Während das Publikum sich noch seine Plätze sucht, kommt sie auf die Bühne. Lola Blau, ganz in Rot. Rotes Kleid, rote Schuhe und Strümpfe. Damit aber nicht genug. Auch die Bühnenausstattung ist ganz in Rot gehalten: Ein roter Fauteuil und rote Wände decken augenscheinlich etwas zu – den Namen der Protagonistin in dieser One-woman-Revue.
Und tatsächlich hat Lola ihrem Namen „Blau“ allerhand Unerfreuliches zu verdanken. Also weg damit, zumindest für ein gutes Stündchen.
Gemeinsam mit dem aufsässigen Marcelo Cardoso Gama am Klavier und Mathias Krispin Bucher am Kontrabass wird Lola alias Tamara Stern in dieser Zeitspanne das Publikum unterhalten. Ihm von ihrer Geschichte erzählen, die in den 30er Jahren, als sie gerade ihr erstes Engagement am Linzer Stadttheater antreten wollte, seinen Lauf nahm.
Der Plot stammt aus der Feder des geistreichen Georg Kreisler, der darin zusätzlich einen Ohrwurm an den anderen reihte und dabei wie nebenbei seinen eigenen Lebenslauf erzählte. Er wurde 16-jährig aus der Neustiftgasse – einen Steinwurf vom Off-Theater entfernt, mit seiner Familie vertrieben. Lola Blau ist – der Name verrät es schon – auch jüdisch und so bricht das Unheil herein, das nach Hitlers Machtergreifung zwischen 5,7 und 6 Millionen jüdischen Mitmenschen das Leben gekostet hat. Lola Blau – gleich vorweg – überlebte. Sonst könnte sie auch ihre Geschichte nicht erzählen.
Und sie könnte nicht über ihre Liebe zum Theater berichten. Nicht über ihren Freund, auf den sie vergeblich nach ihrer erzwungenen Ausreise am Bahnhof in Zürich wartete. Nicht über ihre Zeit in Amerika, in der sie in einem nicht gerade hochrangigen Etablissement ihre Kunden mit anzüglichen Liedern unterhielt. Tamara Stern tut dies mit allergrößter Verve, mit Herzblut und ist zugleich mit einer hohen Musikalität ausgestattet. Vielleicht ist ihr diese Rolle deswegen so auf den Leib geschneidert, weil sie selbst Jüdin ist und ihre Familie unter den Nazis bis auf wenige Überlebende, ermordet wurde.
Vielleicht ist es aber auch ihre Liebe zum Revue-Genre an sich, wie sie in einem aufschlussreichen Interview Auskunft gab. Egal ob die Spekulationen stimmen oder nicht, in dieser, von Ernst Kurt Weigel adaptierten Inszenierung, die sie zuvor 7 Saisonen lang in Bregenz am Landestheater vor ausverkauften Häusern spielte, ist sie nicht nur eine Vollblutschauspielerin, sondern auch eine Vollblutsängerin. Und man darf ihre Leistung getrost mit dem Titel eines der Chansons beschreiben, das sie singt: Sie ist ein herrliches Weib, sie ist ein göttliches Weib! Wie sie königlich in ihrem kessen Kleid mit ausladendem Petticoat über die Bühne schreitet, wie sie zusammenzuckt, als ihr ein- ums andere Mal Post zugestellt wird, von der sie nur Ungemach zu erwarten hat, wie sie ihren Beruf als Dame exaltiert ins rechte Licht rückt oder auf Hebräisch auf die schriftliche Anweisung im Textbuch reagiert, ein eigenes Lied einzufügen – all das macht beim Zuschauen einfach nur Freude.
Gelungen ist auch die musikalische Umsetzung, in der – um nur ein anschauliches Beispiel zu nennen – eine schräge Donauwalzer-Interpretation und Rosenkavaliersthemen erklingen, als Lola sich nach Kriegsende wieder entschließt, nach Wien zurückzukehren. Es ist die einzige Szene, in der die sonst so starke Frau wie ein kleines Häufchen Elend in ihrem Sessel hockt. Betrunken, von den Ereignissen förmlich überrollt und unsicher, was ihre Zukunft in jenem Land betrifft, das sie so schlecht behandelt hat.
Das Geniale an „Heute Abend: Lola Blau“, wie der Originaltitel heißt, ist nicht nur die Umsetzung von Tamara Stern. Es ist auch Georg Kreislers Genie, mit dem er in subversivster Art und Weise die größten Schrecklichkeiten, die ein Leben in Verfolgung mit sich bringt, höchst amüsant über den Bühnenrand schwappen ließ. Und so darf man sich freuen und lachen, zugleich aber auch traurig und zutiefst beschämt sein. Die Aktualität des Stückes in unserer Zeit, in der antisemitische Beschimpfungen wieder salonfähig werden und Flüchtlingsheime brennen, sollte uns dabei an unterster Stelle bewusst sein. Wenn wir im Moment schon sonst nichts gegen diese Verfinsterung am humanistischen Himmel in Europa unternehmen.
Unsere Empfehlung: Für die Termine im Mai gibt es noch Karten – also rasch buchen! Homepage des Off-Theater.