Sexualmoral und Dialogunfähigkeit

Auf meinen Artikel habe ich einen Kommentar erhalten, der es wert ist, als eigener Beitrag diskutiert zu werden, damit er nicht in den Kommentaren dieses Blogs untergeht. Dieser Kommentar spricht wichtige Fragen an und bringt eine wichtige andere Sichtweise ein:

Ich glaube nicht, dass es dem BDKJ darum geht, alles nach der Meinung der Leute zu richten. Mir scheint eher, dass ihm nur nicht alle Lehraussagen gleich wichtig vorkommen. Deshalb würde er auch nicht die Lehre von der Auferstehung Jesu ändern, da dies zum Kern des Glaubens gehört. Immerhin ist das Glaubensinhalt bei allen christlichen Glaubensgemeinschaften. Bei Fragen der Moral gibt es eine viel größere Bandbreite an Postitionen innerhalb gesamten Christenheit und oft fließen dabei auch starke kulturelle Prägungen mit ein. Ich bin ganz deiner Meinung, dass eine Neuevangelisierung wichtig ist, aber wir müssen doch wirklich dort anfangen, wo das Zentrum liegt, oder nicht?
Wenn Menschen für den auferstandenen Christus brennen, werden sie sich bemühen, ein Leben zu führen, das ihm gefällt. Wenn dann in einem weniger zentralen Bereich eine leichte Abweichung von der komplexen Lehre der Kirche entsteht, was ist das Problem?
Scheinbar formulierte schon Augustinus den Handlungsleitsatz “Im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem aber die Liebe” und das Zweite Vatikanische Konzil griff das in GS 92 beim Absatz über den Dialog mit allen Menschen wieder auf. Warum nicht das gleiche Prinzip für den Dialog nach außen auf den inneren Dialog anwenden?

1) Mein Bauchgefühl sagt mir, dass ein Fragebogen mit Fragen wie “Ist Jesus wirklich leibhaftig von den Toten auferstanden?” ähnliche Diskrepanzen zwischen Antworten und Lehre der Kirche bringen würde. Daher halte ich diesen Bezugspunkt des BDKJ für ungeeignet. Zudem unterstelle ich, dass es nicht wenige im BDKJ gibt, die die Auferstehung als mehr oder weniger symbolisches Geschehen betrachten.

2) “Weniger zentraler Bereich”: In dieser Einschätzung unterscheiden wir uns deutlich: Papst Paul VI. redet von “schwerwiegenden Fragen” (nachzulesen in HV 6: Humanae Vitae), daher rechne ich die natürliche Empfängnisregelung zum Notwendigen, wo Einheit geboten ist.

3) Diese Einheit herrscht in dieser Frage überhaupt nicht. Im Gegenteil: Innerkirchlich wirst du mit der Befürwortung der natürlichen Empfängnisregelung ins fundamentalistische Eck weggemobbt. Dieses Ohnmachtsgefühl erklärt, aber entschuldigt natürlich nicht, manche (auch meine) BDKJ-Kritik als Ausdruck der Unzufriedenheit an einem Apparat kirchlicher Mitarbeiter, der die kirchliche Lehre umzudeuten versucht: Statt dass diese Lehre vertieft und verteidigt wird, wird sie öffentlich bekämpft. Das ist für mich ein wirkliches Ärgernis, da Verrat an der Kirche.

4) Meine Beobachtung ist: Wer sich in dieser Frage über die Lehre der Kirche setzt, hat das Prinzip, dass ich über der Lehre der Kirche stehe, verinnerlicht. Dieses Prinzip zersetzt Schritt für Schritt weitere kirchliche Lehrsätze, je nach Person und Umständen schneller oder langsamer.

5) Ein Dialog im Inneren kann nur “unterhalb” der kirchlichen Lehre gelingen. Solange diese Demut der Lehre der Kirche gegenüber fehlt, wird jemand aus der liberalen Richtung nicht zum Dialog fähig sein. Gleichzeitig braucht es einen offenen und ehrlichen Zugang zur Überforderung mit der eigenen Sexualität, eine Demut sich selbst als Sünder und anderen Menschen gegenüber – die daraus resultierende arrogante Rechthaberei ist das, was jemand aus der konservativen Richtung nicht zum Dialog fähig macht. Dieser Mangel an Demut gegenüber der kirchlichen Lehre oder gegenüber unserem Mitmenschen verhindert ein wirkliches innerkirchliches Ringen um die Wahrheit.

6) Solange wir also einen liberalen oder konservativen Demutsmangel haben, und nicht in Wahrheit (wichtig für die Liberaleren) und Liebe (wichtig für die Konserverativeren) leben, werden wir keine Konfliktkultur für diese schwerwiegenden Fragen aufbauen können. Umso mehr schätze ich den oben zitierten Kommentar als wichtigen Beitrag zu einer gelingenden Konfliktkultur.


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