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Erst dann, wenn Licht- und Schattenseiten des Therapeuten in der Wahrnehmung des Klienten nebeneinander existieren, können wir die wesentlichen Übertragungsanteile als aufgelöst betrachten.Hier steht der Therapeut vor der Herausforderung, jene aus der Psychoanalyse stammende Abstinenzregel nicht nur zu kündigen, sondern ihr entgegenzuwirken, indem er sich offen und ehrlich auch mit seinen Schattenseiten und authentischen Persönlichkeitsanteilen zeigt. Auf diese Weise wird die Übertragungsbeziehung auf einer menschlichen Ebene geerdet und die Dominanz ihrer Regressionsanteile entscheidend gemindert.
Analog zu den idealisierenden Übertragungen nehmen also die Regressionen ab. Die Realitätsanteile von Beziehung überwiegen. Denn ein Aspekt der uferlos idealisierenden Übertragungen findet sich in dem Phänomen, dass der Klient den Therapeuten in erster Linie als Projektionsfläche seiner Ich-Ideale und Allmachtsphantasien inszeniert, als reine Kunstfigur. Auf einer subtilen Ebene findet sich in der grandiosen narzisstischen Übertragung auf den Therapeuten ein entscheidender Anteil von egozentrischer Selbstaufwertung. Indem ein Klient seinen Helfer großartig phantasiert, setzt er sich selbst als besonders und einzigartig.
In diesem Vorgang verbirgt sich eine Falle, nämlich dass es zu einem stillschweigenden Arbeitsbündnis zwischen dem narzisstischen Ego des Klienten und dem des Therapeuten kommt. Ein fataler Pakt, denn der Deal zweier Egos läuft darauf hinaus: »Ich, der Klient, idealisiere und verehre dich in deiner Großartigkeit und Genialität und dafür erwarte ich von dir, dass du mein Ego mit Samthandschuhen bzw. am besten überhaupt nicht anfasst.«
Man erkennt hier unschwer die Reinszenierung jenes Tauschgeschäfts, den man gemeinhin für »Liebe« hält, den jedes Kind mit den Eltern eingegangen ist: Es lernte, sich auf Mutter und Vater in einer Weise zu beziehen, die ihren Erwartungen und falschen Selbstbilder entsprach. Dafür verleugnete das Kind seine innere Wahrheit und bekam jene Dosis von Zuwendung, welche der Liebesfähigkeit der Eltern entsprach.
Für die Reinszenierung dieses Vorgangs in der Therapeut-Klient-Beziehung sprechen manche Hinweise:
• Der Klient blendet egozentrisch alles aus, was den Menschen hinter der Funktion Therapeut betrifft.
• Er empfindet es als störend und unangenehm, mit Faktoren in Berührung zu kommen, die an der glanzvollen Aura der Therapeuten-Kunstfigur kratzen könnten.
• Der Therapeut unternimmt alles, um die Aura seiner Grandiosität und Vollkommenheit zu pflegen. Er inszeniert sich z. B. als Seher, der die Zukunft erkennt oder als brillanter Analytiker, der die Vergangenheit durchschaut. Dass sich in diesem Verhalten ein narzisstisches Ego spiegelt, ist unschwer zu erkennen.
• Der Klient erhebt den Therapeuten zum Hollywood-Helden, zur unberührbaren Ikone, die er besitzt. Sein narzisstisches Ego bläht sich auf, statt zu schrumpfen. Ein Klient, der darin gefangen bleibt, verharrt in seiner Unfähigkeit zu lieben und im innerseelischen Bürgerkrieg.
Daraus ergibt sich die Aufgabe für den Therapeuten, die narzisstischen Ego-Programme im Auge zu behalten, um die neurotischen Anteile im Beziehungsverhalten des Klienten zu bearbeiten. Dessen regressiver Druck stellt die Indikation dafür dar, ob es Entwicklung gibt oder nicht.
Denn am Ende des Prozesses stehen nicht mehr die Dramen der Vergangenheit und die Perspektive erlittenen Leids, sondern die Gegenwart der authentischen Gefühle aus der Tiefe des Herzens.
(Fortsetzung folgt)