Screenology #37: Air Doll

Screenology #37: Air Doll

(Collage: Emma Isacson)

„Was macht er denn?“, fragt mich Tristan, als wir im Orient anstehen. Vor dem alten Mann an der Kasse liegen geordnete Häufchen Noten. Seine zaghafte Hand schwebt erst über den Zehnfrankennoten, gleitet unentschlossen zu den Zwanzigfrankennoten, hält kurz inne, entschliesst sich dann, die Tickets abzureissen, kommt zurück, legt sich auf die Fünfzigfrankennoten und holt sich die linke Hand zu Hilfe, die nun ihrerseits über den Zehnfrankennoten in einem kalkulierenden Schwebezustand verharrt. „Lassen Sie sich Zeit“, sagt Tristan zu dem Mann, der nun, sich sichtlich an das Zwischenresultat klammernd, aufschaut. „Fünfundreissig“, nicke ich ihm zu.

Dass ich Tristan ins Orient überreden konnte, lag an dem Stichwort Sexpuppe. „Warum nicht? Artsy-fartsy Sexszenen mit einer Gummipuppe sind bestimmt geil“, meinte er. In der Pause will er gehen, aber ich kaufe ihm ein Bier. „Mann, ist das langweilig“, jammert er. „Puppe erwacht zum Leben. Sucht Herz und Seele. Und ist dann enttäuscht, wenn’s weh tut. Ist es das?“ Ich weiss, dass es keinen Sinn hat, Tristan von seiner Meinung abbringen zu wollen, und zucke mit den Schultern. Das Licht im Saal geht aus und ich denke an Sara. Was hat Tristan, was ich nicht habe? Aber ich weiss, dass das eine kindische Frage ist. Damals habe ich Sara abblitzen lassen. Vage zwar. Aber dennoch, nun ist sie Tristans Isolde.

Die Plastikpuppe gehört einem einsamen Kellner, der mit ihr Eheleben spielt, sich mit ihr während des Abendessens unterhält, sie kleidet und mit ihr Sex hat, bevor er am Boden des Badezimmers sitzend mit sicheren Handgriffen die Gummi-Vagina einseift und spült. Als Nozomi, zärtlich und fragil von Duna Bae gespielt, erwacht und durch die Strassen ihres Quartiers in Tokio spaziert, begegnet sie dem Leben und seinen Unzulänglichkeiten. Sie findet Arbeit in einer Videothek und verliebt sich in einen Angestellten.

Nach dem Film geht Tristan nach Hause. „Noch einen Schlummi?“, rufe ich ihm nach. „Ne, meine Puppe wartet.“ Nun schlendere ich über die Hochbrücke, schaue hinauf zu den Sternen, blicke hinunter zum Fluss, zähle laut die Sekunden, die vergehen, bis ein fallendes Objekt in die schwarze Masse prallen würde. Zuhause, was ich noch nie getan habe, rede ich mit dem Telefonhörer und stelle mir vor, dass Sara am Apparat wäre:

„Einmal heisst es im Film: Dem Leben eigen ist eine Abwesenheit. Hübsch, nicht? Leider geht der Satz dann weiter: Die nur von anderen Menschen gefüllt werden kann. Auf dieser Grenze zwischen Poesie und Kitsch bewegt sich Kore-eda, der Regisseur. Ich mag zwar seine sphärische Erzählweise, aber er packt so viele existentielle Andeutungen hinein, ohne sich auf eine Aussage festzulegen, dass sich die Teile des Films schliesslich nicht verknüpfen. Sie entweichen ihm.“

„Nozomi ist auf der Suche nach dem Leben. Sie verliert, so paradox es klingt, ihre Identität als Projektionsfläche. Die Menschen sehen in ihr das Objekt, das sie lebendig machen können. Als sie tatsächlich eine tapsige, lichtdurchlässige Lebendigkeit erhält, offenbart sie dadurch die Erstarrungen der Menschen, die Verrenkungen der Menschen. Wir leben Ersatzleben, zugeschnitten auf die Blicke, die uns ansehen, zugeschnitten auf die Angebote, mit denen wir unser Sehnen füttern. Ich zum Beispiel rede mit einem Telefonhörer, weil ich mir wünsche, dass du am anderen Ende zuhörst. In Nozomis abgründiger Naivität zeigt sich das reine Leben. Es scheitert. Sie hat zu wenig Luft, zu wenig Geschichte eingehaucht bekommen. Nur im Versteckspiel unserer Biografie sind wir aufblasbare Möglichkeiten.“

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Air Doll, Japan 2009, Regie: Hirokazu Kore-eda, Schauspieler: Duna Bae, Arata, Itsuji Itao


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