Ich lebte viele Jahre in den südamerikanischen Anden, bei den Aymara Indianern. Im kleinen Dorf Cotosi (bei Mocomoco) lernte ich Felipe Katari kennen, einen hochgeachteten Mann. Er war ein Seher und hatte Visionen. Wenn jemand irgendein Problem hatte, etwas verloren ging oder der Regen nicht einsetzte, konnte man ihn um Rat fragen. Und er sah Dinge, die den meisten Menschen verborgen blieben: verstorbene Seelen, ferne Orte oder die Ursache einer Krankheit.
Bei uns hier ist jeder ein Seher. Berühmte Menschen, die kürzlich gestorben sind, werden in Millionen von Haushalten nochmals gesehen. Niemanden packt dabei das Grauen, nein, man schaut sich diese verstorbenen Seelen Chips knabbernd an. Allerdings brauchen wir ein Gerät dazu, das ganz ähnlich heisst, nämlich den Fern-Seher.
Bei uns spricht man vom visionären Manager, wenn der CEO eine lukrative Ideen für seine Firma hat. Allerdings sieht es nicht jeder als Kompliment an, wenn man ihn fragt, ob er Visionen habe.
Ein ähnliches Phänomen haben wir mit den Propheten (griech. pro-phetes = voraus sager). Früher stand er auf dem Marktplatz und verkündete das Wort eines ansonsten unsichtbaren Gottes. Heute scheint alles voller Propheten zu sein und die Voraussagen verfolgen uns auf Schritt und Tritt: Prognosen über die Wirtschaft, die Politik, die Krisenherdentwicklung, das Wetter, die Börse den Geschäftsgang.
Trotzdem haben wir die Schlüsselfertigkeit von Felipe Katari verloren:
Den kon-zentrischen Blick nach innen.
Die kreisende Stille
Das auf-merkende Sehen.
Das wert-schaffende Interpretieren.
Das Bild lässt in die zeitliche und räumliche Ferne schauen. Und allerlei Schleier schleichen sich vor die Augen. Kaufe diese Arbeit. Sie erinnert dich daran, dass du nicht nur einen Fern-Seher hast, sondern auch ein Seher bist.
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Bild
Fernschau / 41cm x 29cm / Acryl, Stadtpläne, Folienschichten und Landkarten auf Papier / 2012, N°12-046