Meist ist es der erste Satz. Und wenn der es nicht ist, dann muss ein Roman mich mindestens auf den nächsten 20, 30 oder wenigstens 50 Seiten faszinieren. Diese Chance bekommt jeder Roman von mir. Begeistert er mich nicht, verabschiede ich mich schnell von der Lektüre. Angesichts der unzähligen Neuheiten, die fast täglich auf mich einstürmen, habe ich mich für diese radikalen Abbrüche entschieden.
Leere Herzen also. Hier sitze ich nun, starre auf Seite 270 und vermag einfach nicht umzublättern. Wozu? Will ich denn wirklich wissen, was auf den letzten 80 Seiten passiert? Eigentlich nicht. Und all die Zeit, die da noch drauf geht! Ermutigt von drei befreundeten BuchhändlerInnen, deren Meinung ich stets sehr schätze, werde ich deshalb hier und jetzt einfach abbrechen. Ich werde nie erfahren, wie die Story endet. Und es stört mich kein bißchen!
Worum geht es bisher? Britta Söldner, Mutter und Ehefrau, betreibt in einer nicht näher beschriebenen Zukunft eine Agentur für Selbstmordattentäter. Menschen mit Suizid-Wunsch vermitteln sie und ihr Kollege Babak an ökologische, religiöse oder politische Organisationen. Man kann sich vor einem Walfängerschiff oder vor einem staatlichen Gebäude in die Luft sprengen – ganz legal. Klingt erstmal spannend.
Doch fühlte ich mich schnell gelangweilt von den zweidimensionalen Figuren. Da ist kein Herz und keine Seele. Diese Figuren leben nicht, ich kann nicht mit ihnen fühlen. Auch hat Juli Zehs Version einer Zukunft in Deutschland mich nicht überzeugen können. In Leere Herzen ist zwar das bedingungslose Grundeinkommen selbstverständliche Realität, der iPod ein Relikt aus alter Zeit und man trinkt chilenischen Cabernet von 2020. Gleichzeitig wird mehrmals Trump erwähnt, als sei er noch im Amt – wann also spielt diese Geschichte? Viel zu sehr fühlte ich mich an einen Alltag in Berlin Mitte und Prenzlauer Berg in der Gegenwart erinnert. Immer wieder hatte ich das Empfinden, eine wütende Juli Zeh schreibe über das Heute, welches sie ein bißchen wie das Morgen aussehen lässt, um uns zu zeigen was aus uns wird, wenn wir so weitermachen und um sagen zu können: Da. So seid ihr. Diese Buch hat mich in keinster Weise berührt oder gar begeistert. Gefühlsmäßig war da gar nichts. Lediglich ein großes Bedauern um meine schöne Zeit.
Marina von literaturleuchtet geht in ihrer Rezension sogar so weit zu sagen, dass in diesem Roman alles flach, konturlos und bieder sei. Danke dafür! Auch ich habe in Leere Herzen alles vermisst, was ich an Unterleuten (Luchterhand. März 2016) so geschätzt habe. Wie gern denke ich zurück an all die wunderbar lebendigen Figuren – an Kron, Bernd Schaller und Jule. Ich war mit ihnen in diesem kleinen Ort in der Prignitz!
Und wie anders erging es mir vor wenigen Tagen mit Atwoods Der Report der Magd (Berlin Verlag. 2017). Ich war so absorbiert von der Story, dass ich meine Wohnung nicht mehr verlassen wollte. Und wenn, dann nicht ohne diese schöne bibliophile rot-schwarzen Ausgabe. Ich musste wissen, wie das endet!
Auch Atwood entwirft die Version einer möglichen Zukunft. Einer Zukunft in einer totalitären Gesellschaft. Der Roman ist erstmals 1985 erschienen. Intelligent, provozierend und schockierend erzählt die Autorin von der Magd Desfred, die für ihren Kommandanten und dessen Frau unbedingt ein Kind gebären muss. Wer diesen Roman gelesen hat, wird niemals das rote knöchellange Kleid und die weiße Haube Desfreds und all der anderen Mädchen vergessen. Für mich ist Der Report der Magd – genau wie 1984 von George Orwell oder Die Straße von Cormac McCarthy – bereits jetzt ein Klassiker, den auch in der Zukunft noch Generationen von LeserInnen entdecken werden. Dazu bald mehr
Juli Zeh. Leere Herzen. Luchterhand Verlag. München 2017. 348 Seiten. 20 €