Somalische Flüchtlinge an einem Brunnen in Baidoa, Somalia in 2006. Foto von expertinfantry/flickr
Dieser Staat existiert de facto nicht mehr: Somalia ist inzwischen zu einem Synonym für den sogenannten failed state geworden. Spätestens seit dem Sturz des Diktator Siad Barre 1991 versinkt das Land im Chaos und einem nicht endenden Bürgerkrieg. Aktuellen Berichten zu Folge erklärte sich mit Azania, oder auch Jubaland genannt, Anfang April nach Somaliland und Puntland die dritte Region autonom vom Zentralstaat. Grund genug einen Blick auf dieses zerrissene Land zu werfen.Somalia wurde im Jahr 1960 unabhängig. Vorher bestand es aus den zwei Staaten Britisch-Somaliland, das seit 1884 Kolonie Großbritanniens war, und Italienisch-Somaliland, seit 1888 italienische Kolonie. Mit der Unabhängigkeit vereinigten sich die beiden Staaten zu einem „Groß-Somalia“.
Damit verstieß die Regierung gegen den Grundsatz der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), die die Respektierung der Kolonialgrenzen zum Grundsatz erhoben hatte. Allerdings wurden andere Gebiete, in denen Somalis lebten und die zur Schaffung vom wirklichen „Groß-Somalia“ nötig gewesen wären, nicht mit in die Staatsbildung integriert. So blieben Französisch-Somaliland (heute Dschibuti), die äthiopische Provinz Ogaden und der kenianische "Northern Frontier District" außen vor.
Dies führt seitdem zu Spannungen, die sich 1977 in einem Krieg mit Äthiopien zuspitzten. Somalia verlor den selbst angezettelten Krieg. Eine Millionen Flüchtlinge aus der äthiopische Provinz Ogaden wurden in den nördlichen Provinzen des ehemaligen Britisch-Somaliland angesiedelt und bewaffnet. Die nun bewaffneten Flüchtlinge plünderten im Norden und wurden dabei vom Regime in Mogadischu unterstützt. Der durch einen Putsch 1969 an die Macht gekommene Präsident Siad Barre gab den Clans im Norden die Schuld für die Niederlage. Seine Taktik bestand darin, die unterschiedlichen Clans gegeneinander auszuspielen. Die Nord-Süd-Spaltung aus der Kolonialzeit kehrte zurück.
Dies führte zu einer Intervention der Vereinten Nationen. Zwischen 1992 und 1995 wurden im Rahmen einer UN-Mission im somalischen Süden 35.000 Soldaten aus über dreißig Ländern stationiert. Die Mission scheiterte kläglich. Bei der „Schlacht von Mogadischu“ wurden am 3. und 4. Oktober 1993 18 US-Soldaten getötet. Bilder der getöteten und durch die Straßen Mogadischus geschleiften US-Soldaten traumatisierten die USA bis heute.
Somalia wurde mit dem Scheitern der Mission zusätzlich geschwächt. Die Clans bekämpften sich weiterhin. Mitte 2006 eroberte die „Union islamischer Gerichte“ (UIC) Mogadischu und vertrieb die Warlords. Zum ersten Mal war eine gewisse Ordnung im Land wiederhergestellt. Im Dezember marschierte Äthiopien mit Unterstützung der USA in Somalia ein und vertrieb die UIC. Aus dieser Gruppierung ging die radikal-islamische al-Shabab hervor. Nach einer kurzen Phase der relativen Stabilität versank das Land nach der ausländischen Intervention wieder im Bürgerkrieg. Die Regierung Somalias kontrolliert lediglich ein paar Straßenzüge im Zentrum der Hauptstadt Mogadischus. Al-Shabab kontrolliert dagegen weite Landesteile. Ihr werden außerdem Verbindungen zum Terrornetzwerk al-Qaida nachgesagt.
Der Bürgerkrieg in Somalia hat in den letzten zwanzig Jahren mehreren hunderttausend Menschen das Leben gekostet. Über eine Million Menschen flohen in die Nachbarstaaten, zwei Millionen gelten als "Binnenflüchtlinge".
AZANIA/JUBALAND
Anfang April 2011 erklärte sich die Region Azania oder auch Jubaland genannt an der Grenze zu Kenia für unabhängig. Als Vorbild dienen die relativ stabilen autonomen Gebiete Somaliland und Puntland. Für Kenia ist dies von vordergründigem Interesse, da so ein Puffer entsteht, der das Vordringen der al-Shabab Extremisten nach Süden und ins eigene Land bremsen soll. Außerdem soll so der Flüchtlingsstrom aus Somalia nach Kenia gestoppt werden. Im Flüchtlingslager Dadaab 100 Kilometer von der Grenze zu Somalia entfernt leben 332.000 somalische Flüchtlinge. Von dort soll al-Shabab neue Mitglieder rekrutieren und Angriffe gegen kenianische Dörfer leiten. Kenia möchte das Flüchtlingslager schließen und die Flüchtlinge nach Somalia zurück schicken. Es wird offen darüber spekuliert, dass die Entstehung von Azania/Jubaland entscheidend von Kenia unterstützt, wenn nicht sogar initiiert wurde. Kenia soll zudem die offiziellen militärischen Kräfte aus Azania/Jubaland ausbilden und bewaffnen.
