Ungelöste Konfliktpotenziale
Egal wie viel ich vorher über Entwicklungsländer gelesen habe, erst in Burundi verstand ich wirklich, welche Gefahr in den extremen Entwicklungsunterschieden steckt: Wenn Zentren hoch modern sind, die Machthaber über neueste Kommunikations- und Sicherheitsinfrastruktur verfügen, und die Peripherie zugleich in ihrer Entwicklung zurückbleibt, entsteht eine gefährliche Spannung. Es mag kurzfristig vorteilhaft sein für das Zentrum, weil es über die Menschen in ländlichen Regionen leichter herrschen kann, doch die massiven Unterschiede zwischen Armut und Reichtum, in der Bildung, dem Zugang zu Kommunikation und der Möglichkeit auf Mobilität erzeugen Konfliktpotenziale. Langfristig schützen dann auch hohe Mauern und der Stacheldraht nicht.
Auf eine dramatische Weise wurde mir das ganz im Nord-Osten Burundis deutlich, an der Grenze zu Ruanda. Zusammen mit Verena Stamm und Philipp Ziser besuchte ich einige Projekte. Wir kamen in ein Jungenheim, wo Verena Stamm Kleidung verteilte und den Heimleiterinnen Geld gab; wir sahen uns ein Landwirtschaftsprojekt an, bei dem Bauern lernen, wie sie nachhaltig und erfolgreich ihre Felder bestellen, wo sie Setzlinge züchten und neue Mais-Sorten ausprobieren; und schließlich besuchten wir eine Schule für Pygmäen-Kinder. Nur wenige Hundert Meter von der Schule und dem Pygmäen-Dorf verlief eine neue Asphalt-Straße. Ursprünglich hatten die Pygmäen in Waldgebieten gelebt, doch der Wald ist nun weg. Hinter den Lehmhäusern, die sie von der katholischen Kirche bekommen haben, breiteten sich einzelne Feldparzellen aus. Zwischen den Häusern standen einige Strohhütten aus Ästen, Zweigen und Gras. Die Alten, die sich an die neuen Häuser nicht gewöhnen konnten, hausten immer noch wie je und je. Nur, dass um sie herum nichts mehr so war, wie es unzähligen Generationen gewesen ist.
In der Schule drängten sich mehr als 50 Kinder, zu viert, zu fünft saßen sie auf einer Schulbank und wiederholten, was ihnen die Lehrerin vorsagt. Unsere Anwesenheit irritierte sie. Doch als Verena Stamm begann, Pullover zu verteilen, schwand ihre Scheu. Ihre Eltern und Großeltern kamen in den Schulraum herein, es wurde so voll, dass wir schließlich lieber rausgingen, weil nicht alle hineinpassten.
Als wir draußen standen, kamen Alte und einige Frauen mit Kleinkindern und baten um Geld. Immer wieder zeigte ein alter Mann, der ein graues, abgenutztes Sakko und eine dunkle Hose trug, auf seinen Bauch und auf seinen Mund.
Man habe ihnen versucht, Feldanbau beizubringen, doch es klappte nicht, berichtete Verena Stamm später. Vielleicht sei es doch wieder nötig, Essen auszuteilen.