Sibylla-Schwarz-Handschrift aufgetaucht

Wie die Ostsee-Zeitung mitteilt, ist eine Handschrift, die einzige erhaltene Originalhandschrift, der Greifswalder Barockdichterin gefunden und bestimmt worden:

Das Leben der Poetin liest man (allzu verkürzt) aus ihren Gedichten. Diese wiederum sind ebenfalls nur indirekt zugänglich, nämlich aus der Hand des schwäbischen Theologen Samuel Gerlach (1609-1683). Er besaß die Handschriften, aus denen er zwölf Jahre nach dem Tod seiner „Schülerin“ in Danzig die Gedichtausgabe zusammenstellte. Über den Verbleib dieser Handschriften ist bis heute nichts bekannt.

Aber Gerlach besaß noch ein weiteres handschriftliches Zeugnis, einen Eintrag der Dichterin in seinem Stammbuch. Auf der Suche nach einer Anstellung war der ehemalige Feldprediger 1636 nach Greifswald gekommen, wo er mehrere Monate für Sibylla Schwarz eine Art Mentor wurde. Später führte ihn sein Weg nach Danzig und 1652 zurück in seine schwäbische Heimat. Und dort liegt das Stammbuch noch heute.

Dank der großzügigen Unterstützung des jetzigen Besitzers, Johannes Autenrieth aus Kernen im Remstal, sowie mit kollegialer Hilfe ist es gelungen, den Stammbucheintrag von Sibylla Schwarz zu identifizieren. Das Ergebnis ist aus mehr als einem Grunde bemerkenswert — ja für die Fachwelt sensationell. Was könnte die junge Dichterin in ein Stammbuch geschrieben haben, in dem sich nur Männer, und diese überwiegend in lateinischer Sprache, verewigt haben?

Immerhin ist es der siebenundsechzigste Eintrag, davor stehen Namen wie Bartholdus Krakevitz aus Greifswald, die Stettiner Daniel Cramerius und Jacobus Fabricius, Nicolaus Hunnius aus Lübeck — bedeutende, allseits bekannte Namen in der gelehrten Welt um 1630. Sicher möchte die damals fünfzehnjährige Poetin ihre Gelehrsamkeit, in dieser Zeit gleichbedeutend mit dichterischem Können, ebenso zeigen. Also wäre zu erwarten, dass sie dichtet, dass sie, die den Reformator der deutschen Poesie, Martin Opitz, poetisch preist, deutsche Verse schreibt.

Weit gefehlt! Sibylla Schwarz schreibt einen holländischen Vers auf das Stammbuchblatt! Damit überholt sie Martin Opitz selbst. Denn dieser hatte den entscheidenden Anstoß für sein „nationales kulturpolitisches Konzept“, in deutscher Sprache zu dichten, aus Holland erhalten. Und sie verwendet den neuen Ton, den Martin Opitz, ebenfalls auf die holländischen Dichter verweisend, für die deutsche Dichtung forderte. …

Nicht nur die Tatsache, sich mit einem holländischen statt deutschem oder gar lateinischen Vers als zur dichterischen Avantgarde gehörend zu „outen“, überrascht. Auch das, wovon der gereimte Zweizeiler spricht: „Man sollte sich zuerst um seine Seele Gedanken machen, und dann erst um den schwachen Leib; und ohne diese zwei ist Geld nur eine Bürde.“ Leib und Seele — davon sprechen viele, aber von Geld, und dann in dieser Reihung?

Was sagt das über die zeitgenössische Kultur aus, wenn Schwarz diese Verse aus einer eher didaktischen Dichtung wählt? Deren Verfasser „Vater“ (Jacob) Cats (1577-1660) gehörte zu den beliebtesten holländischen Gegenwarts- Dichtern, sein Werk „Houwelick“ (Hochzeit) fand sich neben der Bibel in jedem bürgerlichen Haushalt. Verwundert es, dass damit Schwarz in der Cats-Rezeption vor den „Großen“ wie Harsdörffer und Titz steht?

/ Monika Schneikart, OZ 21.1.

Die Autorin ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Neuere deutsche Literatur und Literaturtheorie im Institut für Deutsche Philologie.



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