SEINSORIENTIERTE KÖRPERTHERAPIE (232): Die Maske herrscht, nicht die Wahrheit

Von Vkdberlin

foto: pixabay


Ich beobachtete weiter, mich selbst und andere. In narzisstischen Verhaltensmustern zeigte sich ein augenfälliges Bedürfnis nach Anerkennung und Geliebtwerden. Selbst Fremden gegenüber und Menschen, zu denen keinerlei Beziehung bestand, ließ sich solches Gebaren beobachten.
Das ging soweit, dass das eigene Kind, der Freund oder Partner öffentlich beschämt oder beschimpft wurde, um gegenüber den anonymen Blicken Fremder zu bestehen. Hier zeigte sich nicht nur um ein situationsbedingtes Verhalten, sondern eine »Haltung«, die sich als »soziale Maske« (W. Reich) durch das Leben zog. Der Verrat, den jemand als Kind durch seine Eltern erlitten hatte, wiederholte sich so an denjenigen, denen man sich verbunden fühlte.
Das narzisstische Ego trat unbewusst als Racheengel des ungeliebtes inneren Kindes auf. Es traf nicht nur das eigenen Herz, sondern auch das Herz derjenigen, mit denen man in Liebe verbunden war. Zudem suchte es fatalerweise nach Antwort in der Außenwelt, statt in der Beziehung zu sich selbst. Die Strategie führt genauso wenig zur Liebe wie der bei manchen Menschen lebenslange Versuch, von den Eltern im Nachhinein die heilende Liebe zu erfahren, die man als Kind vermisste.
Bei denjenigen, die scheinbar auf gesellschaftliche Konventionen pfeifen, fand sich dieser stumme »Schrei nach Liebe«, nur bezog er sich nicht mehr auf die Gesellschaft, sondern auf die Subkultur, der man sich zurechnete und deren Bedeutung für die eigene Identität bis hin zum Fanatismus anwachsen konnte.
 
Ein weiteres Merkmal des narzisstischen Egos fand sich in den kommunizierten oder verborgenen Grandiositätsphantasien. Im üblichen Sprachgebrauch gibt es für die offene Variante viele Worte dafür: »Schaum schlagen«, »aufschneiden«, »angeben«, »prahlen«, »protzen«, »sich aufplustern« usw. Das Selbstbild, das sich hierin präsentierte, besaß Eigenschaften eines Werbeclips. Der versprach eine heile Welt, von der alle Beteiligten, die Macher und die Zuschauer, wussten, dass sie verlogen war. Ein einzigartigen Heldenepos, ein Werbeclip, der rund um die Uhr läuft, und dessen einzige Funktion darin bestand, Erwartungen zu erfüllen, durch die man sich eine Antwort von Geliebtwerden erhoffte.
Schwieriger zu erkenen als der Prahlhans erwiesen sich diejenigen, die bescheiden, zurückhaltend auftreten und bei denen die Grandiosität verborgen im Inneren aufschien und nur im Verhalten erkennbar wurde. Das Muster war das gleiche: Der Schrei nach Liebe verbarg sich hinter der Maske der Bescheidenheit und Zurückhaltung, um die verinnerlichten Erwartungen zu erfüllen, die Liebe versprachen. Ich gewann den Eindruck, dass all diesen Haltungen gemeinsam ein kleines, verlorenes, sich nach Liebe sehnendes Kind verborgen war, dass sich zum Ausgleich aufplusterte, großartige machen musste, um zu überleben. Das narzisstische Ego ließ sich also als ein Kompensationsmechanismus interpretieren, ein Heilungsversuch für ein Selbst, dass sich überhaupt nicht großartig, selbstbewusst und stark empfand, sondern klein, unsicher und schwach.
Dazu passten auch die ausgeprägten Schutz- und Kontrollmechanismen, die mit Empfindlichkeiten gegenüber jeder Art von Kritik verknüpft waren. Sobald ein Hauch von kritischer Sichtweise herüberwehte, traten Abwehrmechanismen unterschiedlicher Couleur hervor: Wutausbrüche, Halsstarrigkeit, rechthaberischer Trotz, Beleidigtsein, Beschimpfungen, Rückzug, Kontaktabbruch, Überheblichkeit, Verachtung. Sie stellten nur einige Varianten dessen dar, wie Menschen in sozialen Zusammenhängen auf kritische Äußerungen reagieren.
Doch in der alltäglichen Kommunikation zwischen Menschen stand eines im Vordergrund, ein unausgesprochenes »Rührmichnichtan«, bezogen auf das narzisstische Ego. Wir nannten es »Konvention« oder »Höflichkeit«, Reich sprach von der »sozialen Maske«, in der Politik hat man es als Kunst der »Diplomatensprache« zur höchsten Stufe der Abstraktion von jeglicher Gefühlsäußerung entwickelt.
Offensichtlich existiert ein stillschweigendes Übereinkommen, das narzisstische Ego, das Bild, die Geschichte, die jemand sich selbst und anderen vermitteln will, nicht infrage zu stellen. Es gilt, zu verhindern, dass der andere »sein Gesicht verliert«. Gemeint ist die Maske, denn fiele die Maske, kämen authentische Emotionen zum Vorschein (s. o.). Was es um jeden Preis zu verhindern gilt. So verrückt sind wir Menschen, »verrückt« von der Wahrheit, der Authentizität. Die Maske herrscht, nicht die Wahrheit.
(Fortsetzung folgt)