Mein Lückentag zwischen Marrakesch und Essouira, zwischen den vorab gebuchten Domizilen, sollte im Zuge einer kleinen Abenteurerei in ein Camp in der Steinwüste führen. Den von Deutschland aus geknüpften Kontakt zu den niederländischen Betreibern konnte ich jedoch nicht wieder herstellen. Solche Camps im Irgendwo entstünden und
verschwünden rasch, erfuhr ich von Insidern. Für die kleine Herausforderung, einen neuen Zwischenstopp zu finden, wandte ich mich an meinen schätzenswerten DuMont-Reiseführer. Und wie es oft so ist mit der spontanen Intuition, blieb mein Blick an ein paar Zeilen hängen. So entdeckte ich das Le Kaouki. Für eine einzige Nacht sei ein Zimmer frei, erfuhr ich; so kam ich zu meinem Zimmer in dieser meiner “freien” Nacht.
Eigenwillig: Es gibt keinen Strom. Jedenfalls nicht überall, nicht in den Gästezimmern, nicht im kleinen gemütlichen Restaurant. Nach Einbruch der Dunkelheit werden im ganzen Haus Kerzen angezündet Bye, bye Internet, bye, bye Ablenkung. Ein laues Lüftchen am Fenster, das Brausen des nahen Ozeans und ein herrliches Abendessen sind die wunderbare Alternative. Zuvor laufe ich den Strand entlang, im kleinen Örtchen Sidi Kaouki, das vor allem von Surfern frequentiert wird. Offziell gibt es WIFI in einem der Surfer-Cafés. Heute aber eher nicht. Vielleicht nur hin und wieder. Ich trinke einen Orangensaft auf der Terrasse und schaue bald wunschlos aufs Meer.
In der Nacht im Le Kaouki schlafe ich tief und selig und lang. Die Reizüberflutung von Marrakesch fällt von mir ab wie eine überflüssige Haut, der Wind trägt sie fort.
Was braucht man mehr? Wenige Tage später drängt sich diese Frage erneut mit Macht
Abdou und sein Team servieren beachtliche Portionen aus dem Meer, große Fische, Garnelen, Pulpo … und es gibt auch Wein. Der liebenswerte Alt-Hippie hat seine Spezial-Lizenz in seinem Reich von Leben und Lebenlassen. Wir genießen und lassen genießen.
Im Anschluss an dieses wohlige Spät-Mittagessen fahren wir noch einmal in den Ort Sidi Kaouki. Ich dachte, ich kenne ihn schon, aber auch hier gibt es noch eine Überraschung. Wie in vielen marokkanischen Orten wacht ein Marabout über die Geschicke der Einwohner. Die sterblichen Überreste des Dorfheiligen sind in einem kleinen weißen Gebäude direkt am Meer untergebracht. Sidi heißt Herr, Herr Kaouki gab dem Fischerdorf seinen Namen. In der Regel ist es nicht möglich, diese heligen Grabstätten in der Tradition des Sufismus zu betreten. Claudia jedoch unterhält sich mit der resoluten Italinierin, die unten am Strand von Sidi Kaouki die Pizzeria betreibt. Noch während wir unseren Café zu Ende schlürfen, kommt ein Mann mit Schlüsselbund. Wir steigen ins Heiligtum und stehen vor einem Sarg, in dem Sidi Kaouki höchstselbst seine Ruhe gefunden habe. Wann? Vor langer Zeit…
Pizzeria und Grabstätte des Marabout von Sidi Kaouki