Selbstvertrauen

Aus der Serie „Mentale Fähigkeiten“ nach den gestrigen Ideen zur Motivation heute etwas zum Thema Selbstvertrauen. Was die meisten Menschen nicht verstehen, ist, dass sie da sind wo sie sind, weil sie sich selbst genau DAS zutrauen. Nicht mehr und nicht weniger. Einer der schönen Aspekte der deutschen Sprache ist, dass die Wahrheit oft schon direkt im Wort ersichtlich ist. Selbstvertrauen kommt ergo von „sich selbst vertrauen“. Und wo kommt das her? Dadurch, dass man es einfach tut. Sich selbst etwas zutraut. Und dann das Feedback ehrlich anschaut. Habe ich das, was ich mir zugetraut habe, geschafft? Wenn nicht, muss ich vielleicht für den Moment etwas kleinere Brötchen backen, kleinere Tippelschritte in Richtung meines angestrebten Endzustands gehen. Wenn ich es aber direkt geschafft habe, welchen Grund habe ich dann noch, an meinen Fähigkeiten zu zweifeln? Okay, die Meisten von uns brauchen ein paar Mal dieses positive Feedback. Und das ist auch gut so. Denn wie meine Oma früher schon immer sagte: „Übermut tut selten gut!“
Leider bin ich in einer Umgebung aufgewachsen, in der meine Eltern einerseits viel Urvertrauen verbreiteten (= gut), aber beim kleinsten Anflug von Selbstvertrauen (oder gar Selbstsicherheit – schön, dass die deutsche Sprache auch hier differenziert), dies im Keim erstickten (= nicht ganz so gut). So brauchte ich als kleiner Triathlon-Anfänger in den 80ern gefühlte 30 Podium-Finishes, bevor ich langsam begann, an mich zu glauben und mich nicht durch die fitter aussehende Konkurrenz oder so etwas Dummes wie das schickere Outfit entmutigen zu lassen. Es ist manchmal geradezu peinlich, welch lächerliche Ausreden unser Geist erfindet.
Es ist immer wieder interessant zu sehen, wie offenbar nicht nur ich, sondern auch die absoluten Top-Stars mit diesen immer gleichen Herausforderungen zu kämpfen haben. Da wir nachher noch eine Brutalo-Laufeinheit auf der Bahn haben, nutzte Brett Sutton heute morgen für eine wirklich lockere Schwimmeinheit und die ersten 30 Minuten für eine kleine Ansprache zu eben jenem Thema. Und siehe da: Auch eine Nicola Spirig (was will man noch mehr erreichen, als eine olympische Goldmedaille?) oder eine Daniela Ryf (mal eben die 5110-Europameisterschaft gewinnen um tags darauf ihren ersten Ironman überlegen auf Platz 1 zu finishen…und mein Tipp ist, dass sie am Sonntag mal eben die 70.3 Europameisterschaft in Wiesbaden killen wird) kochen nur mit Wasser und kämpfen offenbar mit den gleichen Challenges.
Und bei den „normalen“ Athleten sehe ich dieses Thema als noch prominenter an. Abgesehen davon, dass die Peer Group das ganze Jahr durchtrainiert wie bekloppt, liegt der einzige Fokus fast ohne Ausnahme wo? Genau: Auf der Physis! Nur das körperliche Training zählt anscheinend. Und das obwohl das in aller Regel clevere Jungs und Mädels sind. Obwohl sie alle schon dutzendemal gehört haben, dass z.B. in Kona 20 Jungs oder Mädels gewinnen können – rein körperlich betrachtet. Aber einer macht eben das Rennen. Im Grunde ist das ein no-brainer. Die oder derjenige gewinnt das Rennen, der (1) über die nötigen körperlichen Grundvoraussetzungen verfügt, sich das (2) aber vor allem auch zutraut und (3) es an diesem Tag mehr will, als alle anderen. Und bei den Age Groupern sehe ich den alleinigen Fokus auf (1). Plus natürlich all’ die albernen Gadgets, die man als Triathlet von Welt so zu brauchen scheint (selbstverständlich den teuersten Wetsuit, das beste und teuerste Rad, das man aus Carbon fertigen kann, den schicksten Aerohelm (oder auch gern die völlig albernen „Eier“, die gerade en vogue sind) und natürlich ein Satz unbezahlbarer Zipps. Nicht zu vergessen die Elektronik: Ohne Garmin weiß ich ja gar nicht, wie weit ich wirklich gelaufen oder geradelt bin (Und, was heißt das jetzt genau für mein Training?). Natürlich muss ich meinen Puls in jeder Sekunde des Trainings kennen und peinlich genau einhalten – gutes Marketing von Polar, Suunto & Co lässt grüßen. Und selbstverständlich darf beim ambitionierten Athleten der Wattmesser nicht fehlen. Nun wissen alle, die ab und zu mit mir trainieren, dass ich keinerlei dieses „Elektronik-Schrotts“ nutze und völlig nach Gefühl trainiere. Und wo stehe ich im Vergleich zu den Kollegen, die alle 15 Sekunden hektisch auf ihr Display schielen? Genau!
Womit wir wieder genau beim Thema Selbstvertrauen sind. Diese Sportfreunde haben alle kein Vertrauen in ihre Möglichkeit und brauchen ein LCD mit Zahlen drauf, um sich gut zu fühlen. Das Display ist mein Gott, den ich anbete. Und dadurch geht natürlich auch jedes Körper- und Tempogefühl verloren. Das sind dann die Athleten, die rein körperlich betrachtet aus meiner Sicht locker die Kona-Quali in sich haben, aber regelmäßig völlig schwachsinnige Dinge in einer Rennsituation tun – u.a. weil ihnen jegliches Tempogefühl fehlt und sie kein Vertrauen in ihre Möglichkeiten haben.
Ich würde als Coach – genau wie Brett – den ganzen Technik-Klimbim verbannen und auf die mentalen Aspekte fokussieren. Aber natürlich fragt keiner und man bleibt lieber da, wo man ohnehin schon ist und trainiert noch ein paar weitere leere Kilometer für’s Trainingstagebuch.


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