SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (237): Die Vertreibung des Wunders und des Wundersamen

SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (237): Die Vertreibung des Wunders und des Wundersamen
Wilhelm Reich, der Pionier der modernen Lebensenergieforschung, beantwortete die Frage nach dem Wesen des von ihm postulierten »biologischen Kerns« unzureichend. Zwar ahnte er eine Verbindung zur Liebe als Qualität der primären Persönlichkeit. Doch wo man die energetische Quelle physiologisch ausmachen konnte, darüber existierten nur undeutliche Hinweise. »Irgendwie« ordnete er die sexuelle Energie und ihren ungehinderten Fluss im Organismus dieser primären Persönlichkeit zu, diagnostisch manifestiert in seinem Idealtypus des »genitalen Charakters«. Doch wie hingen Sexualität und Liebe energetisch zusammen? Entsprang die Quelle der Liebesfähigkeit eines Menschen seinem ungepanzerten Becken?
Die Annahmen Reichs hatten mich nicht überzeugt, ich spürte, dass die menschliche Seele und das Thema Liebe mehr charakterisierten als eine frei gelebte, ungepanzerte Sexualität.
Paul Pearsall gab den entscheidenden Hinweis:
  
»Das Herz ist der Haupterzeuger von Info-Energie. Das Herz sendet fortwährend info-energetische Signale mit einem bestimmten Muster aus, welche die Organ- und Zelltärigkeit im ganzen Körper  regulieren.
Da wir Manifestationen dieser Info-Energie sind, die von unserem gesamten Zellsystem absorbiert, intern weitergeleitet und ständig an die Außenwelt emittiert wird, ist das Wissen, wer wir sind und wie wir uns fühlen, eine physische Repräsentation von Zellerinnerungen, auf die wir Zugriff haben.« (Pearsall, Paul 1999, S. 39)
Dass das Herz nicht nur seelisch, sondern auch energetisch-funktionell eine derart zentrale Bedeutung im Leben des Menschen besitzt, leuchtete mir umgehend ein. Dieses Modell des Herzens als Energiezentrum, das Signale von höchster Intensität aussendet, die nicht nur den eigenen Organismus beeinflussen, sondern weit über die eigenen Körpergrenzen hinausreichen, gab Antwort auf viele offene Fragen und Phänomene, auch auf das der Liebe. Pearsall bezeichnete seine Lehre als »Kardioenergetik«.
Mir fiel es wie Schuppen von den Augen: Die Fixierung auf das Gehirn und die Logik des Verstandes lässt sich als kulturgeschichtliches Erbe der Aufklärung interpretieren. Das Wilde, das Unberechnenbare, die Magie und das Irrationale des Herzens und seiner Gefühle hingegen wirken bedrohlich auf ein mechanistisch-rationales Verständnis des Menschen und seines Wesens. In dieser Weltkonstruktion bedarf es eines überlegenen Generals, einer von seinem Feldherrnhügel die Szenerie überschauende Autorität, die alles kontrolliert und der sich alles unterzuordnen hat: das Gehirn.
Nur, dieses Menschenbild ist nicht das einzige, das in der Geschichte der Menschheit eine Rolle spielt. Es existieren Kulturen, deren intuitives Wissen und transzendente Weisheit über die menschliche Natur dem Modell der Kardioenergetik in manchem näher steht als die westliche. Das westlich-rationale Denken erfasst die Wirklichkeit auf eine analytische, also trennende und zerlegende Weise. Es trennt nicht nur die Totalität der Wirklichkeit selbst, sondern auch das erkennende Subjekt vom betrachteten Objekt; an dieser Gestaltungsweise des Denken konnten auch die Erkenntnisse der Quantenphysik nichts Entscheidendes ändern.
Damit wurde nicht nur das Wunder, das Wundersame und Wunderbare, sondern auch der Zauber des Zufalls und der Zauber der Schöpfung selbst aus der Wahrnehmung des Menschen vertrieben. Geistesgeschichtlich mag es eine verheerend wirksame Waffe darstellen, welche die Aufklärung gegen die Macht des Klerus und der Feudalstrukturen zum Erfolg führte. Allerdings feiern in unseren Tagen die Dämonen des Irrationalen gerade auf dem Feld der Politik fröhliche Urständ. Was den Verdacht aufkommen lässt, dass auf diese Weise das Verdrängte und Abgespaltene mit einer destruktiven Wucht an die Oberfläche drängt, die es unberechenbarer und unbeherrschbarer machen.
Zudem nährten meine Erfahrungen und Erkenntnisse den Eindruck, dass die instinktiven und intuitiven Fähigkeiten des Menschen unseres Kulturkreises immer weiter verkümmerten, was sich insbesondere im Umgang mit seinen eigenen Nachkommen und in seinem Liebesleben manifestierte.
Dazu trat die Erkenntnis, dass die körpertherapeutische Tradition, der ich mich bisher verbunden fühlte, sich von vielen dieser Aspekte unberührt zeigte, Grenzen und Begrenzungen aufwies, die nicht nur auf die Methoden selbst, sondern auch auf die Begrenzungen ihrer Protagonisten verwiesen. Insbesondere das Narzissmus-Phänomen blieb so auf der Agenda.
In all dem fand sich der Ausgangspunkt einer Reise, die mich in den folgenden Jahren in Landschaften führen sollte, die einen anderen Bereich menschlichen Wissens als den analytisch-rationalen markierten: dem der Metaphysik, der spirituellen Traditionen und Weisheitslehren der Menschheit.
(Fortsetzung folgt)

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