es war einer dieser typischen herbstabende. seit tagen regnete es in strömen, kalter wind peitschte um die häuser.
sie stand am bahnhof, vergrub ihr kinn im seidenschal und verlagerte ungeduldig das körpergewicht vom rechten, auf den linken fuss und wieder zurück.
als der zug laut quietschend einfuhr, liess sie die drängelnden menschen zuerst einsteigen und sicherte sich einen stehplatz am fenster. sie hatte es ja nicht weit, nach zwei stationen musste sie bereits wieder aussteigen. es wäre noch ein sitz neben einer gruppe von studenten frei gewesen, doch sie hatte nicht wirklich lust, sich gespräche von anderen leuten anzuhören. nicht nach diesem tag. nicht nach dieser woche. sie wollte einfach nur in ihr lieblingslokal, dort das tun, was sie eben tun musste und wieder zurück in ihre warme wohnung fahren.
die kleine bar war nicht weit vom zielbahnhof entfernt und zeitlich reichte die distanz genau aus, um noch eine zigarette zu rauchen. das la neige noire befand sich mitten in der altstadt. die nassen, glatten pflastersteine, zusammen mit dem entgegenkommenden wind, sorgten dafür, dass sich der weg unnötig in die länge zog und so einiges an gleichgewichtssinn forderte. sie schüttelte vor der tür ihren regenschirm kurz durch und betrat den warmen, vertrauten raum. der geruch von zimt und vanille stieg ihr in die nase, aus den boxen drang entspannende soul-musik.
adam, der typ hinter der bar, begrüsste sie mit einem nicken. sie war ziemlich oft hier. meist um mit freundinnen kaffee zu trinken, manchmal um zu lernen oder eben um andere dinge zu tun. sie zog ihre lederjacke aus und setzte sich an einen kleinen, runden tisch neben dem kamin.
“wie immer?”, fragte adam freundlich.
sie lachte und schüttelte den kopf.
“diesmal nur eine warme schokolade.”
“alles klar!”, entgegnete er und widmete sich der zubereitung.
ein sanftes “hier, bitte schön!” riss sie nur wenige minuten später aus ihren gedanken.
“sag mal”, sagte sie und biss sich dabei auf die unterlippe. “weisst du, wo noah ist?”
er seufzte. “bist du sicher, dass…”
sie hob ihre hand und verdrehte dabei die augen, was den grossen, dunkeläugigen adam umgehend zum schweigen brachte.
“er müsste jeden moment hier sein.”, murmelte er.
sie umklammerte die tasse mit beiden händen um sie aufzuwärmen und schaute sich im la neige noire um. sie musterte jeden einzelnen gast, fragte sich, worüber das pärchen am tisch gegenüber wohl stritt, denn die rothaarige frau fuchtelte zornig mit den händen, während ihr partner nur immer wieder verständnislos den kopf schüttelte.
als die tür aufging und noah den raum betrat, durchfuhr sie eine kleine welle der erleichterung. er war bestimmt um zwei köpfe grösser als sie, hatte dunkelbraunes haar und relativ männliche gesichtszüge.
er setzte sich ans fenster, bestellte einen kaffee und tippte auf seinem handy herum. sie warf sich ihr hüftlanges haar über die schultern, stand auf und trat zu ihm an den tisch.
“hey”, sagte sie leise.
noah blickte von seinem smartphone hoch, runzelte die stirn und würgte ein halbherziges “hallo” heraus.
noch bevor sie etwas hinzufügen konnte, flüsterte er: “in 10 minuten draussen beim hintereingang. ich gehe zuerst, du wartest eine minute und kommst dann nach.”
sie nickte und ging zu ihrem platz zurück.
ihr entging nicht, dass adam das ganze szenario beobachtet hatte und leicht den kopf schüttelte. es war ihr egal, was adam dachte. es war ihr auch egal, was noah dachte. es war ihr egal, was irgendjemand dachte. sie war alt genug, um ihre eigenen entscheidungen zu treffen und solange ihr studium nicht darunter litt, war doch eigentlich alles in ordnung.
sie trank von ihrer warmen schokolade und sah, wie noah seinen platz verliess, richtung ausgang schlenderte und hinter der hausecke verschwand. sie blieb noch kurz sitzen, schnappte sich dann ihre tasche und folgte ihm. er wartete unter einem kleinen dach direkt vor dem hintereingang. sie stellte sich neben ihn, steckte sich eine zigarette in den mund und bot ihm auch eine an. er lehnte ab und hielt ihr stattdessen sein feuerzeug hin.
“hast du?”
“was?”
“du weisst schon!”, zischte sie.
“schon wieder?! du hast doch erst vor ein paar tagen geholt!”
“hey, du bist nicht meine verdammte mutter, verstanden?!”
“jaja, komm mal runter. ich mein’s ja nur gut.”
“von deinem ich mein’s ja nur gut kann ich mir aber nichts kaufen!”
noah schaute sie etwas überrascht an.
“warum denn so zickig?!”
sie lächelte und verschränkte die arme vor der brust.
“tut mir leid. ich habe einfach einen beschissenen tag hinter mir.”
“möchtest du darüber reden?”
“nein. kommen wir zum geschäftlichen.”
er blickte verstohlen um sich, kramte in seiner hosentasche und zog ein zerknülltes plastiktütchen heraus.
“wie viel?”, fragte sie zitternd. der wind wehte ihr die langen haare ins gesicht.
“vierzig.”
“vierzig?!”, wiederholte sie. “beim letzten mal waren es noch fünfunddreissig.”
“ja, richtig, beim letzten mal. jetzt kostet es aber vierzig. ich bestimme die preise nicht.”
“oh man.”, zischte sie und nahm ihren geldbeutel hervor.
“wenn dir der preis nicht passt, dann hol’ es doch einfach bei jemand anderem.”
“wenn so viele in dieser stadt das zeug verkaufen würden, würde ich es wohl kaum bei dir holen.”
noah lachte und seine stahlblauen augen blitzten auf.
“jammer nicht rum. hier.”
er streckte ihr das tütchen entgegen, sie überreichte ihm das geld.
“und hier, meine nummer. ich wohne nur zwei blocks von dir entfernt.”
“woher weisst du, wo ich wohne?”
“diese stadt hier ist nicht besonders gross und es gibt nicht viele bezahlbare wohnungen für studenten. und ausserdem sehe ich dich fast jeden morgen. du verlässt gegen 7.30 uhr das haus, holst dir einen kaffee beim bäcker gegenüber und fährst dann zur uni.”
sichtlich verdutzt nahm sie den kleinen papierzettel mit seiner nummer entgegen und stopfte ihn zusammen mit dem plastiktütchen in die hosentasche.
“alles klar, du alter stalker. danke und bis dann.”
sie schnippte den zigarettenstummel in die ferne und lief zum la neige noire zurück. noah blieb noch kurz unter dem dach stehen und schaute zu, wie sie in der dunkelheit verschwand.