Seit 30 Jahren unterwegs und immer noch Lust auf mehr

Von Intotheworld

Reisen früher und heute

Selten zuvor hat sich die Welt in einem dermaßen rasanten Tempo verändert wie in den vergangenen 100 Jahren. Nie zuvor sind Entwicklungen so explosionsartig schnell fortgeschritten, wie heute. Die Zeit ist unzweifelhaft “schneller” geworden. Das hat bereits Einstein vorausgesagt und es ist eingetroffen. So hat sich auch das Reisen in einer Geschwindigkeit entwickelt, dass einem im wahrsten Sinne des Worte “schwindelig” werden könnte.

Der Horizont

Bereits als kleines Kind bin ich mit meiner Vater gereist: Er nahm mich mit, als ich vier war oder vielleicht fünf und wir fuhren an den Gardasee. Mama wusste von nichts und als wir abends in einer Trattoria ein Wienerschnitzel aßen, ich kann mich heute noch genau an die Einrichtung erinnern, kullerten mir die Tränen über die dicken Backen: Ich hatte Heimweh. Dann trug Papa mich hinauf in das Hotelzimmer und bettete mich sanft, ich schlief ein und vergaß wo ich war. Tags darauf fuhren wir vorbei an Zitronenbäumen und Oleanderhecken und der Gardasee lag vor uns. Ich glaubte sehr weit weg zu sein. Als wir in Mailand ankamen, war der Papa mächtig stolz auf sein kleines Mädchen, dem er dies alles zeigen konnte. Es gibt heute noch Bilder von mir und dem Mailänder Dom. Mein Vater wollte mir schon früh die Welt erklären und signalisierte dabei stets: Christele, du musst hinaus. Deine Heimat ist mehr als der Horizont, den du sehen kannst. Das war 1963.

Meine Pflegemama hatte keine Ahnung, wohin Papa mit mir gefahren war und so konnte sie auch der Mama keine Auskunft geben. Wir waren frei wie die Vögel, die nächste Telefonzelle war weit und wenn schon. Wer schon daheim hatte ein Telefon zu jener Zeit? Einen Telefonanschluss gab es höchstens bei einer Handvoll Gasthäusern. So dauerte es einige Tage, bis man daheim mitbekam, wo wir waren. Eigentlich erst dann, als wir nach einer Woche wieder zu Hause eintrafen. Ein Horror für meine Mutter. Doch sie war bei meinem Vater bereits einiges gewohnt

Heute schier unvorstellbar. Doch mein Vater war begeistert. Er zog wenn es irgendwie ging immer wieder hinaus. Und immer öfter nahm er mich mit. Selten wusste jemand Bescheid und ich begann immer öfter der Zeit entgegenzufiebern, wo wir wieder in die weite Welt düsten. Manchmal stiegen wir einfach nur auf die Berge oder von Hütte zu Hütte. Dort oben waren wir allein mit uns und der Natur.

So muten sich meine ersten Reiseerlebnisse in den Sechziger Jahren heute recht exotisch an. Die “Krankheit” Fernweh und die Sehnsucht Freiheit waren wohl höchst infektiös und sollten mich nie mehr wieder loslassen. Die Sucht war praktisch vorprogrammiert.

Europa im Kleinen

Europa im Kleinen hieß vorerst die Devise. Und immer wieder mit meinem Vater. Wir besuchten die Verwandten in Österreich, fuhren weiter nach Yugoslawien, wie es damals noch hieß, genossen Deutschland in vollen Zügen und sahen dann doch endlich gemeinsam mit Mama und meiner Schwester Dolores das Meer bei Venedig. Welch ein Ereignis. So viel Wasser. Und das auf einem Haufen. Ich war vielleicht 13. Alles schmeckte nach Salz und die Pinien waren riesig und der Strand steinig. Ich war auf der Stelle verknallt. Und wusste sofort: Das war meine Welt, das mein Element. Ich war daheim angekommen. Auch Dolores war nun infiziert. Mama wollte nur heim. Das war 1971.

