Selbstmord wegen Antidepressiva?

Selbstmord wegen Antidepressiva?

Laut Arzneimittelreport 2011 hat sich die Verordnung von Antidepressiva in den letzten 15 Jahren mehr als verdreifacht. Nach Daten der gesetzlichen Krankenkassen wird jährlich bei etwa acht Prozent der erwerbstätigen Versicherten eine behandlungsbedürftige Depression diagnostiziert. Die Mehrzahl der Betroffenen ist zwischen 45 und 60 Jahre alt und weiblich. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass jeder Vierte im Laufe seines Lebens mindestens einmal depressiv ist.

Es dauert mehrere Wochen, bis die selektiven Serotonoin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) wirken und die Stimmung verbessern. Der Antrieb ist schneller wieder hergestellt. Was spielt sich in der Zwischenzeit im Körper des Patienten ab, was in seiner Psyche?

Dr. Armin Quante: Das ist ganz unterschiedlich. Man geht davon aus, dass Antidepressiva nach ungefähr zwei bis vier Wochen eine positive Wirksamkeit haben. Mögliche Nebenwirkungen treten jedoch schon in den ersten Tagen nach der Einnahme auf. Hierüber sollte der Patient in jedem Fall informiert werden. Natürlich sollte die Verordnung von Antidepressiva durch einen Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie erfolgen, der den Patienten über alles informieren kann und ihn auch motivieren sollte, psychotherapeutische Interventionen wahrzunehmen. So ist beispielsweise eine Aktivierung und Sinnesschärfung schon sehr hilfreich – auch in der Zeit, in der das Antidepressivum noch nicht wirkt. Bei schweren Depressionen mit starker Unruhe, Suizidgedanken oder wahnhaften Symptomen werden zeitweise auch angstlösende Medikamente wie Benzodiazepine initial verordnet. Diese können bereits nach einigen Stunden zu einer Entlastung führen, wirken aber nicht antidepressiv. Ansonsten bangen viele Patienten zwischen Hoffnung und Angst, ob das Medikament und gegebenenfalls die Psychotherapie bald eine Wirksamkeit hat. Der Psychiater ist hier gefragt, den Patienten Mut zu machen.

Sind Selbstmorde in diesem Zeitraum dann nicht sogar besonders häufig?

Quante: Wenn eine Depression nicht behandelt wird, sind Suizide besonders häufig und erst durch die Therapie kann das Risiko eines Suizidversuchs gesenkt werden. Bei schweren Depressionen ist natürlich auch in der Behandlungsphase Vorsicht geboten, insbesondere wenn ein Patient Suizidgedanken hat. Dann ist eine vorübergehende Therapie unter stationären Bedingungen zu empfehlen, ebenso der Gebrauch von angstlösenden Medikamenten.

Woran liegt das genau?

Quante: Wenn ein Patient Suizidgedanken oder gar -impulse hat, diese jedoch nicht ernst genug genommen wurden und dann antriebssteigernde Medikamente verordnet werden, ohne dass die akute Suizidalität vom Facharzt diagnostiziert wurde. Dann kann es passieren, dass Patienten, denen vorher der Antrieb für einen möglichen Suizidversuch fehlte, plötzlich die Kraft haben, sich umzubringen. Daher ist es wichtig, einen Patienten genau aufzuklären und bei akuter Suizidalität eine stationäre Therapie einzuleiten. Bei weniger schweren Depressionen ist diese Gefahr geringer. Wird der Patient aber nicht behandelt, kann es zu schweren Depressionen mit Suizidalität führen.

Welche Nebenwirkungen haben Antidepressiva besonders häufig?

Quante: Das kommt ganz darauf an, welches Präparat eingesetzt wird. Am häufigsten kommen die SSRI zum Einsatz. Hier kann es in der ersten Tagen besonders zur vermehrten Unruhe, Magen-Darm-Beschwerden, Schwitzen und Schlafstörungen kommen. Bei den früher sehr häufig verschriebenen trizyklischen Antidepressiva hingegen können auch Herzrhythmusstörungen, Gedächtnisstörungen, Mundtrockenheit und Gewichtszunahme auftreten. Daher sind diese Medikamente nicht mehr die erste Wahl bei der Behandlung von Depressionen. Bei allen Medikamenten muss zu Beginn der Behandlung regelmäßig Blut abgenommen werden, um unter anderem das Blutbild und die Leberwerte zu kontrollieren, da die meisten Medikamente über die Leber abgebaut werden.

Machen SSRI abhängig?

Quante: Nein, Antidepressiva machen nicht abhängig, das ist ein häufiger Irrglaube.

Wie effektiv sind SSRI-Alternativen wie Sport, Lichttherapie und Massagen?

Quante: Sport, Massagen und Spaziergänge bei Tageslicht sind sicherlich auch wichtig, ergänzen die Therapie jedoch nur, wenn es sich um eine wirkliche Depression handelt. In der Regel werden all diese Maßnahmen im Rahmen eines Therapieprogramms integriert. Ein Sonderfall ist die sogenannte saisonal abhängige Depression (SAD), die nur in den Wintermonaten aufritt. Hier spielt die Lichttherapie eine entscheidende Rolle. Ausgedehnte Spaziergänge bei Tageslicht können bei der SAD manchmal schon ausreichen. Wenn dies aufgrund des Jobs zum Beispiel nicht möglich ist, können auch Lichttherapiegeräte verwendet werden.

Wann sollte ich beim Arzt auf Antidepressiva bestehen?

Quante: Wenn der Verdacht auf eine Depression besteht, sollte umgehend ein Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie aufgesucht werden. Sollte dieser die Diagnose bestätigen, wird zusammen mit dem Patienten ein Behandlungskonzept besprochen, welches bei mittelschweren bis schweren Depressionen auch Antidepressiva einschließt. In der Regel gilt: Sollten mindestens eines oder gar mehrere Symptome wie niedergedrückte Stimmung, Antriebslosigkeit, Müdigkeit, Grübeln, Zukunftsängste, Interessenlosigkeit und Schlafstörungen über einen Zeitraum von zwei Wochen auftreten, sollte dringend ein Psychiater konsultiert werden.

Wie wirken Antidepressiva während der Schwangerschaft?

Quante: Auf Antidepressiva sollte man im Falle einer Schwangerschaft möglichst verzichten, zumindest im ersten Trimenon. Eine Alternative wäre neben psychotherapeutischen Maßnahmen auch die Lichttherapie. In einigen Fällen ist jedoch auch bei Schwangeren eine medikamentöse Therapie unabdinglich, hier werden in der Regel SSRIs empfohlen, da das Fehlbildungsrisiko als gering eingestuft wird.

Welche Symptome gibt es nach dem Absetzen von SSRI?

Quante: In der Regel werden Antidepressiva mindestens sechs Monate, meist aber über Jahre eingenommen. Nach einer einmaligen Depression kann ein Absetzversuch nach sechs bis zwölf Monaten erfolgen. Zu beachten ist, das SSRI nicht plötzlich abzusetzen, sondern innerhalb von zwei bis drei Wochen. In seltenen Fällen kann es sonst zu einem Absetzsyndrom kommen. Dieses beinhaltet häufig Unruhezustände, Schlafstörungen, manchmal auch Angstsymptome. Das hat jedoch nichts mit einem Entzugssyndrom zu tun, wie es bei Medikamenten mit Abhängigkeitspotential der Fall ist.

Dr. Arnim Quante ist Oberarzt des Moduls Integrative Psychiatrie der Charité Berlin.

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Depression – Selbstmord wegen Antidepressiva?

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