Support: Sorry
Strom, München, 10. Dezember 2018
Auch wenn es die politische Weltlage momentan nicht unbedingt vermuten lässt – es gibt mit Sicherheit ein paar Dinge, die wir von den Briten da drüben lernen können. Okay, vielleicht nicht gerade, wie man erfolgreich den Komplettausstieg aus einem Staatenverbund moderiert oder trotz knapper Kassen die Sozialsysteme am Laufen hält, das eher nicht. Aber es ist kein Geheimnis, dass uns die Bewohner des heruntergewirtschafteten Königreichs in Sachen Lässigkeit, Coolness und Humor einiges voraus haben – und das trotz (oder eben weil) sie von ihrer eigenen Regierung, wie auch immer die gerade zusammengewürfelt ist, ein jedes Mal schmählich im Stich gelassen werden. Nehmen wir zum Beispiel die Londoner Kapelle Shame. Würde eine deutsche Band versuchen, ein Video im Stile von „One Rizla“ zu drehen (also einen gut gelaunten Landausflug mit Hindernissen), so sähe das entweder kitschig, albern, verkopft oder einfach nur doof aus. Doch weil Sänger Charlie Steen und Kumpanen ziemlich egal ist, wie was aussieht, wirkt oder interpretiert werden könnte, geben sie so die beste Bebilderung für ihren Leck-mich-Hit ab: „My nails ain't manicured, my voice ain't the best you've heard and you can choose to hate my words, but do I give a fuck. Socks are old and shoes are broke, lungs are tired 'cause they're filled with smoke, wallet's empty I'm going broke – but i'm still breathing.“
Es überrascht nicht wirklich, dass die vier diese wunderbare Attitüde problemlos und eins zu eins auf die Bühne bringen können. Vom Start weg ist die Band bei vollen einhundert Prozent und wird von diesem Level für die folgende Stunde keinen einzigen Skalenstrich abweichen. Das Set ist kurz und furios, es umfasst die Songs des Debütalbums „Songs Of Praise“ und mit „Human, For A Minute“, „Cowboy Supreme“ und „Exhaler“ drei bislang unbekannte. Wollte man die Performance der Band irgendwie vergleichen, fällt einem ein Konzert von Zugezogen Maskulin aus dem Januar dieses Jahres an gleicher Stelle ein – auch die beiden Jungs hatten das Publikum im Handumdrehen hinter sich und mithin in der Moshpit, es wurde schnell wild und für alle im Parkett phasenweise auch ein bisschen ungemütlich. In solchen Fällen ist es immer schön zu sehen, wenn die Band auf der Bühne den gleich Spaß hat wie die tobende Menge zu ihren Füßen und sich nicht schont.
Von halber Kraft jedenfalls war nichts zu sehen, Charlie Steen landete schon nach wenigen Minuten auf den ausgestreckten Armen des Publikums und tat auch sonst alles dafür, die Zuhörer in Bewegung und die Laune beim Besten zu halten. Wenn der Junge in manchen Momenten ein paar wehmütige Erinnerungen an die frühen Blur im Allgemeinen und Damon Albarn im Speziellen weckt, so hat man bei Bassist Josh Finerty öfters das Gefühl, er sei mit seinem Moptop direkt den Dreharbeiten von „Quadrophenia“ entstiegen. Seine Luftsprünge sind mehr als wagemutig und als er kurz vor Schluß aus dem Stand sogar zu einem Salto samt Instrument ansetzte, mußte man zwangsweise selbst die Luft anhalten. Ganz geklappt hat es nicht damit und Finerty hat wohl ein paar blaue Flecke mehr – allein, sein schmerzverzerrtes, aber glückliches Grinsen ließ keine wirkliche Reue erkennen. Man konnte übrigens während des Konzertes am Bühnenrand ab und an einen Besucher mit seiner Krücke winken sehen, die Behauptung, Shame brächten mit ihrem kantigen Mischung aus Britpop und Post-Punk Lahme zum Gehen, wäre dennoch übertrieben. Fest steht aber, daß es nicht viele gibt, die derart gut austeilen und einstecken können. Eventuelle Blessuren trägt man in solchem Falle wie eine Art Auszeichnung.