Seewerspitze: Skitour durch das einsame Tal

Von Berghasen

Verliere dich in den Ötztaler Alpen. Auf einer Tour, die du in keinem Führer finden wirst.

Wir sind allein. Einzig eine eingewehte Skispur zeigt an, dass vor uns schon jemand da war. Sie muss von gestern sein. Schnurgerade zieht die Spur durch das Gaisbergtal bei Obergurgl hinauf zum Gaisbergferner. Der Talboden und der Gletscher sind von frischem Pulverschnee bedeckt. Wir können unser Glück kaum fassen, dieses Paradies nur für uns zu haben.

Neugierig? Dann folge unserer Geschichte von Beginn an!

Von Obergurgl ins Gaisbergtal

Es ist ein kühler Frühlingsmorgen. Wir parken unseren MINI am Straßenrand in Obergurgl in einer Rechtskurve kurz vor dem Bundessportheim.

Wir verbringen gerade ein Mädelswochenende in Sölden. Unser Ziel heute ist die Seewerspitze (3.286 m). Der Schnee unter unseren Schuhen knirscht, als wir aus dem Auto aussteigen und unser Material aus der Dachbox holen.

Wir fellen auf und gehen das erste Stück der Tour entlang der Skipiste hinauf zur Mittelstation der „Hohe Mut“-Bahn. In einer weiten Linkskurve folgen wir von dort aus der Familienabfahrt bis zu einer kleinen Staumauer auf etwa 2.250 Meter Seehöhe. Hier mündet aus süd-östlicher Richtung das Gaisbergtal ein.

Verlassen. Das Gaisbergtal bei Obergurgl.

Menschenleer. Der lange Weg durchs Gaisbergtal

Ein beißender Wind weht uns entgegen. Das Tal liegt im Schatten des Morgens vor uns. Eine einsame Skispur zieht schnurgerade in die Bergwelt hinein. Ob sie von heute ist? Wir können vor uns keine anderen Tourengeher erkennen.

Froh darüber, nicht spuren zu müssen, ziehen wir unsere Skier durch den Pulverschnee, der vor zwei Tagen gefallen ist. Uns fröstelt. Wir gehen zügig, um bald den Mittelteil des Tales zu erreichen, der bereits in der Sonne liegt.

Endlich in der Sonne. Vor uns der Gaisbergferner.

Langsam wächst in uns die Zuversicht, dass sich vor uns niemand befindet. Ich glaube über die erste Steilstufe eine Abfahrtsspur zu erkennen. Ein Blick zurück bestätigt: auch von hinten kommt niemand nach. Ist es wirklich möglich, dass wir alleine sind? Klar, wir haben uns bei der Tourenwahl für ein Ziel entschieden, das sicher keine Modeskitour ist. Die meisten Skitourengeher tummeln sich am Eiskögele und im benachbarten Rotmoostal. Aber dass es an einem so perfekten Sonntag in der Ferienzeit niemanden hierher verschlägt wundert uns. Wo sind die Leute? Wir beschließen, nicht länger zu grübeln und einfach den Moment zu genießen.

Einsame Spitze. Wir haben ein Tal für uns alleine.

Endlich kommen wir im sonnigen Teil des trogförmigen Tales an. Links und rechts schwingen steile Felswände auf. Zu ihren Füßeln sammeln sich lockere Schneerutsche. Ein Zeichen, dass der Dreier, den der Lawinenbericht für heute gemeldet hat, stimmt.

Das Ende des Gaisbergtals.

Vor uns liegt der Gaisbergferner, der über zwei Steilstufen ins Tal fließt. Jetzt im Winter ist er von einer dicken Schneeschicht bedeckt. Er wirkt wie ein erstarrter, sanfter Wasserfall. Die Spalten sind weit unter der Schneedecke verborgen. Nur der Hängegletscher auf den Felswänden der Liebenerspitze lässt vermuten, dass hier das Eis regiert. Das blaue Gletschereis glänzt unter der starken Frühjahrssonne und erleuchtet gemeinsam mit dem frischen Pulverschnee das ganze Tal. Unsere Augen sind geblendet von der Schönheit der Landschaft.

