Sidi Kaouki: Geschenkte Zeit in Marokko

Von Frauaufreisen

Wenn der Zufall auf Reisen mitspielt, serviert er bisweilen traumhafte Überraschungen. Geplant war das ursprünglich nicht, aber bei meiner Marokko-Reise entführten mich gleich zwei Gelegenheiten an Strandidyllen südlich von Essaouira. So entdeckte ich Sidi Kaouki, einen tiefenentspannten Ort, ein ganz besonderes Hotel und ein Fischrestaurant, das seines Gleichen sucht.

Mein Lückentag zwischen Marrakesch und Essouira, zwischen den vorab gebuchten Domizilen, sollte im Zuge einer kleinen Abenteurerei in ein Camp in der Steinwüste führen. Den von Deutschland aus geknüpften Kontakt zu den niederländischen Betreibern konnte ich jedoch nicht wieder herstellen. Solche Camps im Irgendwo entstünden und
verschwünden rasch, erfuhr ich von Insidern. Für die kleine Herausforderung, einen neuen Zwischenstopp zu finden,  wandte ich mich an meinen schätzenswerten DuMont-Reiseführer. Und wie es oft so ist mit der spontanen Intuition, blieb mein Blick an ein paar Zeilen hängen. So entdeckte ich das Le Kaouki. Für eine einzige Nacht sei ein Zimmer frei, erfuhr ich; so kam ich zu meinem Zimmer in dieser meiner “freien” Nacht.

Bärbel, gaaanz entspannt höre ich tags drauf RoRo über den blumengeschmückten Innenhof rufen. Die Gastgeberin im Le Kaouki hat den badischen SIngsang nicht ganz verloren, obwohl die Weltbürgerin aus dem Schwarzwald schon 1967 in Marrakesch lebte, jetzt hier auf Französisch den Laden schmeißt, ein schüchternes einheimisches Mädchen lachend versorgt, mich zum Kamelritt am einsamen Strand überredet. RoRo hat diesen eigenwilligen Ort der Entspannung in Sidi Kaouki erschaffen.

Eigenwillig: Es gibt keinen Strom. Jedenfalls nicht überall, nicht in den Gästezimmern, nicht im kleinen gemütlichen Restaurant. Nach Einbruch der Dunkelheit werden im ganzen Haus Kerzen angezündet Bye, bye Internet, bye, bye Ablenkung. Ein laues Lüftchen am Fenster, das Brausen des nahen Ozeans und ein herrliches Abendessen sind die wunderbare Alternative. Zuvor laufe ich den Strand entlang, im kleinen Örtchen Sidi Kaouki, das vor allem von Surfern frequentiert wird. Offziell gibt es WIFI in einem der Surfer-Cafés. Heute aber eher nicht. Vielleicht nur hin und wieder. Ich trinke einen Orangensaft auf der Terrasse und schaue bald wunschlos aufs Meer.

In der Nacht im Le Kaouki schlafe ich tief und selig und lang. Die Reizüberflutung von Marrakesch fällt von mir ab wie eine überflüssige Haut, der Wind trägt sie fort.

Am nächsten Tag muss ich wieder einpacken, weiterziehen. Für einen kulinarischen Workshop ist das ganze Haus gebucht. Kulinarisch vom Feinsten ist auch das Abschiedsgeschenk: Ein Pulpo-Ragout mit Couscous, unglaublich fein und lecker für ganze 6 €. Hin und wieder komme auch Paloma Picasso ins Le Kaouki verrät mir RoRo noch, nicht ohne Stolz. Was also braucht man mehr, wenn auch die ästhetisch gebildete Prominenz die verführerische Einfachheit jedwedem Pomp vorzieht?

Was braucht man mehr? Wenige Tage später drängt sich diese Frage erneut mit Macht auf. Claudia vom Riad Baladin in Essaouira hat drei Reisende aus der Schweiz, sich, ihren Hund  und mich in ihr Auto gepackt und fährt mit uns wieder ein wenig gen Süden die Küste lang. Einen Kilometer vor Sidi Kaouki biegt sie ab, einziges Erkennungszeichen für den Weg zu einem magischen Ort sind die blauen Steine an der Abzweigung. Wir landen bei Abdou, der seit 1967, dem auch in Marokkos Süden wohl ganz besonderen Jahr, hier in wenig mehr als einer Hütte sein einzigartiges Fischrestaurant betreibt. Wir sitzen davor am Strand und schauen den vielen Tieren zu, die Abdou aufgenommen hat, die hier spielen, schmusen und sich vermehren. Winzig kleine Welpen tollen  in Abdous Paradies, Katzen liegen so lasziv in der Sonne, wie nur Katzen es können, Enten watscheln in Gruppen herum. Zu Besuch kommen Kamele und ein Esel, der sich das Mitessen nicht nehmen lässt. Irgendetwas zwischen Garten Eden und Arche Noah findet sich einsam am Strand unweit von Sidi Kaouki, wir mitten drin – während die Hunde auch die deutlich größeren Vierbeiner arglos und fröhlich begrüßen.

Abdou und sein Team servieren beachtliche Portionen aus dem Meer, große Fische, Garnelen, Pulpo … und es gibt auch Wein. Der liebenswerte Alt-Hippie hat seine Spezial-Lizenz in seinem Reich von Leben und Lebenlassen. Wir genießen und lassen genießen.


Im Anschluss an dieses wohlige Spät-Mittagessen fahren wir noch einmal in den Ort Sidi Kaouki. Ich dachte, ich kenne ihn schon, aber auch hier gibt es noch eine Überraschung. Wie in vielen marokkanischen Orten wacht ein Marabout über die Geschicke der Einwohner. Die sterblichen Überreste des Dorfheiligen sind in einem kleinen weißen Gebäude direkt am Meer untergebracht. Sidi heißt Herr, Herr Kaouki gab dem Fischerdorf seinen Namen. In der Regel ist es nicht möglich, diese heligen Grabstätten in der Tradition des Sufismus zu betreten. Claudia jedoch unterhält sich mit der resoluten Italinierin, die unten am Strand von Sidi Kaouki die Pizzeria betreibt. Noch während wir unseren Café zu Ende schlürfen, kommt ein Mann mit Schlüsselbund. Wir steigen ins Heiligtum und stehen vor einem Sarg, in dem Sidi Kaouki höchstselbst seine Ruhe gefunden habe. Wann? Vor langer Zeit…

Pizzeria und Grabstätte des Marabout von Sidi Kaouki