Man fuhr aufs Gerade Wohl hinaus in die Welt, orientierte sich an Zeitungsberichten und Reiseführern oder an gar nichts. Oft wusste man nur vom Hörensagen was wo und wann schön sein sollte. Navi? Fehlanzeige. Internet? Was ist das? Hotelbuchungen? Nie gehört. Man blieb irgendwo stehen und fragte, ob ein Zimmer frei sei. Wenn nicht, fuhr man weiter. Und die Hinweisschilder an den Autobahnen und dann in den Dörfern waren noch richtig wichtig. Wir kamen immer an. Egal wo und wann. Es roch immer nach Freiheit und Abenteuer. Und das steckte an und machte uns selig.

Sizilien und Griechenland folgten. Zuerst mit meinem Freund per Autostopp nach Sizilien. Wir fuhren den “Stiefel” entlang und genossen uns und die fremde Welt. Irgendwann einmal da oben am Appenin drohten wir zu verdursten. Die Sonne stand flirrend im Zenit und wir waren vollgepackt mit unseren Rucksäcken und alles schien schwerer als es war. Ganz weit vorne am Horizont machten wir einen Melonenstand aus. Wir schleppten uns weiter und weiter und endlich: Die köstlichsten Melonen der Welt warteten auf uns. Nie zuvor habe ich diese Früchte so genossen wie damals. Und niemals mehr nachher.

Dann folgte Griechenland, mit einem weiteren “Freund”, der nicht meiner war und den ich bald abschüttelte. Drei Monate lang genoss ich Sonne, Meer und Freiheit satt. Zu Hause war es mir längst zu eng geworden. Zwischen all den Bergen und Tälern, die genauso düster waren, wie die Menschen dort. So jedenfalls dachte ich damals. Griechenland indes war Sonne, Meer, Strände satt, Tausend Inseln und wahnsinnig nette Menschen. Ich wollte nie wieder heim. Damals wollte mich Mama tatsächlich einmal von Interpol suchen lassen, ich hatte drei Monate “vergessen” zu Hause anzurufen.Das war 1979.

Dann wurde es richtig Ernst. Ein Trip nach Spanien war geplant: mit meiner Schwester Dolores. Wieder per Autostopp. Denn das Geld war immer knapp. Mit dem Rucksack und dem Zelt stellten wir uns auf die Straße und begannen zu “stoppen”, so nannten wir das Fahren per Anhalter. Was schon sollte uns passieren? Diese Art der Fortbewegung kostete nichts außer ein bisschen Prickeln. Wir fuhren Tausende Kilometer mit den LKWs und mit allem was rollte und uns mitnahm. In Frankreich kam einmal eine Polizeistreife vorbei und wollte wissen, wer wir seien und was wir wollten. Komische Frage. Wir wollten in den Süden und das so schnell und so günstig wie möglich. Es klappte. Man lies uns wieder ziehen und die Costa Brava war nicht mehr weit. Es war traumhaft geil.Das war 1978.

Dolores briet auf einem Felsen einen ganzen Tag in der Sonne und kam rot wie ein Krebs zurück. Wir mussten zum Arzt und dann in die Apotheke, weil sie aufging wie ein Hefeteig. Eine Nacht lang jammerte Dolly ganz schrecklich, kein Wunder. Ihr Sonnenbrand war lebensgefährlich geworden. Sie hatte Fieber und Blasen am ganzen Körper. Tags darauf ging es nach Barcelona. Doch Dolores konnte nicht mit. So fuhr ich eine Weile mit dem Zug, kehrte wieder um, weil ich sie nicht alleine lassen wollte. Barcelona sollte ich erst 35 Jahre später kennen lernen.

Nach ein paar Tagen ging es wieder zurück in die Heimat. Die Mama war froh, ich hatte ihre Dolly heil nach Hause gebracht. Wenngleich ein wenig angeröstet. Autostopp konnte mitunter richtig gefährlich werden, doch es war sehr populär zu jener Zeit und jeder tat es. War man zu zweit, so konnte man sich eher gegen all die aufdringlichen Kerle wehren, die die Mädchen, welche am Rande der Straße standen, als Freiwild betrachteten.

