Interview: Cathrin Schütz (Junge Welt)
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Vor zehn Jahren, am 5. Oktober 2000, verlor der jugoslawische Präsident Slobodan Milosevic sein Amt. Was verbirgt sich hinter dieser von westlichen Politikern und Medien gefeierten »demokratischen Freiheitsrevolution«?
Serbien hat sich dem Anfang der 1990er Jahre begonnenen Krieg gegen Jugoslawien zehn Jahre lang erfolgreich widersetzt. Nachdem der NATO-Angriffskrieg gegen unser Land 1999 ohne echten Sieg endete, haben London und Washington zum Sturz Milosevics eine riesige Spezialoperation durchgeführt, die Mutter aller nachfolgenden »bunten Revolutionen«. Bill Clinton übertrug der CIA per präsidentiellem Erlaß einen Freibrief zur Durchführung eines Staatsstreichs in Jugoslawien. Unsummen wurden in politische Parteien, Nichtregierungsorganisationen und Medien investiert. Die zersplitterte Opposition wurde unter ausländischer Anleitung geeint. Ein Bündnis aus 18 Parteien hatte als »demokratische Opposition« DOS ein Ziel: Milosevic stürzen. Der spätere US-Botschafter in Belgrad, William Montgomery, unterhielt in Budapest ein eigens dafür eingerichtetes Büro. Oppositionelle Aktivisten besuchten Kurse, die von CIA-Agenten geleitet wurden. Auch die als »Studentengruppe« bekannte Gruppe »Otpor« (Widerstand), die den Slogan »Gotov je« – »Er ist fertig« geprägt hat, mit dem der Wahlkampf geführt wurde, ist ein Projekt westlicher Geheimdienste.
Wie spielte sich der Umsturz ab?In der jugoslawischen Präsidentschaftswahl am 24. September trat Amtsinhaber Milosevic gegen den vom Westen unterstützten Kandidaten Vojislav Kostunica an und unterlag deutlich mit 15 Prozent weniger Stimmen. Da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erringen konnte, hätte es regulär zu einer Stichwahl kommen müssen. DOS-Kreise behaupteten wie angekündigt, Milosevic hätte die Wahlen gefälscht, und Kostunica sei siegreich aus dem ersten Wahlgang hervorgegangen. Otpor führte gewaltsame Straßenproteste an. DOS wollte die Stichwahl verhindern, obwohl sie die mit Sicherheit gewonnen hätte. Milosevic lehnte einen Rücktritt ohne zweiten Wahlgang ab. Auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzung fällte der Oberste Gerichtshof eine kuriose Entscheidung: Wegen Gerüchten über Unregelmäßigkeiten beim ersten Wahlgang wurden alle Stimmen aus der südserbischen Provinz Kosovo einfach annulliert. Natürlich hätte die Wahl in den betreffenden Bezirken wiederholt werden müssen. Die Stimmenannullierung vergrößerte Kostunicas Stimmenanteil auf über 50 Prozent. Milosevic erkannte die Entscheidung noch am 5. Oktober an und gratulierte Kostunica zum Sieg. Dieser Schritt, über den kaum berichtet wurde, ging in einem medienwirksam inszenierten »Volksaufstand« unter. Während Otpor das Parlament in Brand setzte, wurde die sofortige Übernahme des Regierungsapparates durch Kostunica und die Opposition vollzogen. Mit diesem Putsch kam man einer geregelten Amtsübergabe zuvor.Es ging der Opposition also nicht um einen einfachen Wahlsieg?Die jahrelange Darstellung Milosevics als »Diktator« in den westlichen Medien wäre durch seine demokratische Abwahl ad absurdum geführt worden. Diesen Glaubwürdigkeitsverlust wollte der Westen nicht riskieren. Aber die »Revolution« mußte vor allem inszeniert werden, um mit gewaltsamen Mitteln in kürzester Zeit weitreichende Eingriffe in Staat und Wirtschaft vornehmen und so die Transformation unumkehrbar machen zu können. Nach dem 5. Oktober wurden Behörden und Betriebe von sogenannten Krisenstäben besetzt, bisher Verantwortliche entlassen. Nach wenigen Monaten waren 40000 Funktionäre illegal aus ihren Ämtern entfernt worden. Der heutige Wirtschaftsminister Mladjan Dinkic begann seine große Karriere mit der Übernahme der Nationalbank mit Maschinengewehren. Seine Partei G17plus war ursprünglich eine vom Westen unterhaltene »Nichtregierungsorganisation«, die trotz marginaler Wahlergebnisse seit zehn Jahren unter wechselnden Regierungen die Staatsfinanzen kontrolliert. Dinkics erste Tat als Nationalbankdirektor war die Auflösung der vier größten serbischen Banken auf Geheiß des Internationalen Währungsfonds – mit dem Ergebnis, daß sich das serbische Bankensystem heute in ausländischen Händen befindet und jedes Jahr sechs Milliarden Euro ins Ausland wandern. Ich erinnere an Milosevics Worte vor der Wahl: »Sie greifen nicht Serbien wegen Milosevic an, sondern Milosevic wegen Serbien.