8. Mai, München, Tonhalle
Ganz am Ende, beim letzten Stück dieses an Höhepunkten nicht armen Abends, war dann auch dem letzten in der stickig heißen Halle klar, warum die Frau wieder/immer noch da oben steht und das mit einer Energie, die jedem und jeder mit knapp sechzig die Schamesröte ins Gesicht treiben muss. Noch vor nicht allzu langer Zeit ganz vom Kampf mit dem Krebs beansprucht, muss irgendwer oder –was Sharon Jones auf dem Krankenbett geflüstert haben, dass sie hier im Diesseits noch dringend gebraucht wird. Daher dann die mittlerweile berühmten Zeilen „Get Up And Get Out“, die sie nun als Zugabe ins begeisterte Publikum schleudert. Die Haare seien weg, es sei ihr wirklich dreckig gegangen, sie hätte nicht gewusst, ob sie jemals wieder auf einer Bühne stehen werde – all das schreit sie, Anklage und Motivation zugleich, heiser ins Mikrophon. Doch nun ist sie da, up and out, weil sie nicht kleinbei gegeben hat und zurück wollte, zum Soul, zu ihren Dap-Kings, in die Welt und eben auch nach München. Und wer würde ihr diese schonungslose Offenheit, diese Leidenschaft nicht abnehmen wollen, wer wäre nicht hin und weg bei solch einer Lebensbeichte.
Sie hat an diesem Abend noch einige wunderbare Songs mehr gesungen, klar. Vieles von ihrem Comeback-Album „Give The People What They Want“ – das starke und zugleich rührende „Stranger To My Happiness“ gleich zu Beginn, kurz danach den kantigen Beat von „Retreat!“. Eine launige Betrachtung ihrer Vita als Kulturgeschichte des Tanzes, keine Minute zu lang, gab’s zum bissigen „People Don‘t Get What They Deserve“ und wenig später durften ein paar junge und junggebliebene Mädels aus dem Publikum zu den geschmeidigen Klängen von Marvin Gaye’s „I Heard It Through The Grapevine“ zeigen, welche Moves sie so draufhaben – sie schnitten im Übrigen etwas besser ab als der einsame Herr, der sich zu Beginn des Konzerts an ein paar Schritten an ihrer Seite versucht hatte. Schon etwas älter, aber nicht weniger griffig auch das Titelstück von „100 Days, 100 Nights“, von Routine, von Ermattung war tatsächlich nichts zu sehen und zu hören.
Natürlich kann man diese Zeilen nicht schreiben, ohne die Klasse der Begleitband, die ja selbst schon Legende ist, zu erwähnen. Das zehnköpfige Ensemble bespielt selbst eine so gewöhnungsbedürftige Location wie die Mehrzweck-Tonhalle mit bewundernswerter Professionalität und Finesse, sollten sie Grund gehabt haben, an der mangelhaften Akustik etwas auszusetzen – sie haben es sich nicht anmerken lassen. Da kamen einem wieder mal die (trotzdem famosen) Swingteens Kitty Daisy And Lewis in den Sinn, die einer ähnlich ungastlichen Umgebung und leider auch ihren eigenen Instrumenten so überhaupt nicht gewachsen waren und folgerichtig auf ganzer Linie dilettierten. Dass den Dap-Kings einmal Ähnliches passieren würde, kann sich wirklich niemand vorstellen, sie ließen einer zauberhaft charmanten Soulqueen den angemessenen Vortritt und spielten sich dennoch in die Herzen des Publikums. Ach ja – Sharon Jones hat ganz am Ende, nun doch etwas aus der Puste, versprochen, bald wieder nach München zu kommen – man kann es ihr und ihren Fans nur wünschen.