Sexamor mit Meunier und Prugnard am TNS in Straßburg (C) Mario del Curto
Wer schon einmal ein Stück mit Requisiten von Pierre Meunier gesehen hat, erkennt seine Handschrift in der ersten Minute auf der hellen Bühne wieder. Minimalistisch – eigentlich ohne jegliches Bühnenbild, aber ausgestattet mit allerlei seltsamen Gerätschaften und Maschinen, so präsentiert sich auch die neueste Produktion, die er gemeinsam mit Nadège Prugnard erarbeitet hat und die am TNS in Straßburg aufgeführt wurde.
Sexamor mit Meunier und Prugnard am TNS in Straßburg (C) Mario del Curto
Sexamor – so der Titel- verrät in kürzestem Stenogramm, dass es sich darin um Sex und um Liebe handelt. Das 2-Personenstück, in dem die Gefühle im wahrsten Sinne des Wortes hoch schaukeln und tief fallen, lebt von den ausgeklügelten Apparaten, die sich Meunier zur Veranschaulichung aller menschlichen Emotionszustände, die Liebe betreffend, ausgedacht hat.
Gleich zu Beginn muss Prugnard in einem quer, hoch über der Bühne gespannten, durchsichtigen Schlauch immer und immer wieder versuchen, sein rettendes, offenes Ende zu erklimmen. Umso schwerer gestaltet sich diese akrobatische Arbeit, als sich in dem Schlauch auch ein wenig Wasser befindet. Jedes Mal, wenn sie gerade wenige Zentimeter vor dem Ausstieg angekommen ist, kriechend, sich vorwärts robbend, mit den Händen so gut es geht Halt suchend, kippt der Schlauch ruckartig an einem Ende nach unten und die Schauspielerin fällt darin tatsächlich Hals über Kopf zurück. Zurück zum Ausgangspunkt, von dem es aus abermals los geht. Los geht, hin zum Ende des Tunnels. Erst als Meunier eingreift und ihr dabei behilflich ist, gelingt ihr die Flucht. Noch ist sie ungläubig und traut dem Mann, der ihr geholfen hat nicht, bis er abermals eingreift, als sie sich wagemutig – vielleicht zu wagemutig unter zwei große in Gegenbewegung pendelnde Metallreifen legt, die den Eindruck erwecken, als würde sie von ihnen im nächsten Moment zerschnitten werden. Wieder ist es Meunier, der sie darunter hervorzieht.
Wie sich zeigt, hat er einer sehr emotionalen Persönlichkeit das Leben gerettet. Einer Frau, die nicht nur nach Liebe schreit, sondern die auch noch von ihrem Partner verlangt, geschlagen und gedemütigt zu werden. Prugnard schlüpft im Laufe des Abends in unterschiedliche Gemütsrollen. Nicht nur jener der sich selbst zerstörenden Liebenden, sondern auch jener Frau, die sich gänzlich unverstanden von ihrem Mann fühlt. Die Szene, in der Meunier lustig vor sich hin pfeifend in einer imaginären Werkstatt steht und fleißig an einer großen Maschine bastelt, während sie spitze, lange, grob behauene Dolche wutentbrannt in den Boden rammt, macht mehr als deutlich, dass sich diese zwei Menschen in gänzlich anderen Welten befinden. Während er verliebt mit seiner Maschine tanzt, die er an langen Ketten auf- und abbewegt, ist sie dabei, sich fast zu zerfleischen. Dass sich wenige Augenblicke später beide in den Armen liegen und zu einer sanften Melodie inmitten der Mordwerkzeuge tanzen, ist die logische Konsequenz der thematischen Abfolge der Handlung. Wir ziehen uns an und stoßen uns ab. Wir verzehren uns nacheinander und können miteinander nicht sein.
Sexamor mit Meunier und Prugnard am TNS (C) Mario del Curto
Dass auch der sexuelle Höhepunkt etwas ist, in welchem keine gegenseitige Erfüllung stattfindet, bringen die Akteure in einer herrlichen Persiflage zum Ausdruck. Während Nadège Prugnard hoch über Pierre Meunier schwebend eine Flasche Wasser zwischen ihren weit gespreizten Beinen über Meunier gießt und dabei orgiastische Laute ausstößt, müht er sich Minuten später an einer archaischen Spritzmaschine, die er mit einer Kurbel betätigt ab. Erfolglos, seine Fontänen sind weit davon entfernt, Prugnard auch nur ein wenig zu benetzen.
Auch in der Sprache verwenden Mann und Frau auf der Bühne gänzlich andere Ebenen. Während Meunier eine elaborierte, fast wissenschaftliche, umständliche, nicht auf den Punkt kommende verwendet, drückt sich Prugnard hingegen kurz, aber poetisch, emotionsgeladen und anschaulich aus. Das Hamsterrad, in dem Meunier schließlich eingeschlossen gegen die Schwerkraft kämpfen muss, und Prugnard außen hängend dasselbe versucht, zeigt wiederum, wie ein und dieselbe Situation von den beiden Geschlechtern unterschiedlich empfunden wird. Extrem metaphorisch und anschaulich erklärend zugleich gelang jenes Bild, in welchem Prugnard die von Meunier zuvor zusammengebaute Maschine erklimmen musste. Wie eine Statue stand sie auf ihr und Meunier bewunderte, zu ihr aufblickend, ihr glitzerndes, weißes Kleid, während er sie langsam im Kreise drehte. Dass ihr nicht wohl dabei war, zeigte sie überdeutlich; sie jammerte und versuchte immer wieder an seiner Hand halt zu finden. Erst als sie sich setzte und auf gleicher Augenhöhe mit Meunier befand, begann ihr dieses Spiel spaß zu machen. Deutlicher kann man nicht zeigen, dass Frauen keine bewundernswerten Göttinnen sind, sondern sich nichts mehr wünschen, als gleichberechtigt Seite an Seite mit ihren Männern leben zu können. Der Schluss, in dem beide alle Requisiten erbeben ließen und auch aus ihren Angeln hoben, sodass es nur so klirrte und krachte und in welchem sie in rotem Licht selig zu Boden sanken, beendete das Lustdrama durch völlige Erschöpfung.
Was aber kommt danach? Meunier und Prugnard geben keine Auskunft darüber. Das Publikum wird darauf aber ganz individuelle Antworten gefunden haben, je nach seinen Wünschen, Erfahrungen und Hoffnungen.
Verfasser: Michaela Preiner
In folgenden Kategorien veröffentlicht: Theater | Tanz
Schlagwörter: Nadège Prugnard, Pierre Meunier, Sexamor, TNS Straßburg
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