Eines Abends hielt ich es nicht mehr aus daheim. Ich hatte lange gearbeitet, hatte nun ein paar Wochen frei. Und ein bisschen Geld gespart. Also packte ich meinen Rucksack, stellte mich auf die Straße und hielt meinen Daumen hoch. Mein Ziel war Frankreich. Es ging zügig voran: Verona, Mailand, Cote Azur, Marseilles und dann über Avignon, Lion immer weiter in den Norden. Doch diesmal ging einiges schief: Dieser Trip hätte mich fast das Leben gekostet. Mitten in der Nacht wollte ein LKW -Fahrer plötzlich mehr von mir als mir lieb war. Ich musste aus dem fahrenden Laster springen und rennen. Um mein Leben. Er lief hinter mir her und hatte ein riesiges Messer in der Hand. Mein Glück war, dass er klein und fett war und ich klein und schlank. Zudem trieb mich die Panik an und am Horizont sah ich einen weiterer LKW stehen. Auf den sprang ich nun rauf und bat den Fahrer um Hilfe. Er ließ mich bei sich übernachten, doch nicht ohne, dass auch er sich an mir heranmachen wollte. Ich tat die halbe Nacht so als ob ich nichts merken würde und sprang in der Früh wieder aus der Kiste. Das war 1979. Viele tote Autostopperinnen säumten damals die Straßen.

Nun war ich geheilt. Vorerst. Ich nahm den Zug zur nächsten Stadt und fuhr dann gleich weiter bis nach Paris. Keiner daheim wusste wo ich war. Ich kam bei Christian unter. Hatte erneut Glück und gutes Karma. Ihn hatte ich in Paris in einem Cafe kennen gelernt. Bei Christian rief ich daheim an, erzählte aber nichts. Andere Kommunikationsmittel außer die Post gab es noch keine. Meine Eltern waren es gewohnt oft lange Zeit nichts von mir zu hören. Und sie fragten auch nicht danach. Unvorstellbar für mich, wenn meine Kinder heute dasselbe tun würden. Ich würde sie umbringen, sofern ich sie erwischen täte.

Es war wirklich absurd. Diese Art von Reisen scheint heute wohl unvorstellbar. Keiner folgte dir, keiner wusste, wo du bist und was du machst. Es gab keine täglichen Diskussionen um Nichts. Vielleicht interessierte das damals auch niemanden. Meine Eltern waren schwer beschäftigt mit ihrer Firma und sich selbst, was ihre Tochter da draußen in der Welt trieb, konnte höchsten mein Vater erahnen, da er selber ein Wandervogel war. Ging es mir einmal nicht so gut, dann rief ich erst gar nicht an.

Großer Traum USA

Die USA waren mein großer Traum. Ich bewarb mich als Au Pair. Es schien zu klappen, doch im letzten Moment kam die Absage. Und die Enttäuschung war groß. Nun konnte mich nichts mehr halten. Auf eine meiner Reisen hatte ich einen Schweden kennen gelernt. Nicht dass er mich als Mann interessierte, mich interessierte sein Land.

Also fuhr ich hin. Ich hatte zu Hause mit meinem Freund Schluss gemacht, meine kleine Wohnung aufgegeben und wollte nur mehr weg, weg, weg.

In Stockholm traf ich den Hühnen wieder, an seinen Namen kann ich mich längst nicht mehr erinnern. Er war nett, stellte mich seiner Familie vor und half mir Unterkunft zu finden. Die Unterkunft hieß Michael und war Swedisch- Grieche. Ich verknallte mich sofort in ihn. Meinen Eltern gab ich kurz Bescheid, sonst wusste niemand wo ich war und was ich tat. Wozu auch? Mich trieb immer eine undefinierbare Sehnsucht hinaus in die Welt. Ich war alleine wie fast auf allen meinen Reisen. Ursprünglich wollte eine Freundin mit, doch als es richtig Ernst wurde, kniff sie. Wie die meisten. Wer schon konnte den Gedanken folgen, die ich damals in meinem Kopf hatte. Ich wollte Unabhängigkeit von allen Zwängen, wollte mich frei entfalten können und leben wie ich es mir vorstellte. Dazu musste man klarerweise erst einmal eine Vorstellung haben. Und die hatten wenige. Ich schon.