«Aber es gab jenseits der westlichen Propaganda tatsächlich eine große Unzufriedenheit in der Bevölkerung …Die Opposition verstand es unter Anleitung von und im geschickten Zusammenspiel mit ihren ausländischen Sponsoren, das von westlichen Sanktionen und NATO-Krieg verursachte Leid Milosevic zuzuschreiben und große Verheißungen an ihren Wahlsieg zu knüpfen. Die Bomben zerstörten Wirtschaft und Infrastruktur, was die soziale Situation verschärfte. Als die Regierung die verbleibenden staatlichen Mittel zur Reparatur der wichtigsten Straßen- und Schienenverbindungen verwendete, bekamen die Wähler dies zu spüren und wurden für oppositionelle Propaganda noch empfänglicher: Mit der Abwahl Milosevics würde der ausländische Druck aufhören und der Lebensstandard steigen. In diesem Sinne ist die Bemerkung des Pressesprechers des Weißen Hauses, Ari Fleischer, zu verstehen, daß der Krieg Teil der »Regime change«-Strategie von NATO und USA gewesen sei, da er Milosevic schwächte und zu seinem Fall führte.Warum betreiben die führenden westlichen Länder eine derart aggressive Einmischungspolitik in Jugoslawien bzw. Serbien?Es gab seit Beginn der 1990er Jahre nicht mehrere Kriege in Jugoslawien. Slowenien, Kroatien, Bosnien, Kosovo – das alles war ein einziger Krieg: der des Westens gegen Jugoslawien. Dieser Aussage Milosevics stimme ich voll zu. US-Präsident George Bush sen. sprach im Rahmen der Verhandlungen zur deutschen Wiedervereinigung von der Beseitigung der Konsequenzen des Versailler Vertrages in Europa. Im Mittelpunkt des Versailler Konzepts stand die Schwächung Deutschlands zugunsten der osteuropäischen Länder, die von Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen der »Mitteleuropa«-Doktrin als Satelliten beansprucht worden waren. So wurde in Versailles auch erstmals Jugoslawien als Staat anerkannt. In den 1990er Jahren hingegen sollte ein wiedererstarktes Deutschland als NATO-Mitglied der Schwächung Rußlands dienen, und Osteuropa sollte in den »euro-atlantischen Raum« überführt werden – natürlich nur als Kolonie. Besonders Serbien sollte, entsprechend dem langgehegten Wunsch der Briten, als potentieller Bündnispartner Rußlands geschwächt werden. Um Milosevic ging es nie. Kosovo beherbergt nun mit Camp Bondsteel die größte US-Militärbasis in Europa, im Gebiet der geplanten großen Öl- und Gaspipelines aus dem Kaspischen Meer.Hat sich der Sturz Milosevics für die Bevölkerung bezahlt gemacht?Gleich nach dem 5. Oktober 2000 wurden das von Milosevic-Sozialisten dominierte serbische Parlament durch die Bildung einer Übergangsregierung entmachtet und vorgezogene Parlamentswahlen abgehalten. DOS erhielt eine Zweidrittelmehrheit und bestimmte mit Zoran Djindjic im Januar 2001 die Nummer eins des Westens zum Ministerpräsidenten, dem mächtigsten Amt jugoslawischer Politik. Damit war der Putsch vervollständigt. Serbien ist heute ein besetztes Land. Ausländische »Berater« sitzen in Regierung, Armee, Polizei, Geheimdienst. Die Wirtschaft ist am Boden, das Bankensystem in ausländischen Händen. Privatisierung und Ausverkauf der großen Betriebe bringen Armut und Hunger nach Serbien. Die Armee besteht nur noch aus vier Brigaden, die Medien sind mundtot gemacht, die Politiker korrumpiert, Montenegro hat sich losgelöst, Kosovo seine Unabhängigkeit erklärt. Und während vor dem 5. Oktober die Verantwortlichen der NATO für begangene Kriegsverbrechen vom Belgrader Bezirksgericht in Abwesenheit zu 20 Jahren Haft verurteilt wurden, wurde das Urteil kurz nach dem Coup aufgehoben. Dafür wurde der Chef des staatlichen TV-Senders für den Tod seiner Mitarbeiter verantwortlich gemacht, die durch NATO-Bomben starben. Milosevic und nach ihm zahlreiche hochrangige Staatsbedienstete und Generäle wurden unter Bruch der Verfassung an die NATO-Inquisition in Den Haag ausgeliefert. Nichts hat sich also verbessert, im Gegenteil. Unser ferngesteuerter Präsident und der Chor der gekauften Politiker und »Experten« sprechen von großen Etappensiegen auf dem Weg in die Europäische Union. Doch es ist wohl offensichtlich, daß dieser Weg nicht der richtige ist.