Sesselkleber Karl-Theodor zu Guttenberg? Oder: Auch die Spießgesellen stellen!

Kritik am Verhalten von Angela Merkel und Horst Seehofer in der Plagiatsaffäre um die Doktorarbeit (Dissertation) des (in beiden Funktionen) zurückgetretenen ehemaligen Verteidigungsministers und Bundestagsabgeordneten Karl-Theodor zu Guttenberg findet man in den Medien zuhauf.
Was aber fehlt (zumindest habe ich noch nichts derartiges gelesen) ist eine Analyse des Zusammenhangs zwischen der skandalös verzögerten Rücktrittsentscheidung Guttenbergs und dem Verhalten von, oder präziser: seinen Gesprächen mit, Angela Merkel und Horst Seehofer.
Guttenbergs seinerzeitiger Kampf um das Verbleiben im Amt, und damit die Entwicklung des "Falles" zum wochenlangen "Skandal" wird ohne diesen Hintergrund nicht im vollen Umfang verständlich; er war eben nicht allein Guttenbergs Ehrgeiz oder Machttrieb geschuldet. Den hat er, zweifellos. Dennoch wäre ohne die Rückendeckung von Angela Merkel und Horst Seehofer (und das heißt auch: ohne deren politische Fehleinschätzung) seine erste Reaktion des Ich trotze dem Sturm nicht zu Stande gekommen; er wäre mit ziemlicher Sicherheit sofort oder jedenfalls weitaus früher zurückgetreten.
Mit anderen Worten: ich verstehe Guttenbergs ursprüngliches Beharren, sein Taktieren, sein Leugnen nicht ausschließlich als Guttenbergs Verhalten, sondern als Resultat eines "Systems", in dem zwar Guttenberg die tragende Rolle (des Bösewichts) gespielt hat, in dem aber andere ihn darin bestärkt haben, die Affäre auszusitzen.
Man kann es mit dem "System" der Korruption (der "Korruptionskultur" in Entwicklungs- und einigen anderen Ländern) vergleichen. Auch das kann man nicht vollständig verstehen und nicht wirksam bekämpfen, wenn man nur die eine Seite - Korrumpierende oder Korrumpierte betrachtet bzw. angeht. Wenn wir in Deutschland relativ wenig Korruption haben, dann liegt das nicht nur daran, dass die potentiell zu Bestechenden sämtlich Engel wären, die nie und nimmer einen Bakschisch annehmen würden. Sondern ganz wesentlich auch daran, das diejenigen, die z. B. von Behörden Papiere oder Entscheidungen benötigen, bei uns in aller Regel gar nicht erst auf die Idee kommen, mit einer milden Gabe Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen oder auch nur die Durchsetzung von Rechten, die ihnen ohnehin zustehen, zu beschleunigen. Es gibt eben in Deutschland keine Korruptionskultur, die den Antragstellern ein derartiges Verhalten nahelegen würde, sondern eher eine Anti-Korruptionskultur, die sie davon abhält.
Und nur wenn wir die Verantwortlichkeiten zwischen Angela Merkel, Horst Seehofer und Karl-Theodor zu Guttenberg klar benennen, welche in diesem Bermuda-Dreieck versteckt sind, können wir auf der politischen Ebene die Affairenkultur reinigen.
Zu Guttenberg hatte am 17.02.11 abends ein Gespräch mit der Bundeskanzlerin. Diese wollte von ihm „ein paar Erklärungen“. Über die weitere Entwicklung berichtet z. B. die Hannoversche Allgemeine in dem Artikel "Erklärung Guttenbergs zu Plagiatsvorwürfen wird erwartet" vom 18.02 11:
"Angesichts der Debatte über Schummeleien in seiner Doktorarbeit will Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg an diesem Freitag voraussichtlich eine Erklärung abgeben. Der 39 Jahre alte CSU-Politiker war am Donnerstagabend im Kanzleramt gewesen, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über das weitere Vorgehen zu beraten. ZDF und ARD berichteten, Merkel habe Erklärungen von dem Minister verlangt."