Das mit Michael wurde nichts, also zog ich weiter. Nach Malmö und dann nach Dänemark – Kopenhagen. Dort hatte ich Kontakt mit einem Italiener. Bald schon gab es Wohnung und Arbeit für mich in Horsens. Das war auf dem Dänischen Festland. Es ging alles gut. Die Arbeit in einem Italienischen Restaurant machte mir Spaß. Am Abend saß ich in meiner Wohnung und las und schrieb, ich war alleine, doch nie einsam. Meine Gedanken waren stets bei mir und schlossen sich in meine Welt ein, die sich so sehr unterschied von den Welten meiner Altersgenossen. Ich war in den Bibliotheken daheim, in den Kunstausstellungen, in den Kneipen und Kellern, am Rande der Stadt, nie in der Mitte, am Rande der Gesellschaft vielleicht. Doch es war mir genug. Ich ging zum Schwimmen, lief im Stadtpark, und lernte wieder einen Mann kennen. Ein Flop zugegebener Weise. Doch ein weiterer Weg für mich. Die schönste Erfahrung in Dänemark war jene Pfarrersfamilie, bei der ich ein paar Monate wohnte. Er war protestantischer Pfarrer, sie seine Frau und dann waren da noch vier Töchter. Eine verrückter als die andere. Mit dem Vater durfte ich ins Gefängnis zu den Knastbrüdern, den Mördern und Verbrechern, denen er Beistand leistete. Für mich ein prägendes Erlebnis. Das war 1980

Endlich sesshaft.

Nach dieser Erfahrung dann ging es wieder heim. Ich hatte dort nicht einmal mehr ein Bett. Ich war erst 20 und wollte irgendwie neu beginnen. Auch meinen Eltern zuliebe. Diese kleine Sehnsucht nach etwas Solidem, solider Arbeit, solider Liebe, einer Wohnung, folgten Jahre er Sesshaftigkeit. Meine Tochter kam zur Welt. Sie brachte mir viel Freude. Doch bald waren wir beide allein. So fuhren wir beide so oft es ging und so weit es ging. Um ehrlich zu sein, ging es erst einmal mal nicht recht weit, denn es fehlte das Geld. Geld ist natürlich ein wichtiger Faktor beim Reisen. Früher gab es diese Gelegenheiten des Coachsurfing und dergleichen noch nicht. Man reiste, musste aber schauen wo man günstig unterkam und bei wem. Wir bauten uns ein Netz auf. Übernachteten da und dort und ließen übernachten.

Dann kam Roland in unser Leben. Auch er besessen von der großen weiten Welt. Und in mir hatte er doch tatsächlich das weibliche Gegenstück von dem gefunden, was ihn selber antrieb. Nun ging es richtig los. Eine Reise in die USA war der sprichwörtliche Hammer. Wir nahmen selbstverständlich “unsere” Tochter Denise mit. Sie war fünf Jahre alt. Als wir in New York ausstiegen, blies uns der sprichwörtlich kalte Wind entgegen. Mein Schul-Englisch war mäßig, Roland seines katastrophal. Um es kurz und tragisch zu fassen: Wir verstanden rein gar nichts. Doch wir boxten uns durch. Bis nach Los Angeles mit dem Greyhoundbus und dann kauften wir uns tatsächlich ein eigenes Auto und fuhren drei Monate durch ganz Nordamerika.

