Selbstentblößung?

Von Christinaschr

Panikherz – Benjamin von Stuckrad-Barre

Kokain, bis fast nichts mehr von der Nasenscheidewand übrig bleibt, jede Sorte von Tablette, Alkoholsucht, Bulimie, Depressionen und Verwahrlosung. Benjamin von Stuckrad-Barre hat eine erschütternde Drogenkarriere hingelegt. Doch in seinem Roman Panikherz geht es nicht nur um den Fall des Autors, sondern auch um eine übertriebene Huldigung an „Stuckimans“ großes Idol und Retter in der Not: Udo Lindenberg.

Obwohl von Stuckrad-Barre sich später im Roman darüber aufregt, dass er während seines Entzugs ständig in den Therapiestunden über seine Kindheit sprechen musste, beginnt er seinen Roman mit einem ausführlichen Bericht genau darüber: Kindheit und Jugend. Im Mittelpunkt steht dabei seine Liebe zu Udo Lindenberg und seiner Musik. Immer wieder unterstreicht v. Stuckrad-Barre Erlebnisse und Gefühle mit Zitaten aus Lindenbergs Songs, erzählt parallel dazu Lindenbergs Musikkarriere. Mit Udo Lindenberg kann ich nichts anfangen, und dennoch hat mir dieser Teil am besten gefallen: V. Stuckrad-Barre beschreibt eindrücklich, welche große Rolle Musik für Heranwachsende spielt, wie sie im Erwachsenwerden beeinflusst und für das Leben prägt.

Der Ort seiner Jugend, Göttingen, wird v. Stuckrad-Barre zu klein. Seinem Idol Udo Lindenberg hat er längst den Rücken gekehrt. V. Stuckrad-Barres Leben nimmt an Fahrt auf, als er nach Hamburg geht: Mit Anfang 20 wird er als Redakteur beim Rolling Stone eingestellt, er schreibt für die Harald-Schmidt-Show, arbeitet als Produktmanager für das erfolgreiche Plattenlabel Motor Music und bringt seinen ersten Roman Soloalbum auf den Buchmarkt. Ein großer Erfolg, der jedoch seine Bulimie befeuert. Fortan nur noch in der Öffentlichkeit will v. Stuckrad-Barre dünn sein und dünner werden. Zum Glück lässt ihn das Kokain vergessen, Nahrung zu sich zu nehmen.

Aus einer anfänglichen Diät folgt die Sucht. V. Stuckrad-Barre will immer mehr, immer weiter und verliert sich in sinnlosen Projekten und irgendwann sich selbst. Ein Entzug jagt dem nächsten hinterher. Immer mit dabei: Ironie und Sarkasmus. Eigentlich sollte seine Mager- und Kokainsucht schockieren, jedes peinlichste Detail, das v. Stuckrad-Barre preisgibt, erschüttern. Tut es aber nicht wirklich. Obwohl sehr unterhaltsam erzählt, kratzt v. Stuckrad-Barre nur an der Oberfläche, seine Ängste und damit die Tiefe des Romans verschwinden in ironischen Bemerkungen und Witzen über sich selbst.

Mag sein, dass v. Stuckrad-Barre kein Mitleid beim Leser auslösen oder sich selbst nicht bemitleiden will, doch Empathie sollte schon geweckt werden und die konnte ich nicht aufbringen. Man erhält den Eindruck, v. Stuckrad-Barre wollte mit sich und seiner Vergangenheit abrechnen, dann aber doch nicht ganz alles offenlegen, insbesondere, was seine Gefühle angeht. Und was ich mich die ganze Zeit fragte: Haben Frauen in seinem Leben denn nie irgendwie eine Rolle gespielt? Diese finden nämlich kaum Erwähnung.

Auch das Ende des Romans schwächelt. V. Stuckrad-Barre, wieder clean durch die Hilfe seines Bruders und Udo Lindenbergs, gerät ins pausenlose Schwärmen über den Sänger. Ich hab’s verstanden, er ist ein toller Kerl mit super Charakter. Und weiterhin reitet v. Stuckrad-Barre auf dem berühmten Fitzgerald-Zitat herum, um seinem leeren und spießigen Leben nach der Sucht Ausdruck zu verleihen: „There are no second acts in American lives“.

Panikherz ist ein unterhaltsamer, schriller Roman, dem es aber leider an echter Panik und echtem Herz fehlt.

Weitere Rezensionen: Poesierausch und Kulturgeschwätz

Benjamin von Stuckrad-Barre: Panikherz. Kiepenheuer & Witsch. Köln 2016. 504 Seiten, 22,99 EUR.