Und weiter:
"Merkel ... bekundete „volles Vertrauen“ in ihren Verteidigungsminister. Das sei ein Ergebnis des Gesprächs der beiden am späten Donnerstagabend, verlautete am Freitag in Berlin. Unklar blieb zunächst, ob Merkel Guttenberg zu einer Entschuldigung dafür gedrängt hat, dass er für seine Doktorarbeit offenbar Texte andere Autoren ohne Kennzeichnung verwendet hatte."
Im Tagesspiegel vom 18.02.11 heißt es unter der Überschrift "Merkel bestellt Guttenberg ein" (meine Hervorhebung):
"Guttenberg führte im Laufe des Abends Gespräche mit Parteifreunden und traf sich danach im Kanzleramt mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Vor dem Gespräch hieß es nach Angaben des ZDF, Merkel wolle „ein paar Erklärungen“. Offenbar erwog der Verteidigungsminister eine Entschuldigung. Ein Rücktritt erschien nach Hinweisen aus Parteikreisen aber unwahrscheinlich. Guttenberg wisse, welche Verantwortung für die gesamte Union auf ihm laste."
Das alles sind klare Hinweise, dass Karl-Theodor zu Guttenberg schon damals einen Rücktritt erwog. Tatsächlich hatte die Hannoversche Allgemeine am 17.02. gemeldet: "Guttenberg erwägt seinen Rücktritt". Diese Nachricht stammte zwar nicht aus erster Hand, also nicht von KT selbst; vielmehr wird die Quelle so angegeben: "In der Nacht zum Freitag wurde in Regierungskreisen in Berlin ein Rücktritt des Bundesverteidigungsministers nicht mehr ausgeschlossen."
Ich halte die Information aber auch deshalb für korrekt, weil ich (trotz der zusammengeflickten Dissertation) Karl Theodor zu Guttenberg für einen im Grunde honorigen und ehrenhaften Mann halte.
Auch Berthold Kohler geht in seinem FAZ-Kommentar "Zu Guttenbergs Fall. Ikarus" vom 01.03.11 anscheinend davon aus, dass zu Guttenberg von seinen Parteifreunden dazu gedrängt wurde, nicht zurück zu treten (meine Hervorhebung):
"Der Versuch der Kanzlerin, Guttenberg dadurch im Amt zu halten, dass sie Politik und Wissenschaft unterschiedliche Tugendsätze zumaß, war nicht nur im praktischen Krisenmanagement ein Fehler von einem Ausmaß, wie sie ihn bisher selten beging: Mit diesem gescheiterten Entkopplungsversuch holte sie die ganze Empörung der wissenschaftlichen Welt in die politische Auseinandersetzung. An Aussitzen war danach nicht mehr zu denken. ..... Er hätte sich vieles erspart, wenn er und jene, die ihm zurieten zu bleiben, das früher verstanden hätten."
Die Darstellung von  Stefan Kuzmany auf Spiegel Online vom 02.03.11 unter "Guttenbergs Abgang. Narziss und Volksmund":"Warum hat zu Guttenberg so lange gebraucht, sich zum Rücktritt durchzuringen? Weil er sich für unersetzlich hielt" ist eine Verzerrung der Fakten, wie sie sich aus den öffentlich bekannten Informationen rekonstruieren lassen. Klar ist KT wie jeder andere Mensch (vielleicht auch mehr als andere) von sich selbst eingenommen. Dennoch halte ich ihm zu Gute, dass er seinen Fehler schon früher eingesehen und bereut hat, als nach seinem anschließenden Taktieren und dem Positionserhalt zu vermuten wäre. Er hatte auch genug Ehrgefühl (und einen besseren politischen Instinkt als sowohl die Kanzlerin wie auch Ministerpräsident Horst Seehofer!) um schon damals zurückzutreten. Dass er unersetzlich sei, müssen ihm die anderen eingeredet haben: Angela Merkel und Horst Seehofer an der Spitze.
