Nachdem ich vor ein paar Tagen das zirkushafte Treiben am Hafen von Valparaiso beschrieben habe, nehme ich euch nun mit auf die Hügel ( cerros), die sich, bedeckt von einem bunten Dächermeer, über die unteren Viertel der Stadt erheben.
Mit knatternden, hundertjahrealten Zahnradbahnen ( ascensores) gelangt man dort hinauf. Bevor ich allerdings den richtigen Aufzug gefunden habe, schlage ich prompt einen bald dubios erscheinenden, ansteigenden Weg ein. Ich merke erst gar nicht, dass niemand sonst hier unterwegs ist. Nur Straßenhunde die in stinkenden Bergen Müll wühlen. Die Häuser wirken heruntergekommen. Ich überlege schon kehrt zu machen, als mir ein junger Mann entgegen kommt und mir bedeutet, ich solle besser nicht weiter hinaufsteigen. Es bestehe Gefahr, ausgeraubt zu werden. Er begleitet mich wieder hinunter und zeigt mir den Eingang zum Aufzug, wo einige andere Besucher Schlange stehen. Ich bin ihm dankbar. Es war das erste Mal, dass ich mich in Chile kurz unsicher gefühlt habe. An manchen Orten sollte ich mich tatsächlich an die Pfade halten, die auch von anderen Touristen gegangen werden.
Bei meinem Spaziergang auf den cerros werde ich mit malerischen Ausblicken auf Hafen und Meer belohnt. Ich habe kein Ziel, wandere nur in der Sonne durch die ansteigenden und abfallenden Gassen, tauche meinen Blick in die satten Farben der Fassaden. Alles wirkt ziemlich ruhig und mein Geist ist angenehm schläfrig. Irgendwann finde ich ein nettes Café, wo ich das Wlan nutze, um kaffeetrinkend mit meinem mir fehlenden F zu schreiben. Wann immer ich kann, schicke ich ihm Bilder und Worte um das, was ich hier erlebe. Wie gern würde ich die ganze Erfahrung hier mit ihm teilen.
Am frühen Abend sitze ich irgendwann wieder im Bus gen Santiago. Anderthalb Stunden lang tue ich beinah nichts als mich in Musik aus meinen Kopfhörern zu versinken und die Gedanken ganz weit wandern zu lassen. Ich merke, dass ich mir solche Stunden, die keinen Zweck und Ziel haben, sondern nur Sinnesfluss und Dahintreiben sind, im Alltag in Paris zu selten schenke. Leerlaufzeit. Zeit, in der nichts passiert und doch unbemerkt Gedanken sinken können und andere hochsteigen, die für "Zweckzeiten"zu zaghaft sind. Einfach Songs (wie diesen oder diesen) die in die Berglandschaft da draußen ziehen ...
como un hogar humilde que se apaga.
Lloras? ... Entre los alamos de oro,
lejos, la sombra del amor te aguarda.
wie ein Herd, der bescheiden verlöscht.
Dort oben über den Bergen,
sind noch einige Gluten zu sehen.
Weinst du? ... Zwischen den Pappeln aus Gold,
in der Ferne, wartet der Schatten der Liebe auf dich.
- Antonio Machado ( Campo / Feld)
Und ich denke daran, was hinter mir liegt, was vor mir liegt. Was mich hier in der Ferne berührt, begeistert, beirrt. Was ich lernen und mitnehmen will. Was mir fehlt. Auch daran, wie schnell die Zeit vergeht. Dass deshalb wohl nichts besser ist, als den gegenwärtigen Moment ganz zu erleben und glücklich zu sein.