Zusammenstellung der Web 2.0-Logos: liako via flickr (CC-Lizenz)
Seit gut einem Jahr verbringe ich viel Zeit im Blog-All – oft genug mehr, als mir lieb ist. Es drängt mich deshalb, hier ein paar Bemerkungen zu meinen Erfahrungen und Beobachtungen als Astronaut im Universum der Bloggerinnen und Blogger zu äussern. Und ich bin gespannt, von MitastronautInnen zu erfahren, ob nur ich diese Welt so erlebe oder ob auch andere solche und ähnliche Beobachtungen machen. Ergänzungen sind willkommen.
Wenn ich von Blog-All und Universum schreibe, so soll damit zunächst die überwältigende Vielfalt der Blogosphäre zum Ausdruck kommen. Kaum ein Thema, das nicht aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet und – meist pointiert – kommentiert wird: Aquarien, Hartz IV, Neuerscheinungen von Büchern, Finanzkrise, Katzenpflege, Indien und, und, und … Es würde mich nicht wundern, wenn es auch Blogs zur Herstellung von Schraubenmuttern, zur Überwindung von Trennungsschmerz oder zu Rezepturen von medizinischen Einläufen gäbe. Dann kommen ja noch die persönlichen Tagebücher hinzu, also die nicht themenzentrierten Blogs. Es gibt sodann Kunstblogs, Blogs zur Mobilisierung für politische, religiöse oder antireligiöse Anliegen. Es gibt Unternehmensblogs, Schnäppchenblogs, Wissenschaftsblogs und Watchblogs, due einzelner Unternehmen, Organisationen oder Medien kritisch begleiten. Und bei all dieser Vielfalt ist oft genug himmelschreiender Unsinn nur ein paar Klicks von hervorragenden Texten entfernt. Die Vielfalt und die schiere Menge an Anregungen und Informationen kann einen glatt überfordern und zu einer Art Info-Infarkt führen. Man verliert sich im Web-All – und plötzlich ist man leer, vor lauter Fülle ausgelaugt, irgendwie seiner selbst beraubt, und wünscht sich nichts sehnlicher als eine einfache Klause im Wald – natürlich ohne Internet-Anschluss – und ein schlichtes Leben, reduziert auf das Wesentliche.
Die Blogwelt ist furchtbar laut. Das ist ein Gezeter und Gekreische, ein Rufen und Plappern, ein Feilschen und Beschwören. Und dabei hört man, jetzt mal von Audio- und Videoblogs abgesehen, keinen einzigen Ton … Der Eindruck rührt wohl daher, dass die BloggerInnen um alles in der Welt Aufmerksamkeit erregen wollen – ja, müssen. Denn sonst werden sie nicht wahrgenommen, gehen unter im Meer des digitalen Grundrauschens. Es kommt mir manchmal vor wie an einer Demo, an der jeder für sein eigenes Anliegen demonstriert, mit den Armen herumfuchtelt, wild hüpft und laut ruft. Und jeder trägt ein grosses Plakat vor sich hin mit der Aufschrift: „Klick mich!“, „Klick mich!„, „KLICK MICH!“ Darunter leidet zuweilen der differenzierte Gedanke, das Subtile. Es wird holzschnittartig die eigene Meinung hinausposaunt, möglichst dezidiert, möglichst laut eben.
Vielleicht sind deshalb Verschwörungstheorien und andere abenteuerliche Spekulationen im Blog-All weit verbreitet. Empörung und Verachtung von Andersdenkenden sind ebenfalls ein wichtiger Motor in dieser Welt, nicht nur in den Beiträgen selbst, sondern auch in den Kommentaren. Das Extreme, Sensationelle bringt Klicks. Und steigende Klickzahlen sind das höchste der Gefühle für den Blogger. Ich beobachte ja auch an mir selbst, wie ich immer wieder auf die Zugriffszahlen schiele. Viele Blogs unterscheiden sich punkto Voyeurismus gar nicht so sehr von den anderen, ebenfalls sensationshungrigen Medien. Der Boulevard ist allgegenwärtig. Auch auffällig: Rechte bis rechtsextreme Blogs zählen zu den meistbesuchten Seiten, kursieren regelmässig bei den Top-Blogs zuoberst, zum Beispiel bei wordpress.com. Woran das liegen mag? Frage ich mal so ganz naiv.
Das Blog-All ist voller Sternschnuppen, die hell leuchten (wollen) und schnell verglühen. Wer die Klickzahlen erhalten oder steigern will, muss seinen Besucherinnen und Besuchern immer wieder neues Futter anbieten. Natürlich liegt das auch am Charakter des Mediums. Es ist niederschwellig. Ein Post ist mit ein paar schlichten Klicks veröffentlicht – was man ihnen zuweilen anmerkt … Es herrscht eben Quantität vor Qualität.
So ist sie nun mal, die Blogwelt – zumindest nehme ich sie so wahr. Trotzdem möchte ich sie nicht mehr missen. Dies sei angemerkt, wenn mich nun womöglich meine Mit-AstronautInnen im Blog-All ob meiner kritischen Bemerkungen am liebsten in der Luft zerreissen würden. Die wilde Flut der Blogs und Posts umspült wunderbare Inseln der Erkenntnis und der Horizonterweiterung, des Gesprächs und des Sichfindens. Wenn es nicht auch das Feinsinnige gäbe, das Kundige, das Poetische und die gemächlichen, ausgereiften Texte – ich hätte den Blogs längst den Rücken gekehrt. Denn Blogs sind nicht zuletzt auch eine potente Zeitvernichtungsmaschine.