Legendäres Skull-Disco Cover von Künstler Zeke (via http://www.zekeclough.com/)
Musik und Kunst im Allgemeinen ist in der Lage, Bedeutungen auszudrücken, die hinter den strikten und eindeutigen Zuschreibungen von Sprache stehen. Die Musik von Shackleton kann genau das: Etwas kommunizieren, was sonst durch die verkürzende Welt der Wörter verdeckt wird.
Seine Musik, so vereinnahmend, so apokalyptisch, so fremdartig und gleichzeitig so vertraut wie die Protagonisten in einem David Lynch-Film, hat nicht nur mein Verständnis von Sound und immersiven Tanzerlebnissen geprägt, sondern vor allem meine komplette musikalische Ästhetik über Bord geworfen. Seine Musik gab mir die faszinierende Mystik und Energie zurück, die mir nach meiner Hardcoresozialisation abhanden gekommen zu sein schien. Sein Sound kreiert Vektoren, die den Rezipienten zu einem Paralleluniversum transportieren, von dem man nie gedacht hätte, dass es überhaupt existiert.
Dreimal habe ich den Engländer bereits live erleben können. Mein erstes Erlebnis hatte ich im Maria in Berlin und sollte mein Verständnis von Musik für immer verändern. Angefixt von den ersten Veröffentlichungen seines mittlerweile nicht mehr existierenden und nicht nur dadurch zum Kultstatus avancierten Labels Skull Disco pilgerte ich förmlich in die Hauptstadt, um zu erfahren, wie die Musik im unmittelbaren Livekontext wirkt. Für die anderen beiden Male nahm ich dieses Jahr zunächst den weiten Weg in ein entlegenes Dorf nach Süditalien auf mich, um im Rahmen des Interferenze Festivals und zwei Monate später auf dem Outlook Festival in Kroatien in der Schwere des bassgetränkten Sounds zu baden. Seine ekstatischen Livesessions klingen wie eine fünfköpfige Krautrockband (ohne schwitzende Hippies, die auf der Bühne esoterische Pseudorituale abhalten), die auf einer Reise durch den Nahen Osten King Tubby begegnet sind, der ihnen die Grundlagen des Dub predigt. Und so verwundert es irgendwie nicht, wenn dem Undergroundkünstler nun ein Livealbum auf der Mixreihe eines der bekanntesten Clubs der Welt, das Londoner Fabric, gewidmet wird, den es übrigens hier bis zum 11. Dezember teilweise zu hören gibt.
Cover des Fabric55-Mix
Der englische Künstler verarbeitet in seiner Musik Elemente aus Dubstep, türkischer Saz-Musik, Progressive- und Krautrock sowie Techno zu einem Sound, dessen Zentrum durch die Ästhetik des Dubs und seinen endlosen Echos und Reverbs zusammengehalten wird. Stark verhallte Percussions, die klingen, als seien sie in einer riesigen Fabrikhallle aufgenommen, werden durch die stets präsente Basswand zum Zusammenspiel gezwungen und von dieser wiederum durch die glasklaren Tamburins herausgerissen. Klare Melodien bleiben aus, werden dafür aber stets angedeutet und stammen meistens von stark verfremdeten, aber akustischen Instrumenten wie etwa einem Akkordeon, einer Flöte und vor allem die eindringlich gespielten Tablas.
Der dadurch entstehende Raum oder besser: die Leere in ihm gewinnt dadurch eine enorme Anziehungskraft, welche durch die immer wiederkehrenden Mantras verstärkt wird. Vengeance Tenfold, musikalischer Poet und treuer Weggefährte Shackletons, steuerte vor allem auf den älteren Tracks sein gesprochenes Wort bei. Als langjähriger musikalischer Partner beendete er jedoch die Zusammenarbeit, als er sich entschied, „auf die andere Seite der Welt zu ziehen und zum Islam zu konvertieren“, wie Shackleton selbst mitteilte. Die gelegentlich beigesteuerten Vocals verleihen der Musik schließlich den endgültigen Status eines perfekten Soundtracks zur Postapokalypse, die realer ist, als man annehmen möchte. In dem wahrscheinlich populärsten Stück Blood on my hands, welches von Ricardo Villalobos geremixt wurde, heißt es:
“When I see the towers fall,
It cannot be denied that,
As a spectacle,
It is a realisation of the mind.
You see, I’m standing on a mountain top
And letting out a scream,
It’s the language of the earth,
It is the language of the beasts.
There’s no point to look behind us,
We left the corpse behind,
Because flesh is weak and forms break down.
They cannot last forever.“
Dass dies eine direkte Anspielung auf die Twin Towers ist, liegt nahe. In einem einem Interview mit Dubstep-Blogger-Guru Blackdown erläutert er seine Idee dazu wie folgt:
“My immediate reaction was, “oh balls, here’s a great excuse for another military adventure in an Arab country and kill loads of innocent people”. Well, over the next couple of days I started to realise its significance. (…) Anyway, so I thought that it was like a story from the bible. That’s how I think it will be thought of in time. Here’s these buildings and all they represent seemingly indestructible, then all of a sudden they’re nothing more than dust. All that’s solid melts to air if you will.”
Es ist kaum verwunderlich, dass menschliche Stimmen in seiner Musik nur noch Reminiszenzen an musikalische Strukturen sind, die längst überwunden scheinen. Die musikalische Zukunft hat ihr personelles Pendant gefunden. Die aktuelle Mix-CD erweist sich als eine mehr als gelungene und extrem durchhörbare Zusammenfassung seines bisherigen Oeuvres. Denn seine Tracks entfalten ihr wahres Potential erst auf der ganzen Länge seiner Livedarbietungen, bei denen er sich jedesmal selbst remixt. Und so wird der Mix selbst zu einem pulsierenden Lebewesen, welches ständig unterwegs ist, aber nie anzukommen scheint. Der Weg ist das Ziel, und dieser ist einer der bewusstseinserweiternden in diesem Jahr.
Text: Phire