Es ist eine spektakuläre Baustelle, würdig einer spektakulären Stadt: Ich stehe 30 Meter unter den Straßenraster der Upper East Side, über mir wölbt sich ein gewaltiger Tunnel, ja fast ein unterirdischer Felsendom auf. Auf einer Länge von gut zwei Straßenblocks wurde ein 25 Meter hoher, gut 40 Meter breiter Riesentunnel in den Granit unter Manhattan gesprengt. Bagger und Hebekräne navigieren durch die feuchte Riesenbaustelle, das Echo der Alarmtöne dutzender Vehikel hallt. An den Felswänden errichten vermummte Arbeiter Verschalungen, es wird Beton gegossen, geschweißt, an Holzverkleidungen gehämmert. Durch den Tunnel pfeift eisiger Wind aus den Öffnungen nach oben zum Straßenniveau. Bizarre Eiszapfen von der “Polar Vortex”-Kältewelle kleben noch an der buckeligen Felswand. Es sieht aus wie in einer Eishöhle.
Besuch bei der Baustelle für die “Second Avenue Subway”, dem ersten Bau einer Subway-Linie in New York seit 60 Jahren. Es ist eines der gigantischsten Bauprojekte der Metropole – und gleichzeitig eines der umstrittensten: Die Linie soll einmal von der 125th Street in Harlem entlang der 2ndAvenue bis zum Hannover Square im Finanzbezirk verlaufen, insgesamt 16 Stationen. Das ganze Projekt soll 17 Milliarden Dollar kosten und in vier Phasen verwirklicht werden. Wenn jedoch der erste Zug in der südlichen Endstation einrollt, ist noch völlig unklar.
Arbeiten an der Station 86th Street schreiten zügig voran
Hektische Baustelle 30 Meter unter der Second Avenue: Erste Züge rollen Dezember 2016
Die neue Linie ist seit Jahrzehnten überfällig. Irgendwie hatten die U-Bahn-Planer einst vergessen, auch die Ostseite Manhattans mit Verbindungen zu versorgen. Nur ein Tunnel für die Linien 4, 5 und 6 verläuft östlich des Central Park. Mit 1,5 Millionen Passagieren pro Tag ist es die meistfrequentierteste U-Bahn-Strecke der Welt. Seit 1929 wurden immer wieder Anläufe unternommen, parallel eine zweite unterirdische Zugtrasse zu bohren. Alte Tunnelstücke existieren noch, ein Abschnitt wurde kürzlich von Hipstern für illegale Rave-Partys entdeckt.
Es war höchste Zeit für den Start des Neubaus: In der ersten Phase wird jedoch nur eine 3,2 Kilometer lange Strecke mit drei Stationen gebaut. Die Kosten dafür sind gewaltig: 4,5 Milliarden Dollar. 2016 sollen auf der Q- und T-Linie 200.000 Passagiere am ersten Tag rollen. Doch die Anrainer versanken in einem jahrelangen Albtraum aus Baustellenlärm, aufgerissenen Straßen, Explosionsgeräuschen und Staubbelastungen. Geschäfte sperrten zu. Im Vorjahr schoss nach einer missglückten Sprengung Schutt in die Höhe wie bei einem Mörsertreffer.
Wegen der Proteste errichteten die Erbauer über den Stationen ganze “Muck Houses”, mehrstöckige, provisorische Gebäude zum Schlucken von Lärm und Dreck. Es soll sich für den Bezirk auszahlen, erzählt mir jedoch Bauleiter Dr. Michael Horodniceanu beim Rundgang. Immobilienpreise würden bereits mit der Aussicht auf die Subway-Nähe um 60 Prozent nach oben klettern.
Tief unter der Erde gehe ich durch in eine der fertigen Röhren, ein faszinierender Anblick. Die Tunnel wurden mit einem gewaltigen Bohrer mit einem grellgelben Bohrkopf hergestellt, der sich zügig durch den Fels fraß. Die für die New Yorker Subway so legendären Ratten ließen sich hier noch nicht blicken. “Zu viel Lärm und zu wenig Nahrung”, lacht Horodniceanu.
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