denn mit den wenigen jungen Menschen so barbarisch um, und jagt selbst die Hochqualifizierten von einem Praktikum ins andere. Ist also an den katastrophalen Verhältnissen des Arbeitsmarktes nun die heutige Rentnergeneration schuld oder ist dies das Resultat eines seit 1990 völlig gewandelten Kapitalismus, der nicht mehr auf kooperativen Konsens sondern auf brutale Ausbeutung setzt?
Hat das vielleicht gar nichts mit Demografie sondern viel mehr mit Neoliberalimus zu tun? Wären die Verhältnisse denn besser, wenn die heutige junge Generation dop-pelt so stark wäre?
Doch es kommt noch schlimmer: „Nachdem sie (die Alten d. V.)) ein Leben in freier Liebe genossen haben, der kostenlosen Schulspeisungen, der kostenlosen Universitäten, der festgelegten Rentenzahlungen, eine Leben beinahe in Vollbeschäftigung und in einen 40 Jahre anhaltenden Immobilienboom, vermachen sie ihren Kindern nun himmelhohe Immobilienpreise, Schulden und schrumpfende Renten“ Diese Einschätzung der Babyboomer von Will Hutton, so Petra Steinberger, „gilt zweifellos, unter Berücksichtigung nationaler Besonderheiten, in der gesamten westlichen Welt.“
Wie bitte?Eigentümlich nur, dass der heute 55 jährige (Geburtsjahrgang 1956, also nach Steinberger ein klassischer Babyboomer) ganz andere Lebenserfahrungen gemacht hat. Denn 1972, als er 17 Jahre alt war, war Schluss mit dem „Golden Age of capitalism“, seit 1973 herrschte in allen westlichen Ländern Massenarbeitslosigkeit und Lehrstellenmangel; Lehrer- und generell Akademikerarbeitslosigkeit, Einstellungsstopp im öffentlichen Dienst; seit 1990 nur noch lächerliche Lohnerhöhungen, Rückbau der sozialen Sicherungssysteme durch unzählige Rentenreformgesetze und sog. Kostendämpfungsgesetze. Immer schlechtere Leistungen der Sozialsysteme bei immer höheren Beitragssätzen, massive Verschlechterung der beruflichen Perspektiven und seit der berühmten Agenda 2010 massenhaft Leiharbeit zu Löhnen des Jahres 1980 und früher und nach einem Jahr Arbeitslosigkeit geht’s in den Abgrund.
Dieser Babyboomer macht also eine ganz andere Bilanz auf als Steinberger. Deren Bilanz gilt bestenfalls für die Geburtsjahrgänge der Mittdreißiger Jahre. Bedingt durch die großen Verluste an Menschen der 20er Jahrgänge im Kriege hatten die Mittdreißiger in den fünfziger und sechziger Jahren zugegeben atemberaubend gute Berufschancen. Aber danach?
Gerade 11 Jahre Vollbeschäftigung hat es in der Geschichte der BRD gegeben. Und in diesen Jahren waren auch die Geburtenziffern am höchsten. Zufall? Oder Ausdruck von sozialer Sicherheit? Darüber sollten die Demografieideologen a la Petra Steinberger mal nachdenken, bevor sie eine ganze Generation älterer Men-schen für neoliberalen Unsinn haftbar machen!