Schweizer Catwalk: Skitour auf den Piz Palü

Von Berghasen

Schmal und kolossal! Die Skitour auf den Piz Palü in der Bernina Gruppe begeistert mit spektakulärem Auf- und Abstieg inmitten einer bizarren Gletscherwelt.

Was die Skitourengeher in Massen zum Piz Palü zieht? Seine Optik ist das eine, die einfache Erreichbarkeit das andere. Die drei markanten Pfeiler geben dem Berg den Charakter eines monumentalen Bauwerks. Aus Eis und Fels errichtet wirkt er auf dem ersten Blick kolossal. Erst am Grat zwischen Ost- und Hauptgipfel gibt er seine filigrane Seite preis: Über einen schmalen Steg aus Schnee schreitet man dem höchsten Punkt entgegen. In Kombination mit dem schnellen Zustieg über die Piste oder per Seilbahn ist die Skitour auf den Piz Palü (3.901 Meter) eine der beliebtesten im gesamten Alpenraum.

Fotos: David Wallmann

Ausgangspunkt Berghaus Diavolezza: hinauf zu Fuß oder mit der Bahn

Wer vom Berninapass mit der Seilbahn zur Bergstation und dem dort gelegenen Berghaus Diavolezza schwebt, erreicht den Ausganspunkt der Tour in wenigen Minuten. Flotte Bergsteiger erkämpfen sich den Gipfel des Piz Palü auch noch, wenn sie am Morgen die erste Gondel nehmen.

Wir erarbeiten uns den Gipfel lieber vom Tal aus. Deshalb reisen wir Freitagmittag nach der Arbeit von Salzburg nach Pontresina an und steigen am späten Nachmittag die 900 Höhenmeter über die Skipiste zur Diavolezza auf. Die abendliche Skitour – ein Genuss nach der langen Autofahrt. Der Aufstieg ist gut mit Stirnlampe möglich. Kein Grund also, die Gondel zu verwenden.

Eine Nacht im Vierbettzimmer kostet auf der Diavolezza inkl. Abendessen und Frühstücke etwa Hundert Euro. Für Schweizer Standards akzeptabel, zumal das Essen ausgezeichnet war. Merke: Die Italiener kochen auch in der Schweiz gut.

Kolossal! Der Piz Palü bei Anbruch der Dämmerung.

Der blaue Berg: Skitour auf den Piz Palü

Wir wachen vor Sonnenaufgang auf. Hinter den großen Panoramafenstern des Frühstückraums wird es langsam Tag. Die eindrucksvolle Gestalt des Piz Palü tritt jede Minute stärker aus dem pechschwarzen Morgen hervor. Seine sanft geschwungene Gipfellinie und die drei steilen Pfeiler schimmern in einem matten Blauton.

Am Morgen schimmert der Palü in einem matten Blauton.

Gerade als die ersten Sonnenstrahlen des Tages den Gipfel des Piz Palü erleuchten, fahren wir von der Diavolezza auf den Persgletscher ab. Von eisigem Wind gepeitscht streifen wir die Felle auf die Beläge unserer Skier und setzen uns schnell wieder in Bewegung. Es ist Mitte April, aber von Frühling keine Spur.

Wir starten die Skitour auf den Piz Palü am Berghaus Diavolezza – hier am rechten Bildrand erkennbar.

Lange gehen wir im Schatten. Finger, Zehen und Wangen verfallen in eine Schockstarre. Obwohl die Tour bei guten Verhältnissen bis zum Skidepot relativ einfach ist, sollte man den Aufstieg nicht unterschätzen. Bei uns war schon die Abfahrt von der Diavolezza auf den Gletscher unangenehm gefroren.

Eisig kalt ist es heute an der Nordseite des Piz Palü. Vor uns der Cambrena-Eisbruch.

Weitere spannende Stellen auf dem Weg zum Gipfel sind der Cambrena-Eisbruch, teils unerkennbare Spalten unterhalb des Skidepots und ein steiler Schnee- und Eishang, der in einem luftigen Grat ausläuft.

Durch die bizarre Gletscherwelt des Vadret Pers

Um die Kälte abzuschütteln steigen wir schnell über den ersten Aufschwung oberhalb des flachen Gletscherbeckens auf. Doch die Kälte hängt hartnäckig an unseren Fersen. Zügig ziehen wir die Skier durch die Aufstiegsspur. Links und rechts davon haben sich in den letzten Tagen 30 cm Neuschnee angesammelt. Dass so viel Neuschnee gefallen ist überrascht uns ein wenig, macht aber sofort Lust auf die Abfahrt. Wir hoffen, die einheimischen Bergführer haben die Palü-Überschreitung mit Rückweg durch das Loch und den Morteratschgletscher bereits angespurt.

Der Cambrena-Eisbruch fasziniert mit seiner bizarren Gletscherwelt.

