(Collage: Emma Isacson)
Ein Teppich weisser Buchstaben rollt über die Leinwand. Das Licht geht an. Sara schweigt und ich weiss keine Worte. Der Film schnürt mir die Kehle zu. Und die Angst vor dem Gespräch, das nun kommen muss, weil es mit Sara und mir nicht geklappt hat, aber mit Sara und Tristan schon.
Ich halte ihr die Türe auf und wir treten aus dem Kino. Die kalte Luft brennt auf der Haut, Sara hackt sich unter und wir spazieren einfach los. Irgendwohin. Ich möchte immer so weitergehen, denke ich, behangen mit Stimmungsschlieren aus dem Film, getröstet durch Sara, die meinen Arm umfasst. „Isebähnli?“, fragt sie nach wenigen Metern. Ich nicke, aber als wir eintreten, merke ich, dass ich nicht auf Renés Fröhlichkeit gefasst war. „Zwei Guinness für die Turtelspatzen?“, fragt er und führt uns zum letzten freien Tisch.
Der Film zeigte einen Tag im Leben des schwulen Georges in den Sechziger Jahren, der seinen Partner bei einem Autounfall verloren hatte, nicht wieder Fuss fassen konnte und seinen Selbstmord plante. Charley, eine gute Freundin, wollte für ihn da sein, liebte ihn und den Alkohol. Kenny, ein Student im weissen Angorapullover, verfolgte ihn, wollte ihn retten.
Zwei Glas Tempranillo statt Guinness. Sara schaut mich von unten an, hält ihren Kopf schräg. Was aus uns geworden wäre? Der Konjunktiv – entgegen der landläufigen Wenn-ich-ein-Millionär-wär-Meinung – ist der Feind unserer Träume. Schnell sage ich: „Was die visuellen Einfälle angeht, bin ich von Tom Ford begeistert. Wie er Räume inszeniert, ist schlicht genial. Seine Bildsprache ist neu und mutig, aber nie bloss l’art pour l’art, wie man es von einem Modedesigner befürchten könnte. Wie die Kamera die Welt mit Georges Augen ansieht, wie sie zeigt, dass er sich vom Alltag löst, seine Aufmerksamkeit anderen Wesentlichkeiten widmet, dem Schweben der Eindrücke, dem Rauschen des Selbstmitleides, und sich trotz liebevollen Begegnungen nicht gegen die erdrückende Macht der Erinnerung wehren kann, ist grosses Kino. Als würde stets ein trauriger Wind, jetzt da sein Nest zerstört ist, durch sein einsames Leben blasen.“
Sara schaut mich an. Ich schiebe eine Frage nach: „Wie fandest du’s?“ Langsam führt sie das Glas zum Mund, nimmt einen Schluck Wein, lässt mich nicht aus den Augen. Seit wann ist sie so selbstsicher?, denke ich und sehe mich im Restaurant um, betrachte den mächtigen, schwarzen Flügel, der den Raum unterteilt, beobachte René, wie er sich jovial auf eine Stuhllehne stützt, bestaune den guten, alten Zigarettenautomaten, starre auf Saras Lippen.
„Ich fand“, sagen die Lippen, „den zuckersüssen Angora-Kenny viel zu lieblich, aber Julianne Moore als Charley eine Wucht. Ihre Mischung aus Haltung und Gebrochensein ging mir nahe. In ihrer verzweifelten Koketterie habe ich mich wiedererkannt. Ich weiss, du willst das nicht hören, aber was, wenn ich mir in zwanzig Jahren dieselbe Frage wie Charley stellen werde: Was wäre aus uns geworden?“
Die Lippen bewegen sich nicht mehr. Ich weiss nicht, was ich sagen soll. Gesprächswolken vom Nebentisch wehen um unsere Köpfe. „Ich bin nicht schwul“, sage ich. Was überhaupt nichts zur Sache tut. Diese Lippen! „Du bist mit Tristan zusammen“, sage ich. Was auch nichts zur Sache tut. Diese sanft geschwungenen Lippen! Ich fühle mich in die Enge getrieben. „Der Konjunktiv ist scheisse“, sage ich. „Aber Tristan ist nun mal kein verdammter Konjunktiv.“
(A Single Man, USA 2009, Regie: Tom Ford, Schauspieler: Colin Firth, Julianne Moore)