Es war der reinst Wahnsinn. Ein total verrückter Wahnsinn. Weihnachten feierten wir in Joshua Tree, einer Hochwüste in Kalifornien, mit vielen anderen Freaks und Denise bekam eine Puppe vom Christkind. Einer backte einen Kuchen. Wir waren glücklich. Obwohl wir im Zelt schlafen mussten, die Nächte waren kalt und bitter und die Tage heiß und trocken. Und draußen warteten die Koyoten, doch sie waren friedlich. Roland war in seinem Klettereldorado angekommen. Ein einziges Mal riefen wir zu Hause an. Dort war es früher Morgen, daheim schon Abend. 9 Stunden Zeitunterschied machten sich bemerkbar. Die Sehnsucht trieb uns nach Arizona, New Mexiko, Texas, Kalifornien, New Orleans und viele andere Staaten. Wir klapperten alles ab, wovon wir irgendwo gelesen oder gehört hatten. Unser Reiseführer war meeralt, doch das sollten wir erst erfahren, als wir viele der Hotels, der Sehenswürdigkeiten, nicht mehr gefunden haben. Doch für Panik blieb keine Zeit und auch keine Lust. In Tulsa waren wir unbeabsichtigterweise in ein Stundenhotel abgestiegen, es ging die ganze Nacht rund. Wir verriegelten Türen und Fenster und draußen jodelten die ganze Nacht die Polizeisirenen. Denise fragte, ob das normal sei und ob sie sich Sorgen machen musste. Nein Liebes, das ist normal, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Mama und Papa sind bei dir. Wir schissen uns in die Hosen vor Angst. Doch das Kind sollte ruhig bleiben. Wir verstanden die Sprache kaum und konnten uns nur kläglich unterhalten. Einmal stieg ich vom Greyhoundbus aus, weil ich Getränke besorgen wollte. Als ich zurück kam, war der Bus nicht mehr da. Guter Gott, meine Familie ist weg und ich hatte keine Ahnung wohin und wieso. Roland erging es mit der schlafenden Denise im Bus nicht viel besser. Er wollte nachfragen was los sei, dass ich draußen sei und so weiter. Die Grenze deiner Sprache ist eben doch die Grenze deiner Welt. Ein Hühne von einem Schwarzen wollte ihm erklären, dass alles ganz harmlos sein. Doch wer verstand das schon in dieser Panik. Es ging alles gut. Der Bus wurde nur kurz durchgeputzt und fuhr dann wieder zurück. Andere Reisende warteten auch bereits. Welch eine Erleichterung. Auch anderswo fanden wir immer wieder liebe Menschen, die uns weiterhalfen. Trotz Sprachschwierigkeiten.

Jim aus Kalifornien, der uns bei sich und seiner Familie übernachten ließ, alle seine Verwandten, die uns ebenfalls weiterhalfen und uns Unterkunft gaben auf unserem Weg in die Freiheit. Erfahrungen, die prägen und die wir auf unserer Festplatte speicherten. Irgendwann ging das Geld aus. Also mussten wir zurück. Wir fuhren nach New York, verkauften das Auto und gingen einfach in den Flughafen zum entsprechenden Schalter und wollten jetzt auf der Stelle heim fliegen. Und wir waren pleite. Es gab damals weder Bancomatkarten, noch hatten wir Visa oder sonst etwas. Wir hatten nur Bargeld bei uns und das war nun alle.Das war 1986.

Unvorstellbar heute. Zwar war die Fluggesellschaft alles andere als begeistert, und wollte sogar noch extra Geld, das wir logisch nicht mehr hatten. Am Ende nahmen sie uns mit und alles war gut. Dafür sind wir heute noch dankbar. Und wir bekommen Lachkrämpfe wenn wir daran denken, wie naiv wir waren. Jedenfalls war ein Englischintensivkurs das erste was wir daheim durchzogen. Auf Biegen und Brechen.

Wanderjahre

Jahre danach folgten meine ersten Reisen nach Indien, denen ein gutes Dutzend weitere folgen sollten. Ich hatte inzwischen meine Organisation “Hope” gegründet und war mit vielen Projekten weltweit unterwegs. Diese Reisen nach Indien waren legendär. Wir versteckten das Geld, das wir daheim für unsere Projekte gesammelt hatten, in unserer Unterwäsche. Wir wollten nicht, dass uns irgendwelche Banken Geld abzapfen, was dann womöglich abhanden kommt. In Indien lebten wir in der Pampa. Ich musste drei insgesamt vier Stunden Busfahrt auf mich nehmen, bis ich an ein Telefon gelangte. Die Zeit musste genau kalkuliert werden. Inklusive Zeitunterschied daheim. Einmal kam ich spät in der Nacht erst wieder zurück. Der indische Pfarrer hatte sich sehr um mich gesorgt. In der Nacht war in diesem Dorf niemand mehr unterwegs. Und schon gar nicht eine Frau ganz alleine. Die Frauen im Dorf erzählten mir hinter vorgehaltener Hand wie grob die Männer seien, wie sie vom halben Dorf vergewaltigt wurden, doch es drang (noch) nicht in die Welt. Ich war entsetzt. Ich schrieb viele Reportagen und Berichte, die allesamt im Sande verliefen. Welch eine Katastrophe. Jahre später erst solle die Weltöffentlichkeit vom unsagbaren Leid der indischen Frauen erfahren.