Unterhalb des Cambrena-Eisbruchs kommt wieder Leben in unsere steifen Gliedmaßen. Das schmerzt umso mehr und wir können die bizarre Landschaft nicht ganz so intensiv genießen. Was trotz Frostbeulen in Erinnerung blieb: Eistürme, so hoch wie Einfamilienhäuser, weit aufklaffende und scheinbar grundlose Gletscherspalten – alles in ein glänzendes Blau getaucht.

Hinter dem Eisbruch lockt die Sonne. Auf einem flachen Plateau gönnen wir uns die erste Pause, bevor wir den Schlusshang zum Skidepot aufsteigen. Weitläufige Skihänge und unverspurtes Gelände breitet sich vor uns aus. Der Ostgipfel ist schon ganz nah.

Skitour Piz Palü Bernina

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Der Ostgipfel des Piz Palü.

Skitour Piz Palü Bernina

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Endlich Sonne!

Im obersten Drittel lauern neben offenen, gut sichtbaren Spalten auch viele verdeckte Löcher. Im Zweifelsfall unbedingt am Seil gehen! Wir steigen seilfrei auf, überwinden einen steilen, aber kurzen Aufschwung unter dem offensichtlich eine riesige Spalte aufklafft und stehen wenig später auf einem breiten Podest unterhalb des Ostgipfels.

Wer andenkt, denselben Weg zurückzunehmen, legt hier seine Skier ab. Wir wollen uns die Option auf die Überschreitung offenlassen und schnallen die Skier auf die Rucksäcke. Auf Steigeisen überwinden wir den etwa 40° steilen Hang hinauf zum Ostgipfel.

Bei Traumwetter am Skidepot.

Piz Palü: Skitour mit luftigem Ende

Die letzten Meter zum Ostgipfel (3.882 m) verlaufen über einen schmalen Grat, der teilweise überwechtet ist. Am Grat wird deutlich, wie viel Schnee in den vergangenen Tagen gefallen ist. Hüfttief versinken wir teilweise in der Spur, die aber von unseren Vorgängern gut ausgetreten ist.

Nach dem 40° steilen Osthang steigen wir in den Gipfelgrat ein.

Als wir am Ostgipfel angelangen, sind wir allein. Eine flachgetretene Schneefläche bietet sich als schöner Aussichtspunkt an. Im Süden stauen sich die Wolken. Nach Norden reicht die Aussicht weit in die Schweizer und österreichische Bergwelt hinein.

Ein Bergführer mit seinem Kunden beim Anstieg zum Palü Ostgipfel.

Bloß der Blick Richtung Hauptgipfel lässt und stutzen. Von dort herüber zieht nur die Stapfspur eines einzelnen Bergsteigers. Wieso ist niemand weitergegangen? Die meisten dürften, wie häufig beschrieben, am Ostgipfel umgekehrt sein.

Abstieg in die Senke zwischen Ost- und Hauptgipfel. Der Grat ist teilweise stark überwechtet.

Für uns ist das keine Option. Wir wollen auf den richtigen Piz Palü – die Skitour bei solch perfekten Bedingungen frühzeitig zu beenden käme für uns einer derben Niederlage gleich. Wir verlassen den ausgetretenen Pfad und stapfen in die Senke zwischen Ost- und Hauptgipfel hinab.

Immer auf den schmalen Grat zu.

Der Übergang beginnt einfach, doch das Schlussstück zum Hauptgipfel ist überaus exponiert. Wir sind jetzt die einzigen am Gipfelgrat – vor uns dürfte heute noch niemand am Hauptgipfel des Piz Palü gewesen sein. Die einzelne Stapfspur scheint, als wäre sie von gestern.

Nach der Senke schwingt der Grat sanft auf und vereinigt sich kurz vor dem Hauptgipfel in eine filigrane Schneelinie. Ein wenig erinnert mich der finale Anstieg zum Piz Palü an Passagen der Lyskamm-Traverse. Nur sind die ausgesetzten Passagen am Palü um vieles kürzer und der Grat ist nicht ganz so scharf.

Der stark exponierte Gratabschnitt vor dem Hauptgipfel. Die Schlüsselstelle der Tour.

Lyskamm-Feeling am Piz Palü

Der Neuschnee am jetzt schwindelerregend schmalen Grat macht den Übergang zum Hauptgipfel zu einer heiklen Angelegenheit. Wir versinken teilweise bis zur Hüfte im Schnee, rammen unsere Stöcke zur Stabilisation auf der Nordseite in den lockeren Pulver und balancieren unsere Hintern konzentriert über der 300 Meter hohen Flanke auf der Südseite.

