Sich die Blöße geben

3781547679_a9c9cd0e23_zDie Böhmermann-Affaire hat mal wieder gezeigt, dass man immer vor der Entscheidung steht, ob man sich über etwas aufregt oder nicht. Das kam mir bekannt vor, ich hatte mal eine Biographie von Hildegard Kneef gesehen und in den 50er Jahren hatte sie sich in einem Film entblößt. Da war die Aufregung in dem prüden Deutschland sehr groß. Zu ihrer Verteidigung, wobei ich nicht mehr genau weiß, wie lange sie schon der Aufregung ausgesetzt war und auch nicht in welchem Umfang, meinte sie, dass sie nicht nachvollziehen könnte, wie man sich über eine nackte Frau aufregen könnte, in einem Land, in dem der Holocaust stattgefunden hat. Das ließ mich auch eine ganze Weile nicht mehr los, auch wenn es jetzt nicht eins zu eins wiedergegeben werden konnte, es geht mir hierbei um das große Ganze.

Ich möchte jetzt nicht über die Aufarbeitung des Holocausts schreiben. Dass es eine Zeit lang untergegangen ist oder verleugnet wurde, ist keinesfalls zu entschuldigen. Dennoch, im Bezug darauf, dass man sich über eine nackte Frau aufregen kann, kann man dies vielleicht erklären. Vielleicht ist das etwas, was man überblicken kann, was greifbar ist. Einfacher ist es sich mit Kleinigkeiten auseinander zu setzen als mit einer großen Schuld. Vielleicht ist auch hier die Antwort des Lebensstils in den 50er Jahren, die Enge der selbstaufgelegten Regeln gab Sicherheit. Bis heute ist dieses Phänomen bei den Menschen zu erkennen. Wer die Regeln der Gesellschaft befolgt, dem wird schon nichts passieren und so hätte man sich auch nicht auseinandersetzen müssen mit Dingen, die man gegebenenfalls nicht verkraftet. Man darf auch keinesfalls vergessen, dass es heutzutage sicher einfacher ist, weil wir nicht selbst betroffen sind. Durch den zeitlichen Abstand sind wir nicht beteiligt an diesem Verbrechen. In den 50ern jedoch lebten viele Täter noch, es war nicht möglich die Gesellschaft ohne sie aufzubauen. Und die, die keine aktiven Täter waren, die hätten sich der Frage stellen müssen, was sie hätten tun können beziehungsweise wieso sie es nicht getan haben.

Da ist es sicher einfacher seine Verantwortung auf Recht und Ordnung als besorgter Bürger auf eine nackte Frau im Kino zu projezieren. Der Anstand in einem verhältnismäßig kleinen Rahmen, hier kann die Ordnung noch gewahrt werden und solange man sich auf den engen Bereich fixiert, wird schon alles gut gehen. Die Scheuklappen werden einen schon durch das Leben führen. Das Handeln als Flucht vor dem Denken. Die Schuldzuweisung vor dem Eingeständnis. Vielleicht ist es aber nur eine Art der Selbstgeißelung, ein Ausdruck der eigenen Unzufriedenheit, Kritik an anderen üben zu müssen. Oder auch zurück zur Normalität, das Unfassbare einfach mal auszublenden, denn das Leben geht weiter und wenn man darüber redet, ist keinem geholfen.

Nun, ich weiß es nicht. Ich bin sehr froh, dass ich im Hier und Jetzt lebe, denn die 50er das wäre nicht meine Welt gewesen, auch wenn der Eine oder Andere da draußen eine romantische Vorstellung von dieser Zeit hat. Seine Bedürfnisse zu unterdrücken, sich und die Anderen der Freiheit zu berauben, das ist wirklich nichts erstrebenswertes. Im Grunde können Menschen, die sich selbst einengen, andere richten, ihren Horizont nicht erweitern wollen, einem wirklich Leid tun, denn nur wenn man einen sicheren Rahmen verlässt, können einem neue Dinge begegnen, man wird etwas erleben, frei sein. Dafür erfordert es jedoch Mut und den haben nicht alle. In diesem Zusammenhang muss man aber auch die Frage in den Raum werfen können, ob der Mangel an Mut nicht sehr viel Platz lässt für Neid, Neid, dass die anderen sich trauen, dass die anderen nicht die Regeln befolgen und stärker sind als man selbst.

(Foto: Jorbasa Fotografie / flickr.com)


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