Gletscher unterhalb der Liebenerspitze.

Über den Gaisbergferner auf die Seewerspitze

Wir sind an der ersten Steilstufe angekommen. Man kommt nicht herum, gleich an die Abfahrt zu denken. Der Hang sieht episch aus. Wind hat über Nach die Spur mit Triebschnee zugedeckt. Sie ist teilweise nur schwer erkennbar.

Angekommen am Fuße des Gaisbergferners.

Wir halten uns im Aufstieg eher links. Rechts von den Felswänden dürften hin und wieder Eisblöcke herabstürzen. Nach sechs Kilometern, die wir fast flach ins Gaisbergtal gewandert sind, machen wir endlich Höhenmeter.

Vroni in der ersten Steilstufe.

In regelmäßigen Spitzkehren überwinden wir die erste, dann auch die zweite Steilstufe, ehe wir ein flaches Gletscherbecken zwischen Hochfirst und Liebenerspitze erreichen. Die Seewerspitze ist der höchste Punkt des Grates, der Hochfirst und Liebenerspitze verbindet.

Einsame Spitze

Gletscherbecken. Direkt vor Vroni die Seewerspitze.

Ein Blick zurück entlang der Aufstiegsspur zeigt, wie weit uns die Tour in die Ötztaler Alpen geführt hat. Der Weg sieht unglaublich lang aus. Gefühlt sind wir erst eine Stunde unterwegs – so sehr hat uns die Schönheit der Landschaft abgelenkt.

Einsames Tal. Blick zurück nach Obergurgl.

Wir überqueren das Gletscherbecken, deponieren unsere Skier nach dem letzten Steilaufschwung und klettern am Grat zum Gipfel der Seewerspitze.

Ein Kreuz gibt es hier nicht. Nur einen Grenzstein, der österreichisches von italienischem Staatsgebiet trennt.

Heute gibt’s genügend Gründe zu Lachen. Im Hintergrund erkennst du den Hochfirst.

Nach einem einsamen Aufstieg genießen wir zweisam diesen Gipfelmoment. Danach klettern wir am Grat zurück zu unseren Skiern und machen uns bereit für die Abfahrt.

Gipfelmoment.

Die Abfahrt: der Superlativ von saugeil!

Der perfekte Tag. Perfekter Pulverschnee. Unverspurte Hänge. Ein menschenleeres Tal. Wer unter diesen Bedingungen über den Gaisbergferner wedelt, der schreit. Vor Freude.

Abfahrtspanorama.

Unsere Skier schneiden durch den frischen Pulverschnee. Das Gelände ist im oberen Teil ideal geneigt. Nicht zu steil und nicht zu flach. Perfekt, um weite, kräftige Schwünge zu ziehen. Von oben können wir den ganzen Abfahrtsweg einsehen. Gegenüber breitet sich das Alpenpanorama aus. Fast surreal. Wir halten uns nahe der Aufstiegsspur. Zaubern regelmäßige Zöpfchen in die Schneedecke. Lachen, fühlen uns frei und würden nach der zweiten Steilstufe am liebsten die Welt umarmen.

Zu schnell sind die 1.000 Höhenmeter Pulverabfahrt vorbei und wir finden uns im flachen Gaisbergtal wieder. Mit möglichst viel Schwung führen wir die Skier präzise in der Aufstiegsspur, um ohne Anschieben zurück ins Skigebiet zu kommen.

Unsere Abfahrtsspuren über die beiden Steilstufen des Gaisbergferners.

Auf der Piste tauchen wir in die Zivilisation ein. Menschen umringen uns. Ich fühle mich eingeengt. So viel Einsamkeit verzerrt fast ein wenig die Realität, in der wir jetzt wieder ankommen.

Tipp: Wenn du eine Unterkunft im Ötztal suchst, dann legen wir dir das Hotel Bäckelarwirt ans Herz!

Tourdaten

  • Höhenmeter: 1.400
  • Länge: 18 Kilometer
  • Dauer: 5-6 Stunden
  • Schwierigkeit: mittel (Achtung Gletschertour)