Roland reiste mehrmals nach Nepal. Einmal kam er todkrank zurück. Er war ganz grün um Gesicht, als er in München wieder aus dem Flieger stieg. Das aber hielt die diensthabenden Beamten nicht davon ab, eine Leibesvisite an ihm vorzunehmen. Vielleicht vermuteten sie irgendwelche Drogen. Es war der reinste Horror für den Armen. Dann lag er zwei Wochen daheim im Bett und ich musste den Arzt rufen. Roland hatte eine böse bakterielle Infektion, von der er sich nur langsam erholte. Auch das bringt das Reisen manchmal mit sich. Denise erging es in Nepal auch einmal nicht besser. Sie wurde schwer krank. Sie war neun und ich musste in Kathmandu den Arzt rufen. Auch sie brauchte Wochen, um sich zu erholen. Das war 1990.

Doch keiner geriet im Panik, wir hatten auch keine Versicherung abgeschlossen, wir organisierten uns einfach Tag für Tag und alles wurde gut. Natürlich braucht es eine gute Portion Selbstvertrauen und guten Willen, um solche Situationen zu meistern ohne hysterisch zu werden und in Panik auszubrechen. Aber ein gewisses Gottvertrauen gehört dazu, wenn man sich dazu entschließt, ein etwas anderes Leben zu führen und die gesamte Familie mit einzubeziehen.

Eine Reise nach Brasilien folgte: mit der gesamten Familie. Denise hatte Liebeskummer, doch wir konnten nicht eine verknallte 14Jährige alleine zu Hause lassen. Es ging ihr dann von Tag zu Tag besser, doch als wir nach drei Monaten wieder heim flogen, begann das Dilemma von vorne. Denise war erneut verliebt, dieses Mal in einen Brasilianer. In Brasilien bewegten wir uns mit Bussen quer durch das ganze Land. Wir fuhren oft tagelang durch die verschiedenen Provinzen, Klimazonen und Landschaften. Roland war zuvor über den Amazonas mit dem Boot angereist. Wir hatten uns dann in Salvador de Bahia getroffen. Ohne Handy, ohne Internet, ohne nichts. Einfach mit der bloßen Angabe einer Adresse und einer ungefähren Zeit. So geschehen übrigens Jahre zuvor auch auf Jamaica, wo ich sechs Wochen mit Freundinnen reiste. Wir hatten uns einfach an einem bestimmten Tag am Postamt von Montego Bay verabredet. Dass es dann nicht sofort klappte, ist das kalkulierbare Risiko. Und am Ende fanden wir uns doch. Doch das war wiederum eine andere Geschichte. Meine Freundinnen waren tatsächlich drei Tage auf der Domenikanischen Republick in Haft genommen worden. Sie wissen bis heute nicht warum. Alles fand schließlich ein Happy End.

Jene drei Monate in Brasilien waren die totale Unabhängigkeit und der “Wahnsinn” in einem fremden Land mit zwei relativ jungen Kindern. Wir hatten Projekte zu betreuen und neue Projekte zu besuchen. Wir gingen in Gefängnisse und weilten bei Straßenkinderprojekten. Das Leben lehrte uns ungeheuer viel und wir kamen zurück und waren erschlagen von den Eindrücken. Und insbesondere die Kinder hatten diese Monate mitgenommen. sie mussten all diese Eindrücke erst einmal verdauen. Nicht immer stießen wir daheim auf Verständnis. Oder auf Gegenliebe, Doch was machte das? Wir hatten uns und die Welt. In Brasilien hatten wir bereits eine Visa-Karte mitgebracht. Doch eines Tages war kein Geld mehr zur Verfügung. Und das, obwohl wir wussten, dass wir genug angespart hatten. Ich konnte drei Wochen lang niemanden von der Agentur erreichen. Wir befanden uns mitten in der Pampa, hatten Hunger und kein Dach über den Kopf. Es war wie verhext. Heute unvorstellbar. Das war 1995. Wir mussten also sparen. Nach langen Wochen des Wartens und der Entbehrungen gab es irgendwann einmal endlich wieder Geld. Eine lehrreiche Erfahrung für uns alle.

