(Collage: Emma Isacson)
Vanessa lernte ich im Kino kennen. Erst sitze ich verloren inmitten von kuschelnden Teenies und kichernden Frauen. Dann aber, als hätte die Billetverkäuferin mit einem Cupido-Zwinkern Plätze gemauschelt, setzt sich Vanessa neben mich, „Darf ich?“, schlägt ihre langen, blanken Beine übereinander und wirft ihren Pullover, aus dem sie sich streckt und dehnt, über die Lehne des Vordersitzes.
Plötzlich ist es mir peinlich, dass ich mir alleine eine romantische Komödie ansehe. Nicht einmal eine Frau kann mich ansonsten zu diesem Vergehen überreden. Weil aber mein wundes Ego nach etwas Flauschigem plärrte, ist mir nichts Besseres als Drew Barrymore und Justin Long eingefallen. Ein Film über eine Fernbeziehung. Vanessa isst Eispralinen aus dem roten Becher und lacht laut an jenen Stellen, die ihre Frechheit stolz an der amerikanischen Schicklichkeitsgrenze spazieren führen, statt Frechheit aber vielmehr Prüderie verraten. Und doch: Obszöne Witze wirken bei Jugendlichen so unbeirrt wie das Wort Gaggi bei einem Fünfjährigen.
„Magst du? Ich habe genug“, sagt sie, als sich Erin (Drew Barrymore) und Garrett (Justin Long) gerade übereinander legen und Dan, der durchgeknallte Wohngenosse Garretts, im Nebenzimmer den DJ gibt und die romantische Szene durch die dünne Zimmerwand mit Top Gun’s Take My Breath Away beschallt. Ich verstehe nicht und sage: “Ja.” Sie streckt mir den Eispralinen-Becher hin. “Danke”, murmle ich. Dann wieder: “Danke.”
Der Film ist so langweilig, dass ich mir die ganze Zeit überlege, mit welchen Worten ich sie ansprechen soll. Als der erlösende Abspann heranrollt, springt sie auf und meint: “Findest du nicht, du schuldest mir noch einen Drink?”
In der Bar – wir trinken Cüpli! – weiss ich nicht, über was ich sprechen soll. “Eine Frau musst du zum Lachen bringen. Der Rest ist ein Kinderspiel”, hat mir Tristan einmal erklärt. Aber wenn ich gefallen will, fehlt mir die Lockerheit. “Zeugt es nicht von Dekadenz?”, sage ich und stütze mich mit einer Hand an der Theke ab. “Sie lebt in San Francisco, er in New York. Sie lieben sich. Das einzige Problem ist, dass einer von ihnen den Job künden und umziehen müsste. Das wollen sie nicht, weil sie ihre berufliche und finanzielle Nestwärme nicht aufgeben möchten. Na und? Mir egal. Ist ihre Entscheidung. Ausser ihrem Egoismus sehe ich kein Hindernis. Die Liebe aber braucht echte und drohende Hindernisse. Unvereinbarkeiten. Realitätszwänge. Dilemmata. Oder wenigstens Missverständnisse und Verwechslungen. Nicht bloss einen flockigen Interessekonflikt auf den Schaumkronen des Luxus. Dieses Hedonismus-Problemchen nährt keinen Plot, der mich berührt.” Vanessa schaut mich mit grossen Augen an. Sie sagt nichts. Dann klaubt sie sich eine Zigarette aus dem Päckchen, bindet ihre langen Haare zu einem Rossschwanz zusammen und wartet auffordernd, bis ich ihr Feuer gegeben habe. „Ich habe da auch einen flockigen Interessekonflikt“, sagt sie nun. „Mein Zug fährt.“
Ich sage: „Wie fandest du den Film? Wie alt bist du? Wo wohnst du? Ich meine: Wollen wir Centipede spielen?“ Sie schaut mich belustigt an. „Du willst nicht, dass ich nach Hause gehe, stimmt’s?” Ohne eine Antwort abzuwarten, fährt sie fort: “Weisst du, was ich glaube?” Ich schaue sie an. “Ich glaube, du bist nicht der Typ für romantische Komödien.” Ich schaue sie an. “Du hast etwas gegen die flockige Lebensweise. Habe ich Recht?” Sie hält ihren Kopf schief und ich schüttle den meinen ein bisschen zu eifrig: “Mitnichten.” Sie lacht: “Ich mag deinen Schnauz. Er erinnert mich an meinen Vater früher. ” Sie zeigt mit zwei gespreizten Fingern auf ihre Oberlippe, “Time machine!”, lacht, hakt sich unter. Wir verlassen die Bar. Ich trage übrigens keinen Schnauz, bloss einen ungepflegten Wochenbart. “Wo wohnst du?”, fragt sie. “Und du?”, frage ich. Sie lässt mich los, macht eine Drehung und sagt: “In Berlin.”
Going The Distance, USA 2010, Regie: Nanette Burstein, Schauspieler: Drew Barrymore, Justin Long, Christina Applegate, Jason Sudeikis, Charlie Day