awesomatik auf Buchfühlung
Schweres Beben – Jonathan Franzen
Mein Lieblingsroman des Jahres 2012 war Franzens Die Korrekturen. Mein Lieblingsroman des Jahres 2013 war Franzens Freiheit.
Wird Franzen auch im Jahr 2014 seinem Spitzenplatz auf meiner Bestenliste behaupten können?
Leider lautet meine Antwort dieses Mal: Nein!
Auch wenn das Genie immer wieder durchscheint, erreicht Franzen hier noch nicht die Virtuosität seiner späteren Werke. Aber hey, als Schweres Beben 1992 erschien, war Franzen gerademal 32 Jahre alt. Das soll ihm erstmal einer nachschreiben.
Und darum geht’s:
Der Rundfunktechniker Louis Holland zieht zu seiner Familie nach Boston als kurz nach seiner Ankunft Erdbeben die Region erschüttern. Die Seismologin Renée Seitchek vermutet, dass ein lokaler Chemie-Konzern die Beben verursacht. Als Louis und Renée zusammenkommen, erlebt ihre Beziehungen ganz eigene Turbulenzen.
Wie schon in Die Korrekturen und Freiheit geht es auch hier um eine dysfunktionale Familie aus der akademischen Oberschicht. Auch andere wiederkehrende Themen seiner Bibliographie wie Wachstums- und Kapitalismuskritik, Umweltzerstörung, Depression und die Spiegelung des Zeitgeists ziehen sich durch den Roman, der im klassischen Franzen-Stil aus ständig wechselnder Perspektive erzählt wird.
Mal gibt es einen historischen Exkurs, mal einen Abschnitt über künstliche Intelligenz und ein paar Seiten erlebt man sogar aus der Perspektive eines Waschbärs!
So gut wie alle Hauptcharaktere haben einen massiven Sprung in der Schüssel, was für den Leser auf eine voyeuristisch-sadistische Weise recht unterhaltsam ist.
Man wird das Gefühl nicht los, dass Franzen seine Figuren mit großer Lust leiden lässt. Wobei er hier und da aus meiner Sicht über die Stränge schlägt.
Was ihm in Schweres Beben noch nicht so gut gelingt ist ein stimmiger Erzählrhythmus. Vor allem die erste Hälfte des Romans ist aufgrund fehlender Kapitel sehr mühselig zu lesen.
Dabei muss man aufpassen, dass man während der zäheren Passagen nicht die teils anbetungswürdig geschriebenen Passagen überliest, die immer wieder hier und da auftauchen und den Erfolg seiner späteren Romane ausmachen.
Ein Leitthema des Romans ist die Gegenüberstellung von Religion und Wissenschaft hier dargestellt in der Auseinandersetzung zwischen Seismologen und Abtreibungsgegnern. Diese Diskussion wirkt zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buches weit weniger brisant und etwas angestaubt.
Fazit – Franzen für Fortgeschrittene
Schweres Beben ist kein einfaches Buch. Wenn man aber Verständnis und Durchhaltevermögen mitbringt, kann man dem 600 Seiten starken Roman durchaus einiges abgewinnen.
Der aufmerksame Leser wird das Potential erahnen, das Franzen den Erfolg seiner späteren Werke beschert hat. Wer jedoch noch keinen Kontakt mit der Bibliographie des Autors hatte, dem würde ich raten erst Die Korrekturen oder Freiheit zu lesen. Schweres Beben ist Franzen für Fortgeschrittene.
Wertung 3/5
1. Geht gar nicht 2. Is OK 3. Gut 4. Richtig gut 5. awesomatik!
awesomatik Kuriosum
Wenn Jonathan Franzen eins kann, dann schreiben. Wer also in dem Bereich Ambitionen hat, sollte sich seine zehn Schreibregeln zu Herzen nehmen:
- The reader is a friend, not an adversary, not a spectator.
- Fiction that isn’t an author’s personal adventure into the frightening or the unknown isn’t worth writing for anything but money.
- Never use the word “then” as a conjunction – we have “and” for this purpose. Substituting “then” is the lazy or tone-deaf writer’s non-solution to the problem of too many “ands” on the page.
- Write in the third person unless a really distinctive first-person voice offers itself irresistibly.
- When information becomes free and universally accessible, voluminous research for a novel is devalued along with it.
- The most purely autobiographical fiction requires pure invention. Nobody ever wrote a more autobiographical story than “The Metamorphosis”.
- You see more sitting still than chasing after.
- It’s doubtful that anyone with an internet connection at his workplace is writing good fiction [the TIME magazine cover story detailed how Franzen physically disables the Net portal on his writing laptop].
- Interesting verbs are seldom very interesting.
- You have to love before you can be relentless.
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Schlagworte: Buch, Jonathan Franzen, Lesen, Literatur, Rezension, Schweres Beben, Strong Motion