Spätestens seit Grace als kleines Mädchen von Wölfen angegriffen wurde, ist sie von den Tieren im Wald hinter ihrem Haus fasziniert. Vor allem ein bestimmter Wolf, der mit den gelben Augen, lässt sich aus ihren Gedanken nicht mehr verbannen, schließlich hat er damals das Rudel dazu gebracht, von Grace abzulassen und ihr somit das Leben gerettet. Seitdem fühlt sich Grace wie magisch zu diesem Wolf hingezogen, als seien sie verbunden, und verbringt Stunden damit, "ihren" Wolf zu beobachten. Als dann jedoch ein Mitschüler von Grace von den Wölfen getötet wird und eine Hetzjagd auf die Tiere beginnt, findet Grace einen Jungen in ihrem Garten - verwundet und mit denselben gelben Augen wie ihr Wolf.
Der erste Teil der Wolves of Mercy Falls-Trilogie macht es mir nicht ganz so leicht. Das Ende war sehr spannend und hat Lust auf die Fortsetzung gemacht, aber insgesamt betrachtet fällt mein Urteil für Shiver eher mittelmäßig aus.
Direkt nachdem ich angefangen habe zu lesen, war mein erster Gedanke "Oje". Die ersten paar Kapitel sind sehr kurz gehalten, wodurch ich große Probleme hatte, in die Handlung hereinzukommen und überhaupt zu verstehen, was passiert. Es wirkte für mich sehr...abgehackt und wie ein Versuch, von Anfang an Spannung aufkommen zu lassen, was bei mir aber nicht wirklich funktioniert hat. Zu Beginn schildern Grace und Sam abwechselnd, wie Grace als Mädchen von den Wölfen von ihrer Schaukel im Garten gezerrt wird und Sam das Rudel davon abhält sie zu töten. Das Buch beginnt also mit einer Rückblende, was ich zuerst nicht ganz verstanden habe. Grace erklärt einem ihre Faszination für den Wolf mit den gelben Augen, während Sam einen darüber aufklärt, dass er dieser Wolf ist und nur bei wärmeren Temperaturen seine menschliche Gestalt annimmt. Als Leser wird man direkt über die Werwölfe und das Temperatur-Problem aufgeklärt, woraus sich dann auch der eigentliche Konflikt des Buches ergibt: Sam und Grace (die gerade erst von der Existenz der Werwölfe erfahren hat) verlieben sich, der nahende Winter scheint dieser Liebe aber bald ein Ende zu setzen.
Die Geschichte wird aus der Sicht beider Protagonisten erzählt, wobei der Großteil allerdings aus Grace' Perspektive geschildert wird. Obwohl eher kleinere Teile von Sam erzählt werden, bekommt man aber trotzdem einen sehr genauen Einblick in das Gefühlsleben beider Charaktere, da die Autorin es wirklich schafft, Emotionen sehr genau zu beschreiben und auf den Leser zu übertragen. Meiner ursprünglichen Vermutung (und Hoffnung) zum Trotz kommen sich Grace und Sam sehr schnell sehr nah. Mir persönlich ging es zu schnell. Auch wenn sich beide schon seit einigen Jahren "kennen", war es nun mal ein Wolf, den Grace so bewundert hat. Die Tatsache, dass sich ein Mädchen in einen Wolf verliebt, finde ich ja schon absurd (mal ganz davon abgesehen, dass es hier um Werwölfe geht, was an sich ja schon absurd ist). Aber dass Grace es dann als völlig normal hinnimmt, als sie heraus findet, dass dieser Wolf sich in einen Menschen verwandelt, hat mich dann doch gestört. Überhaupt habe ich zu Grace irgendwie nicht so richtig Zugang gefunden. Sie handelt schnell und weiß anscheinend immer, was zu tun ist und als Leser wird man über jede kleinste Gefühlsregung von ihr aufgeklärt. Aber trotzdem sitze ich jetzt hier und habe keine Ahnung, was ich zu Grace schreiben soll. Ich kann nicht sagen, ob sie mir als Protagonistin gefallen hat oder nicht, was leider nicht wirklich für sie spricht. Sam hingegen war mir persönlich zu "weich". Ja, er leidet darunter ein Wolf zu sein und nicht immer mit Grace zusammen sein zu können, und ja, er hat ein tiefes Trauma aus seiner Kindheit davongetragen -trotzdem, man mag mich vielleicht altmodisch nennen, sollte meiner Meinung nach ein Mann eine gewisse Stärke zeigen. Aber von den beiden war Grace eindeutig die Stärkere, sie musste Sam durchweg beschützen und nicht anders herum. Unter einem guten, aussagekräftigen männlichen Protagonisten stelle ich mir etwas anderes vor. Vom Spannungsbogen her konnte mich Shiver leider auch nicht vollständig überzeugen. Insgesamt viel Gerede und das Ende wurde etwas lang hinaus gezogen. Großartig Spannung kam für mich nicht wirklich auf, erst die letzten 50 Seiten ungefähr haben mich gepackt und ich musste wissen, wie es weiter geht. Das Ende macht einem dann richtig Lust auf den Fortgang der Geschichte, ohne einen mit einem fiesen Cliffhanger sitzen zu lassen. Das hat mir wieder sehr gut gefallen. Allerdings waren meinerseits noch nicht alle Fragen beantwortet, aber ich baue hier auf den Folgeband, der mir hoffentlich die Antworten geben wird.
Von Vielen wird der Schreibstil Maggie Stiefvaters hoch gelobt, weshalb ich mich sehr auf diese Trilogie gefreut habe. Nach dem für mich etwas schwachen Anfang habe ich gehofft, dass der Schreibstil einiges heraus reißen wird. Wie bereits erwähnt, werden die Gefühle von Sam und Grace sehr ausführlich und deutlich beschrieben, sodass ich mich gut in die Gefühlslage der Zwei hineinversetzen konnte. Die Autorin bedient sich hierfür sehr vieler Bilder, Vergleiche und Adjektive; die Sprache ist sehr ausgeschmückt. Wenn dies in einem gewissen Maß und nicht zu übertrieben geschieht, stehe ich da sehr drauf. Doch hier war es für mein Gefühl schon zu viel des Guten, durch die Masse an Vergleichen wirkte es auf mich leider zu...gewollt. Für meinen Geschmack wäre weniger hier mehr gewesen.
Insgesamt ist Shiver für mich eher ein mittelmäßiges Buch. Spannung kommt nicht viel auf und auch mit den Protagonisten habe ich kleine Probleme. Der Stil der Autorin ist teilweise etwas übertrieben, aber trotzdem kann man sich sehr gut in die Charaktere hinein versetzen. Auch wenn die Rezension insgesamt eher negativ klingt, kann das Ende des Buches einiges wieder gut machen und macht Lust auf mehr.
3 von 5 Herzen
434 Seiten, Taschenbuch Verlag: Scholastic Erscheinungsdatum: Juni 2012 Reihe: 1. Teil der Wolves of Mercy Falls-Reihe Deutscher Titel: Nach dem Sommer Shiver bei Amazon Nach dem Sommer bei Amazon