Später folgten Dutzende weitere Reisen nach Asien, Amerika, Alaska, Afrika und es dauerte eine ganze Weile, bis man auch das Handy mit dabei hatte und sms nach Hause senden konnte. Es kostete ein Wahnsinnsgeld und man vermied es tunlichst zu viele dieser Dinger zu versenden. In Asien allerdings bemerkten wir bald, dass man uns meilenweit voraus war in der Technik. Als wir daheim noch davon träumten, hatten die Asiaten längst schon überall Internet. Und zudem kostenlos. Neue Welten waren erschlossen. Anfangs der Jahrtausendwende konnte ich unterwegs bereits mein daheim angefangenes Buch “Wahnsinn Leben” fertig schreiben und auch mit dem Rest der Welt und dem Verlag regelmäßig kommunizieren. Seit den Neunziger Jahren war man auch nicht mehr auf Reiseführer angewiesen, sondern holte man sich die Infos vom Internet. Welch eine Erleichterung, doch aber auch Umstellung für uns “Alte”, die damit kaum zurechtkamen. Wir sind ja in einer völlig anderen Welt aufgewachsen, in der man sich noch alles mühevoll zusammensuchen musste, was man an Information so brauchte.

Auch bei den Hotelbuchungen brauchten wir Jahre, um zu begreifen, dass dies nun ganz einfach von unterwegs möglich sei. Die Umstellung für uns Alte war mörderisch. Ich muss zugeben, wir kamen kaum damit zurecht. Und schon gar nicht mit der Geschwindigkeit, mit der nun alles ablief. Mehr als einmal wünschten wir uns die “guten alten'” Zeiten zurück.

Und doch waren wir um alles froh letzten Endes. Erst einmal begriffen, ging es dann umso leichter. Als Roland die ersten Male nach Nepal zu seinen Expeditionen aufbrach, hörte ich bis zu sieben Wochen lang nichts von ihm. Ein Postläufer musste ihm 1989 die Kunde meiner Schwangerschaft per Telegramm in den Himalaya bringen. Es dauerte Wochen, bis er davon erfuhr, mein Bauch wuchs und wuchs und der Vater des Kindes war immer noch unauffindbar. Heute schier unvorstellbar, wo jeder per Satellitentelefon binnen weniger Sekunden miteinander verbunden ist. Auch in den abgelegensten Orten der Welt.

Damals hoffte und betet ich eben und das war es dann. Ich war immer zuversichtlich, dass alles gut gehen würde. Bis auf einmal wo es schief ging. Damals gab es zwei Tote am Manaslu, einem Achttausender. Rolands Bergkameraden Friedl und Carlo kamen ums Leben. Ein unüberwindbares Trauma. Wir reisten 20 lange Jahre nicht mehr nach Nepal.

Andere Länder folgten: ca 19 Male nach Indien, der Projekte wegen auch, Thailand, Cambodja, Laos, Burma, Vietnam, China, dann Afrika und immer wieder die Berge der Welt. Alaska mehrere Male, dann erneut Nepal, wo der Vergleich zu früher und heute nun eklatant im Raum stand. Es hatte sich alles verschlechtert dort. Wo es früher Straßen gab, graben sich heute tiefe Löcher in den noch spärlich vorhandenen Asphalt. Wo früher Strom und Internet vorhanden waren, gab es nun keinen Anschluss mehr. Nepal ist das Paradebeispiel einer korrupten Politik und einer Gier der Machthabenden. Als die fast die gesamte Königsfamilie ermordet wurde, kamen die Maoisten an die Macht. Nichts hat sich verbessert. Ganz im Gegenteil. Das Land steht Tag für Tag am Rande des Kollaps. Es hat sich nichts weiterentwickelt, sondern ist im Rückschritt. Trotz der Millionen, die die Bergtouristen jährlich ins Land pumpen.

Und nun das Erdbeben. Das Land kommt nicht zur Ruhe.. eine Katastrophe folgt der nächsten. Ein Paradebeispiel was korrupte Politiker anrichten können.

Äthiopien, Kenia, Tansania, Zanzibar. Traumländer, doch ebenso von korrupten Regierungen und Politkern geplagt heute und eh und je. Die Welt ist enger zusammengerückt, sie ist kleiner geworden. Ziele, die einst unerreichbar fern erschienen, sind heute binnen weniger Stunden erreichbar. Was hat es gebracht: Das ist die große Frage, die im Raum steht. Das zu begreifen, steht jedem selber zu. Wir können nur kleine Imputs geben, verschwindend kleine Anregungen wie es vielleicht laufen könnte. Ja KÖNNTE.


laslo