Das Buch fängt schon mit einem großen Fragezeichen an.
Was sieht Alice so furchtbares? Was ist so furchtbar, dass die Welt stehen bleibt, und alles auf einen einzigen Augenblick, ein einziges Bild fokussiert wird, um die Welt, die man kannte, zu zerstören, zu verändern? Was erkennt sie? Wovon wird sie Zeugin?
Gleich darauf landet Alice im Krankenhaus, sie liegt im Koma.
Alice wurde von einem Auto erfasst. Hat sie versucht sich das Leben zu nehmen?
War es gewollt? Ein Unfall?
Dem Leser bleibt selbst überlassen, was er glauben möchte.
Während sie im Koma liegt, erfahren wir immer mehr über ihr Leben, ihre Liebe, und das Leben ihrer Eltern und ihrer Großmutter. Ihre Leben werden überschattet von Sehnsucht und Trauer.
Nach und nach erfahren wir, was diese Familie geformt hat und zusammenhält, aber auch welches Geheimnis sie unweigerlich für immer von einander trennen wird.
Lange weiß man nicht, worum es sich bei diesem Geheimnis handelt, man kann nur ahnen.
Ich weiß nicht genau, was mich an dieser Geschichte so gefesselt hat- so zu Tränen gerührt hat.
Sind es die schönen Sätze? Die Bilder, die sie durch Worte gemalt hat? Sind es die Akteure? Ist es die Elspeth, die Oma, die immer weiß, was sie sagen soll? Ganz klar ist, dass ich Alice und John liebe.
Ja, ich liebe die beiden einfach.
Ich habe mit Alice gelacht, ich habe mir ihr geweint, ich war gemeinsam mit ihr wütend.
Der Schmerz, der Verlust um John ist fast schon körperlich zu spüren. John wurde ihr weggenommen, genauso wie er mir weggenommen worden ist.
Es was nicht zum Aushalten. Und es ist nie zum Aushalten, sobald ich das Buch wieder in Händen halten.
Auf jeder Seite finden sich unterstrichene Sätze, Post it- Zettel, die mich an schöne Szenen erinnern.
Ich bin zu Alice geworden, die das Buttermesser von John in Händen hält, auf dem die fettigen Fingerabdrücke zu sehen sind, die er hinterlassen hat.
Ich möchte meinen Finger befeuchten, ganz zart, um die letzten Krümel, die von seinem Brot gefallen sind, alle sorgfältig aufzulesen, um sie mir auf die Zunge zu legen.
Ich möchte essen, was seine Lippen als letztes berührt hat.
Ich möchte wie Alice in den Spiegel schauen, solange bis ich sein Gesicht wieder darin sehe.
Ich wünsche mir eine Erlösung für Alice- und weiß doch, dass diese Sehnsucht durch nichts und niemanden zu mildern ist. Dass sich dieses Schicksal nicht ändern lassen kann, und dass es mit so einer Endgültigkeit geschehen ist, die einen umhaut.
Wie um alles in der Welt soll sie jemals ohne John leben können?
Die Autorin springt in der Zeit, in Alice Vergangenheit, die ihrer Mutter und ihrer Oma und zurück in die Zukunft.
Mir persönlich machen die Zeitsprünge nichts aus, habe aber oft gelesen und gehört, dass es vielen Lesern Schwierigkeiten bereitet hat, richtig in die Geschichte rein zukommen.
Aber gerade das macht den Roman so interessant.
Jede Szene, jeden Kuss, jeden Streit, jede Liebkosung, und Liebesworte zwischen den beiden finde ich zuckersüß, bittersüß. Ich lächel, wenn ich lese, wie Alice und John sich finden, sich kennen lernen sich lieben. Es ist so schön, dass ich nicht genug davon bekommen kann. Die große Liebe. Die alles verzehrende, nicht leben können ohne den anderen- Liebe.
Dieses Buch hat definitiv etwas in mir berührt, ich weiß nicht,was und wodurch, aber ich verstehe Alice, ich kann ihre Gefühle nachvollziehen.
Letztlich zeigt die Geschichte : je länger man Geheimnisse für sich behält, umso mehr zerstören sie.
Geheimnisse säen Misstauen, Misstrauen führt zu Angst, Angst führt zu Distanz.
Keiner tut sich damit einen Gefallen.
Dieses Buch ist vielleicht kein Klassiker, und ganz gewiss kein großes Buch in der Literatur, es mag vielleicht niemals unter den Top 10 stehen, aber Maggie O' Farrell ist es ganz gewiss gelungen Verlust und Trauer so auszudrücken wie es kaum jemand kann.