Die spannende Frage ist natürlich, welche Erklärungen KT der Bundeskanzlerin am Abend des 17.02.11 gegeben hat: hat er ihr reinen Wein eingeschenkt (davon gehe ich aus), oder hat er sie ebenso getäuscht wie er das Publikum zu täuschen versucht hat?
So oder so hat aber Angela Merkel in diesem Fall versagt.
Wenn Guttenberg ihr die Wahrheit über das Zustandekommen seiner Dissertation gesagt hat, ist es eine Schande für sie, dass sie ihn als Minister zu halten versucht hat. Merkel hätte Guttenberg nicht entlassen müssen; er wäre sicherlich von sich aus zurückgetreten, wenn sie ihm klargemacht hätte, dass sie das für die politisch bessere Lösung hält. Dass er ihr die Wahrheit gesagt hat, wird auch anhand der folgenden Überlegungen wahrscheinlich, welche der FAZ-Redakteur Berthold Kohler in seinem Kommentar "Fußnoten" (allerdings erst am 22.02.11) anstellt (meine Hervorhebung):"Die Kanzlerin sagt, sie habe Guttenberg nicht als Assistenten, Promovierenden oder Inhaber (!) einer Doktorarbeit berufen. Im Anmerkungsapparat stünde dazu: Ich will ihn auch für den Fall halten, dass ihm der Titel aberkannt wird. Das muss man nur sagen, wenn man diesen Fall für möglich hält."
Hat er sie belogen und seine systematische Abkupferei als unterlaufene Fehler beschönigt, wäre es noch unverständlicher, dass sie sich danach nicht von ihm abgewandt hat.
Zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich am Samstag, 19.02. oder Sonntag, 20.02.11 hatte Karl-Theodor zu Guttenberg ein Gespräch mit Horst Seehofer. Darüber berichtet z. B. WELT Online am 21.02.11 unter der (etwas irreführenden) Überschrift "Kein Rücktritt. Seehofer dementiert Gespräch mit Guttenberg": "CSU-Chef Horst Seehofer rechnet wegen der Plagiatsaffäre nicht mit einem Rücktritt von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. „Er hat mir gegenüber nie einen Rücktritt angekündigt oder angedroht“, sagte Seehofer und dementierte damit Medienberichte, wonach Guttenberg in einem Gespräch mit ihm einen Rücktritt erwogen habe." Zunächst ist dabei zu beachten, dass die WELT aus den Worten von Seehofer eine logisch nicht zwingende Schlussfolgerung ableitet. Dass KT keinen Rücktritt "angekündigt oder angedroht" hat bedeutet ja noch lange nicht, dass er mit Seehofer nicht über die Möglichkeit eines Rücktritts gesprochen haben kann. Sonst hätte Horst Seehofer ja einfach sagen können (und hätte auch zweifellos gesagt), dass über einen Rücktritt nicht gesprochen wurde (so war das übrigens nach meiner Erinnerung auch in anderen Medien zu lesen. Die Hannoversche Allgemeine etwa zitiert ihn in ihrem Artikel "Merkel und Seehofer wünschen keinen Guttenberg-Rücktritt" (vom 22.02.11) mit den Worten "Zu keiner Sekunde hat Karl-Theodor von Rücktritt gesprochen.“ Das mag schon so sein, erinnert mich aber stark an das Bestreiten von Bill Clinton, keinen Sex mit Monika Lewinsky gehabt zu haben. Selbst wenn der Ausdruck "Rücktritt" in dem Gespräch zwischen Seehofer und zu Guttenberg nicht gefallen sein sollte, ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass auch die Frage diskutiert wurde, ob Guttenberg "Konsequenzen" aus seinem Doktoratsplagiat ziehen sollte oder ob ein Aussitzen möglich sein werde. Seehofer mag kein Freund seines Konkurrenten KT sein, doch darf man wohl davon ausgehen, dass in dieser Affäre das (vermeintliche) Interesse der CSU für ihn an erster Stelle stand, Guttenberg zu halten, damit die Partei auch weiterhin von seiner Popularität profitieren könne. Tatsächlich  fährt der oben zitierte WELT-Bericht fort (meine Hervorhebung) :"Seehofer bestätigte lediglich, dass er mit Guttenberg am Wochenende über die Vorwürfe gesprochen habe. „Ich habe ihm versichert, dass die ganze CSU und ich persönlich zu ihm stehen“, sagte Seehofer. Er habe ihm [recte: ihn] zum Durchhalten ermutigt."
