Schwesternpost

Heute wollte ich aus gegebenem Anlass mal etwas ganz anderes schreiben. Keinen Grummelpost und keine Beschwerden, keine Mamastudien oder Spielplatzdramen. Heute wollte ich mal etwas für die Maus verfassen, was ihr vielleicht hilft, das Mäuschen besser zu verstehen. Denn auch, wenn es nicht immer einfach mit einer kleinen Schwester ist, darf man einige Dinge nicht aus den Augen verlieren.
Und wenn die kleine Schwester oder der kleine Bruder einen mal wieder an den Haaren zieht, einem das Gemälde verkritzelt, die Bauklötze klaut oder die Playmobilfiguren durcheinander wirft, sollte man immer darüber nachdenken, WARUM sie das eigentlich tun, die kleinen Nervgeschwister.


Meine liebe große Schwester,


weißt du eigentlich, wie toll ich dich finde? Alles, was du machst, ist einfach so spannend und schön. Wenn du an dem kleinen Tisch im Kinderzimmer sitzt und malst, bewundere ich immer deine tollen Bilder und möchte gerne auch etwas dazu beitragen, weil Mama sich über deine Kunstwerke immer so freut. Aber wenn ich mir einen deiner Stifte schnappe und auch damit auf dein Bild male, wirst du immer böse und nimmst mir alles weg. Das verstehe ich gar nicht. 
Oder deine tollen, langen Haare, die dir fast bis zum Po gehen. Sie sind so wunderschön und ich möchte sie immer anfassen und streicheln oder diese kleinen Haarspängchen hineinstecken, die du immer benutzt. Aber wenn ich deine Haare kämmen oder anfassen will, wie Mama es immer macht, dann schreist du laut und schiebst mich zur Seite. Warum ist das nur so?
Wenn du auf dem rosa Teppich in unserem Kinderzimmer sitzt und mit diesen tollen, kleinen Figuren spielst, die ich so schön finde, dann will ich am liebsten mitten in die Kiste hüpfen und dir alle Männlein bringen, die du noch nicht aus der Schachtel genommen hast und ganz nah bei dir sein, weil du dir immer so tolle Geschichten damit ausdenkst. Aber wenn ich mit dir mitspielen möchte und mir das kleine Einhorn aussuche, guckst du immer ganz ärgerlich, rufst Mama und die räumt dann all die kleinen Figuren auf den hohen Tisch und ich kann nicht mehr mitmachen. Ihr wisst doch, dass ich da gar nicht rankomme.
Manchmal baust du auch mit den großen bunten Steinen tolle Häuser oder Türme! Das kannst du so gut, wie niemand sonst auf der Welt! Ich freue mich dann immer so sehr über diese bunten Bauwerke und will auch ein paar Steine haben und so toll bauen wie du. Aber leider scheinst du es nicht so gut zu finden, wenn ich ein paar von deinen Steinen nehme, um sie auf deine Häuser zu stecken. Ich bin zu schlecht dafür, oder?
Nachmittags sitzt du gerne am hohen Tisch und klebst Sternchen oder Blümchen auf bunte Papiere oder schneidest etwas aus. Du kannst so schöne Dinge mit deinen Händen und dem bunten Papier machen! Jetzt habe ich extra geübt, auf Papas Stuhl zu klettern, damit ich dir helfen kann - aber wenn ich endlich zu dir hochgestiegen bin, schimpfst du immer mit mir und schickst mich wieder weg, dabei würde ich so gerne von dir lernen, wie man all diese kleinen Blümchen und Sternchen auf die Blätter zaubern kann.
Und in deinem Bett, da liegen doch diese schönen Kuschel-Einhörner, die du so lieb hast. Du kuschelst und spielst immer mit ihnen und hast so viel Spaß dabei, dass ich auch gerne mitmachen und schmusen würde. Aber irgendwie ärgert es dich immer, wenn ich mir das kleinere der beiden Einhörner ausleihe, um genauso zu kuscheln und mit dir zu spielen. Dabei wäre es doch so schön, wenn du das große und ich das kleine Einhorn hätte und wir zusammen kuscheln könnten. 
Dann hast du noch diese wunderschönen Puppen. Die mit den tollen langen Haaren und den bunten Kleidern. Ich liebe es, dir zuzuschauen, wenn du es schaffst, dass die Puppen miteinander reden und sich bewegen. Ich würde mir das immer so gerne mal ganz aus der Nähe ansehen, damit ich verstehen kann, wie es funktioniert - aber du schickst mich immer weg oder kletterst mit den Puppen auf dein Hochbett, so dass ich gar nichts mehr sehen kann.
Letzte Woche hattest du dieses andere große Mädchen dabei, als du vom Kindergarten nach Hause kamst, weißt du noch? Ihr wart in unserem Kinderzimmer und habt gelacht und gesungen und getanzt und getobt. Und es klang nach so viel Spaß! Ich wollte soooo gerne mittanzen und mitlachen und ich habe mir so viel Mühe gegeben, euch zum Lachen zu bringen. Aber ihr habt mich immer zur Tür rausgeschoben und sie hinter mir zu gemacht. War ich nicht lustig genug?
Leider kann ich deine Sprache noch nicht wirklich gut. Dabei würde ich dir so gerne so viel sagen! Du bist so wunderschön und alles, was du machst, ist einfach toll. Ich weiß nicht, warum du die meiste Zeit nicht willst, dass ich mit dir Spaß habe und von dir lerne. Vielleicht mache ich etwas falsch? 
Ich  hoffe, ich bin ich eines Tages auch so groß wie du und kann all die wundervollen Dinge, die du jeden Tag machst. Ich will es so sehr. Deshalb habe ich mich schon so früh auf meine Beine gestellt. Nur, damit ich dir folgen und von dir lernen und mit dir spielen kann. Mama sagt, ich bin in allem viel früher dran. Das ist einfach, weil ich nichts von dem verpassen will, was du tust. Es tut mir leid, wenn ich dich irgendwie ärgere oder störe, das will ich doch gar nicht. Und die Momente, in denen wir zusammen auf dem Sofa kuscheln und du mir sagst, wie sehr du mich lieb hast, sind die schönsten Minuten des Tages für mich. 
Du weißt immer ganz genau, wo mein Stofftier und meine Schnuller sind, wenn ich weine. Du tröstest mich immer, wenn ich mir wehgetan habe oder traurig bin. Du weißt immer, wenn ich etwas trinken oder essen will. Und du bist immer da und singst mir etwas vor, wenn ich abends Angst habe, einzuschlafen. Du bist das beste große Mädchen auf der ganzen Welt und wenn ich groß bin, wie ich ganz genau so sein wie du.

Deine kleine Schwester.



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