Hauptstadt: Kismaayo
Einwohner: 1,3 Mio
PUNTLAND
1998 erklärte sich die Region Puntland am Horn von Afrika für autonom, machte aber klar, dass sie keine komplette Unabhängigkeit von Somalia will und eine Wiedervereinigung für wünschenswert hält. Zwischen Puntland und dem benachbarten Somaliland kam es öfter zu sporadischen Kämpfen um die Zugehörigkeit von Grenzregionen. Seit 2005 wurde Puntland als Herkunft der Piratenangriffe und Schiffsentführungen im Golf von Aden weltweit bekannt.
Hauptstadt: Garoowe
Einwohner: 2,4 Mio
SOMALILAND
Somaliland erklärte sich nach dem Sturz Siad Barre 1991 für unabhängig. Der Staat ist international nicht anerkannt, obwohl er relativ stabil und eine konstitutionelle Demokratie ist. Am Beispiel Somaliland zeigen sich die Unterschiede im kolonialen Erbe. Traditionelle Konfliktlösungsmechanismen der Clans werden mit den Hinterlassenschaften des britischen Common Law verknüpft. Der Süden trägt dagegen die schwere Last der italienischen Kolonialherrschaft. Das somalische Erbe wurde gänzlich zerstört und der Faschismus hinterließ keinerlei brauchbare politische oder administrative Strukturen. Seitdem verhindert die Macht der Clans jeden Regierungsaufbau. Die letzte Präsidentschaftswahl 2010 verlief ohne Zwischenfälle.
Hauptstadt: Hargeysa
Einwohner: 3,5 Mio
Geschichtlicher Abriss
• 1884: Der Norden des Horn von Afrikas wird zur britischen Kolonie Britisch-Somaliland.
• 1888: Italien erklärt den Süden zur Kolonie Italienisch-Somaliland.
• 1960: Unabhängigkeit und Wiedervereinigung von Britisch-Somaliland und Italienisch-Somaliland zu Somalia.
• 1969: Siad Barre wird durch einen Militärputsch Präsident Somalias.
• 1977-1978: Somalia führt gegen Äthiopien Krieg um die mehrheitlich von Somalis bewohnte äthiopische Provinz Ogaden. Somalia verliert.
• 1981: Der Norden rebelliert gegen Barre
• 1988: Aus der Rebellion wird ein Bürgerkrieg gegen Barre.
• 1991: Diktator Siad Barre wird gestürzt. Somaliland erklärt sich für unabhängig. Der Rest des Landes versinkt im Bürgerkrieg.
• 1992-1995: UN-Mission im Süden Somalias. Scheitert.
• 1998: Puntland erklärt sich für autonom, aber nicht unabhängig von Somalia.
• 2011: Azania/Jubaland erklärt sich unabhängig.
Die Situation in Somalia ist sehr unübersichtlich und ändert sich ständig. Auf Grund des Bürgerkrieges wagen es die wenigsten Journalisten das Land zu betreten. Daher gibt es wenig aussagekräftige Berichte aus dem Land. Teilweise widersprechen sich einige Quellen, teilweise ist es schwer an gesicherte Informationen heranzukommen. Daher kann dieser Artikel unbeabsichtigte Fehler enthalten.
Literatur zur weiteren Lektüre
ABDUL-AHAD, GHAITH (2010): Verräter verfallen dem Henker. In Der Freitag vom 21.08.2010.
FLOOD, DEREK HENRY (2011): The Jubaland Initiative: Is Kenya Creating a Buffer State in Southern Somalia?
HACKENSBERGER, ALFRED (2010): "Das Ausland sollte Somalia endlich in Ruhe lassen."
KEATING, JOSHUA (2011): Welcome to Azania/Jubaland: The world's newest pseudostate.
LEYMARIE, PHILIPPE (2007): Mehr Krieg, kein Staat. In Le Monde diplomatique Nr. 8425 vom 9.11.2007, Seite 8-9.
PRUNIER, GÉRARD (2010): Somaliland hat es besser. In Le Monde diplomatique Nr. 9312 vom 8.10.2010, Seite 9.
RAMONET, IGNACIO (2007): Somalia. In Le Monde diplomatique Nr. 8197 vom 9.2.2007, Seite 1.