Es überrascht uns, wie ausgesetzt der Grat plötzlich ist. In den meisten Tourenberichten wird diese letzte Passage nur flüchtig beschrieben. Das Gelände verenge sich auf Schrittbreite und man wandere vorsichtig zum Hauptgipfel. Oder: der Grat sei luftig und man erreiche nach einem kleinen Abstieg über den Grat den Hauptgipfel. Auf den gängigen Tourenportalen finde ich nur eine Beschreibung, die der Realität annähernd nahekommt.

Es ärgert mich, wie leichtfertig auf renommierten Portalen mit Informationen umgegangen wird, die vor allem bei unerfahrenen Tourengehern zu Fehleinschätzungen führen können! Denn mit einer gemütlichen Wanderung hat der Schlussanstieg auf den Piz Palü wenig gemein.

Man bewegt sich mehrere Minuten lang in Absturzgelände. Ein Fehler wäre hier fatal. Bei Neuschnee und nicht vorhandener Spur – so wie wir den Grat vorgefunden haben – ist der Schlussanstieg auf den Piz Palü eine Nervenprobe. Hält der Schnee unter meinen Schritten? Kann ich mich beim Verlust des Gleichgewichts stabilisieren? Ist der Neuschnee zuverlässig genug für diese ausgesetzte Querung?

Gipfelglück am Piz Palü. Der Piz Bernina ganz nah. Happy Susi. Blick zum Ostgipfel.

Wir überwindeln die Gruselstelle beherzt und freuen uns nach dieser kurzen Herausforderung umso mehr über den Gipfelsieg. Wieder sind wir allein – und die ersten, die heute am Piz Palü stehen dürfen. Die Nachkommenden bedanken sich fürs Vorstapfen und schießen gerne ein Gipfelfoto von uns. Ein deutscher Bergführer und sein Kunde sind ebenfalls überrascht, dass die Überschreitung nicht gespurt ist.

Abfahrt bis zum Bahnhof Morteratsch

Zwar kommt vom Westgipfel eine Skispur herüber. Es dürfte dieselbe Person gewesen sein, die dann zu Fuß zum Ostgipfel weitergegangen ist. Wir können nicht feststellen, von wo die Person aufgestiegen ist. Sie könnte von Italien gekommen sein. Wir verwerfen der Plan der Überschreitung. Wir wollen nicht bei Neuschnee und ohne Anhaltspunkte über einen spaltenreichen Gletscher abfahren, den wir nicht kennen.

Über den Gipfelgrat zurück Richtung Persgletscher.

Wehmütig sind wird deshalb nicht. Wir dürfen den reizvollen Grat zweimal gehen und die Hänge am Persgletscher sind ebenfalls von unverspurtem Pulverschnee überzogen. Wir werfen dem Piz Bernina einen respektvollen Blick zu und tragen unsere Skier dann nochmal auf dem Schweizer Catwalk spazieren.

Rückweg: Stark exponierte Stelle zwischen Ost- und Hauptgipfel.

Die Spur ist mittlerweile gut verfestigt und ich komme ohne zitternde Knie am Ostgipfel an. Am Skidepot steigen wir in die Skier und genießen bis zum flachen Auslauf des Persgletschers eine gewaltige Pulverabfahrt. Das mulmige Gefühl, dass unter dem Neuschnee riesige Spalten und Löcher versteckt liegen, bleibt trotz Powder-Rausch und wir achten besonders auf unsere Spurwahl.

Zurück zum Ostgipfel. Ein Catwalk nach unserem Geschmack.

Dort wo die Sonneneinstrahlung am Gletscher zu stark war, müssen wir uns durch Bruchharsch quälen, später schwingen wir über Firn. Wir steigen nicht mehr zur Diavolezza auf, sondern fahren in einem weiten Linksbogen zum Morteratschgletscher ab. Unterhalb der Diavolezza kannst du einer markierten Skiroute bis zum Bahnhof Morteratsch folgen. Wir schnallen die Skier erst ab, als die Bahngleise unter den Kanten funken.

Eine 2.000 Höhenmeter und 11 Kilometer lange Traumabfahrt liegt hinter uns. Mit der Überschreitung und dem Piz Bernina kappt es hoffentlich das nächste Mal! Tipp: Für 5 Franken kannst du vom Bahnhof Morteratsch mit dem Zug zurück zur Talstation der Diavolezza fahren.

Der Morteratschgletscher. Wer die Palü-Überschreitung machen will, muss durch das Spaltengewirr am linken Bildrand.

Skitour auf den Piz Palü: die wichtigsten Infos

  • Aufstieg: 900 Höhenmeter bis zur Diavolezza, 1.200 von der Diavolezza zum Hauptgipfel
  • Abstieg: 2.300 Höhenmeter
  • Länge: 18,5 Kilometer (Diavolezza > Hauptgipfel > Bahnhof Morteratsch)
  • Schwierigkeit: mittelschwere Skihochtour mit stark ausgesetztem Gipfelgrat

Diese Ausrüstung war dabei

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