Nora Webster – Colm Tóibín
Ihr Ehemann Maurice stirbt viel zu früh und hinterlässt seine Familie ohne Mittel. Die titelgebende Figur Nora Webster muss sich von nun allein durchschlagen und für ihre beiden Söhne Donal und Conor sorgen. Ihre beiden älteren Töchter haben das Elternhaus bereits verlassen, sind zum Teil aber finanziell noch auf die Mutter angewiesen. Neben der Verarbeitung des Todes ihres Mannes und der Fürsorge der Kinder warten weitere Aufgaben auf Nora: Das Ferienhaus in Cush muss verkauft werden, sie muss sich einen Job suchen und irgendwie ihr Leben ohne ihren Ehemann weiterführen.
Tóibín zeichnet das Bild einer selbstbewussten Frau, die Mitte der 60er Jahre in einer kleinen Stadt im Südosten Irlands lebt. Obwohl sie sehr stolz ist und ihren eigenen Weg finden will, ist sie auf Hilfe von Familie und Bekannten angewiesen. Und diese bieten ihr nur Hilfe an, weil sie sich Maurice gegenüber schuldig fühlen.
Zusätzlich erschwert wird Noras Weg, weil jeder ihrer Schritte von neidischen Mitmenschen der Kleinstadt und neugierigen Verwandten beobachtet wird. Beispielsweise starrt jeder sie an, als sie sich das Haar färben ließ und denkt, die Farbe gehört sich nicht für ihr Alter. Nora bleibt stark und lässt sich nicht durch Klatsch und Tratsch beirren, was sympathisch ist, allerdings nur solange eine Figur nicht überheblich wird. Noras Verhalten wirkt versnobt, oft fühlt sie sich Menschen überlegen und bildet sich negative Urteile, ohne sie zu kennen. Sie versucht, sich vom Gerede der Menschen abzugrenzen, schafft es allerdings nicht, weil sie selbst darauf hört.
Noras unsympathisches Verhalten wird durch den nüchternen, trockenen Ton, den Tóibín für den Roman wählt, verstärkt. Dieser lässt zudem etwas Entscheidendes vermissen: Auf keiner Seite kamen Gefühle für den Hauptcharakter auf. Die klaren Worte lassen nicht einen Hauch von Emotionen zu, schaffen es aber auch auf der anderen Seite nicht, Nora als rational denkende Figur zu vermitteln. Nora als Person, Ehefrau, Witwe und Mutter berührt nicht. Sogar die Beziehung zu den Söhnen ist auf eine merkwürdige Art und Weise ambivalent, obwohl diese für Tiefe hätte sorgen können.
Man hofft beim Lesen darauf, dass die Geschichte sich wendet, doch sie plätschert monoton vor sich hin, Nora entwickelt sich nicht weiter. Alles bleibt eintönig und fade. Nora verkauft ein Haus. Nora kauft ein Buch. Nora leiht ihrer Tochter Geld. Nora streitet sich mit ihrer Vorgesetzten. Nora macht Urlaub mit ihren Kindern. Nora schläfert mich ein. Erst als Nora mithilfe von Gesangsunterricht ihr Leben besser in den Griff bekommen soll, stieg ich beim Lesen aus. Zu groß war die Bedrohung, dass die Geschichte in maßlosen Kitsch rutscht.
Colm Tóibín: Nora Webster. Aus dem Englischen von Giovanni und Ditte Bandini. Hanser. 384 Seiten. 26,00 Euro.