Zusammenfassend kommen wir daher zu folgendem Bild der Abläufe (und zugleich zu einem - trotz aller Kritik - auch günstigeren Charakterbild von Guttenberg):
Karl-Theodor zu Guttenberg hat schon frühzeitig einen Rücktritt von seinem Amt als Verteidigungsminister erwogen, wurde davon aber von Bundeskanzlerin Angela Merkel, von Horst Seehofer und höchstwahrscheinlich auch von weiteren Parteifreunden abgehalten. Sicherlich hing er an seinem Ministeramt, doch hätte er es wohl schon weit früher aufgegeben als erst am 01.03.11, wäre er nicht davon abgehalten worden. In gewisser Weise kann man sagen, dass zu Guttenberg von seinen politischen Freunden verheizt wurde.
Und nun? Soll Angela Merkel zurücktreten? Das wäre sicherlich übertrieben. Ich persönlich hätte auch kein besonderes Interesse daran. Zwar bin ich gewiss kein Merkel-Fan, aber die anderen verschaufeln unsere Steuergelder genauso an die Banken und/oder die PIIGS-Schuldnerländer. Trotzdem sollten wir, das Volk, sie (und den hemmungslosen Populisten Horst Seehofer sowieso) spüren lassen, dass die Politik kein moralfreier Raum ist, und dass es mehr Schaden als Nutzen bringt, einen ethisch (und, davon darf man ausgehen, vor allem auch strafrechtlich!) gestrauchelten Politiker um jeden Preis zu halten. Ohnehin scheint die Unterstützung geringer zu sein, als (künstlich?) aufgeplusterte Guttenberg-Fan-Seiten etwa bei Facebook suggerieren.
Im Übrigen hatten die für den heutigen Samstag großspurig angekündigten Pro-Guttenberg-Demonstrationen nur eine schwache Resonanz:
Vgl. z. B. diesen Bericht im Stern, jenen im Berliner Kurier und ausführlicher in der FAZ; tendenziös verzerrt in der Bild-Zeitung: Ausführlich wird über die Demo im Heimatort Guttenberg berichtet, zu der natürlich schon aus lokaler Verbundenheit eine verhältnismäßig große Anzahl von Menschen erschienen ist (wobei allerdings die bei BILD als Tatsache erzählte Zahl 2.000  im FAZ-Bericht durch den Hinweis "nach Veranstalterangaben" relativiert wird). Über die anderen Veranstaltungen erfährt man bei BILD nur:
"Auch in Berlin, Hamburg und Köln wurde demonstriert, nicht nur für den Ex-Verteidigungsminister, sondern auch gegen ihn [immerhin wird das nicht völlig unterschlagen], wie an Spott-Plakaten zu erkennen war. Fans und Gegner von Guttenberg hatten auf Facebook zu Veranstaltungen aufgerufen."
Nicht alle Springer-Blätter springen freilich auf die Bild-Kampagne für Guttenberg auf.  WELT Online  titelt heute "Kaum ein Fan geht für Guttenberg auf die Straße" und meldet:"Auf Facebook ist die Unterstützung für den Verteidigungsminister a.D. riesig. Die Pro-Guttenberg-Demos aber waren ein Flop – außer in seiner Heimatgemeinde."
Textstand vom 05.03.2011. Auf meiner Webseite http://www.beltwild.de/drusenreich_eins.htm finden Sie eine Gesamtübersicht meiner Blog-Einträge (Blotts). Zu einem „Permalink“, d. h. zu einem Link nur zum jeweiligen Artikel, gelangen Sie mit einem Klick auf das Erstellungsdatum unterhalb des jeweiligen Eintrages.Soweit die Blotts Bilder enthalten, können diese durch Anklicken vergrößert werden.

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