Der Horroroktober ist nicht vorbei. Aber nicht nur darum empfiehlt es sich, Shutter Island einzulegen und sich damit ein wenig in eine andere Welt entführen zu lassen.
Denn diese dreht sehr gekonnt an der Scheibe der Frage: Entspricht es der Wahrheit - oder ist es nur eine zusammengesponnene Realität?
1954: Edward "Teddy" Daniels, Us-Marshal, tritt auf ein kleines Boot umgeben von fast schleierhaften Nebel. Sein Auftrag führt ihn über das Wasser, auf eine nur im Film existierende Insel namens Shutter Island. Sie soll vor der Küste Massachusetts liegen.
Das ist der Moment, in dem der melancholisch aufgelegte Marshal (im echten Leben Leonardo DiCaprio) auf seinen neuen Kollegen Chuck Aule (Mark Ruffalo) trifft. Wie man durch das überaus ernsthafte Gespräch der beiden erfährt, sollen sie die Insel besuchen, um das Verschwinden von der Patienten Rachel Solando zu untersuchen.
Das Konzept der sogenannten "Irrenanstalt", die auf Shutter Island thront, ist einfach erklärt: Man pfercht psychisch gestörte Schwerverbrecher auf dieser Insel zusammen, um sie zu therapieren und gleichzeitig die "normale Welt" vor ihnen zu schützen.
Wenig überraschend ist es kein angenehmes Unterfangen, sich in diese in sich gekehrte Welt einzugliedern. Die Marshals scheinen sich vom ersten Augenblick an keiner großer Beliebtheit zu erfreuen, was aber wohl mehr am Verhalten Teddys liegt. Besonders mit Dr. Naehring (Max von Sydow) will Teddy partout keine neutrale Gesprächsbasis finden. Hier scheint sich etwas anzubahnen, das ist früh zu spüren. Aber ist es etwas Großes? Darüber ist man sich nicht richtig im Klaren.
Aber klar ist nichts auf dieser Insel - und das liegt nicht nur an dem ständigen Nebel.
Eigentlich erinnert es an ein Klischee, das häufig eingesetzt wird, wenn Spannung und Atmosphäre vom Drehbuch oder den schauspielerischen Leistungen übergangen wurde - aber nicht hier. Hier wird nichts kompensiert, so gut wie alles ist von Anfang an gegeben. Die Handlung wäre auch ohne dem höchst engagierten Leonardo Dicaprio nicht vollkommen verloren. Doch um der Handlung gerecht zu werden, braucht es einen Darsteller, der das Innenleben des verwirrten und bitteren Teddy auf die Filmwand bringen kann.
Das ist besonders wichtig, da in Teddy einige unaufgearbeitete Erinnerungen wüten, die die Eckpfeiler des Films darstellen: Die, als Teddy noch Soldat im zweiten Weltkrieg gewesen und an der Befreiung des Konzentrationslagers in Dachau beteiligt gewesen war.
Auf geradezu manische Weise blickt er an diese Zeit zurück und noch mehr daran, wie seine Tochter Rachel dort zu Tode gekommen war.
Schon nach kurzer Zeit ist sich Teddy sicher, dass auf der Insel Experimente auf Kosten des Wohlergehens der Patienten durchgeführt werden. Es ist die perfekte Konstellation: Nicht nur die Abgeschiedenheit macht es schwer, solche Geheimnisse in die "reale" Welt zu bringen, sondern auch zwei sehr treffende Punkte: Wer ist denn schon wirklich böse, wenn man Menschen böses tut, die böses getan haben? Und - wer glaubt schon einem Verrückten?
Auch wenn Teddys Kollege zarte Zweifel streut, Teddy weiß eine klare Antwort.
"Wir haben auch nie geglaubt, dass so etwas wie die Konzentrationslager im zweiten Weltkrieg möglich wären - und doch ist es passiert."
Und spätestens nachdem die angeblich verschwundene Rachel Solando trotz dem wütenden Hurrikane unversehrt wieder vor Teddy sitzt, ist er von der Theorie der Experimente überzeugt.
Teddy hat Erfahrung, auf welche er sich stützt - und ihm immer wieder bestätigt, woran er glaubt: Dass hier gefährliche Experimente von Statten gehen.
Er rückt auch nicht ab, wenn die Personen in seinen Albträumen seinen Glauben zu erschüttern versuchen. Oder sein körperlicher Zustand immer mehr der eines Schwerstalkoholikers gleicht.
Die weiteren Geschehnisse werden Teddys Glauben trotzdem stückchenweise auf eine Probe stellen. Am Schluss ist allerdings nur davon überzeugt, dass...
Das ist nicht das Wichtige hier!
Warum auch?
Der Film fasziniert von der ersten Sequenz an, die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern stimmt und fast jede einzelne Szene reißt einen aus dem eintönigen Grau Shutter Islands. Ein Spiel, das sich im Kreis dreht und trotzdem bei jeder Runde etwas Neues von sich preisgibt - oder eben auch nicht.
Und die gesamte Spielzeit über ist nur eines wichtig:
Viel wichtiger ist, was man als Zuschauer, als Beobachter - woran man selbst glaubt.
Dachte ich. Glaube ich.
Oder - was meinst du?
VÖ: 2010 Laufzeit: 138 Minuten FSK: 16 R: Martin Scorsese D: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Emily Mortimer, Michelle Williams, Max von Sydow
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Yannie